Barbara I.

Der Vertreter

Er war der Beste seiner Art. Seine Aufnahmefähigkeit und sein Gedächtnis übertrafen das von gewöhnlichen Menschen um ein Vielfaches. Sein muskulöser Körperbau ließ im Zusammenhang mit seinen geschmeidigen Bewegungen jedes Frauenherz höher schlagen. Seine Stimme war angenehm, sein Gesicht zeugte von Charakter, seine Augen blickten offen und ehrlich. Seine Überlegenheit war unverkennbar.
Seit er für die General Insurance tätig war, hatte die Versicherung jährlich 20 % mehr Abschlüsse zu verzeichnen. Eine bemerkenswerte Steigerung angesichts der Tatsache, daß er nur einer unter 1000 Agenten war.
Im Moment war er mit seiner tadellos gepflegten Cobra zu einem Kunden unterwegs. Die Benzinanzeige neigte sich dem äußersten linken Rand zu und er steuerte eine Tankstelle an. Einer der Jungs kam sofort angerannt. Er wurde stets mit äußerster Zuvorkommenheit bedient.
Er hatte gerade die Rechnung beglichen, als der Radiosprecher meldete, die Straße nach L.A. sei wegen eines Unfalls gesperrt.
Zwei Männer im Auto hinter ihm beschlossen aus diesem Grund in die gegenüberliegende Kneipe zu gehen. Er dachte, es wäre gut, ihnen zu folgen.
Nachdem er dem Kunden telefonisch seine Verspätung mitgeteilt hatte, betrat er das Lokal und nahm an der Theke neben den beiden Männern Platz.
„Auch nach L.A. unterwegs?“ fragte der eine.
„Nachlässige Sprechweise, Jeanshemd, Cowboystiefel, unrasiert. Offensichtlich kein Mitglied der gehobenen oder mittleren Gesellschaftsschichten. Kein potentieller Kunde.“ faßte er seinen Eindruck gedanklich zusammen. Laut sagte er: „Ja.“
Unaufgefordert fingen die beiden an, über ihre Farmen zu erzählen. Er hörte ihnen höflich zu und warf Interesse heuchelnd ein paar Fragen ein. Ebenso unaufgefordert stellte der Barkeeper ein Glas Bier vor ihn hin, an dem er schließlich langsam nippte. Er ließ sich ebenso oft nachschenken, wie die Farmer, und ihr Gespräch wurde angeregter und lebhafter.
Gut eine Stunde verging, ehe sie zu ihren Autos zurückkehrten und die Fahrt fortsetzten. Während er sich nun wieder auf der Straße bewegte, bereitete er sich innerlich auf das Kundengespräch vor. Daneben gehörte seine ganze Aufmerksamkeit dem Verkehr.
Eine ganze Weile schon hatte er das Motorrad im Rückspiegel beobachtet, als es plötzlich zum Überholen ansetzte und schwungvoll an ihm vorbei zog. Prinzipiell konnte ihn nichts und niemand dazu veranlassen, die 80 m/h - Grenze zu überschreiten. In diesem Augenblick jedoch, geschah das Unfaßbare.
Er trat scharf auf die Bremse, hielt auf offener Straße an, entnahm dem Kofferraum das Abschleppseil, formte eine Schlinge, setzte sich wieder hinter das Steuer und stach los. Er sah deutlich, wie verwundert oder vielleicht sogar erschrocken der Motorradfahrer war, als er sich ihm wieder näherte.
„Yeah!“ schrie er, steuerte nur noch mit der rechten Hand und schwang das Abschleppseil über seinem Kopf. Vor seinem inneren Auge sah er deutlich den lebendig gewordenen Bericht des Farmers vom Einfangen eines ungezähmten Pferdes. Das hier würde ihm nicht entrinnen.
„Yeah!“
Er wechselte die Fahrbahn. Natürlich war der Motor der Cobra um einiges leistunsfähiger, als der der Harley. Er kam immer näher, hatte sein Opfer schon fast erreicht ... Die Harley schwenkte überraschend nach rechts in einen Seitenweg ab. Da er mittlerweilen im Auto stand, konnte er nicht schnell genug reagieren. Er hatte sich nie zuvor mit dieser Geschwindigkeit bewegt und unterschätzte so die Fliehkraft. Bei seinem hastigen Versuch zu wenden, überschlug sich das Auto mehrmals.
Der nach einer halben Stunde eintreffende Arzt stellte zu seiner Verwunderung noch ein Lebenszeichen fest und bestellte daher einen Krankenwagen. In der Klinik wurde jedoch bald klar, daß hier nur ein Spezialist helfen konnte. Man fand in seinen Ausweishüllen die entsprechende Telefonnummer und kurze Zeit später rückten drei grau gekleidete Herren mit umfangreichen Geräten an.
Das Notwendigste wurde sofort veranlaßt. Sobald er transportfähig war, schaffte man ihn wiederum in den Krankenwagen und brachte ihn ins Zentrum, wo es einfacher sein würde, ihm weiterzuhelfen.
Am gleichen Nachmittag ging an seinen Arbeitgeber folgender Bericht:
 
 
·       Überdruck infolge der Freisetzung von Kohlensäure im Nahrungsspeicher hat zu unerwünschten Kontakten der Nahrungsspeicheraußenwand mit den Hauptspeicherschaltkreisen geführt und so die Fehlreaktion ausgelöst. Es wird noch darüber beraten, ob die Nahrungsspeicher mit einem Drucksensor ausgestattet werden und verbunden damit der Androide auf Verwendung einer Toilette bei Überdruck programmiert werden soll, oder ob im  Eßprogramm die Aufnahme kohlensäurehaltiger oder gärender Getränke und Speisen schlichtweg verboten werden kann. Auf jeden Fall wird er ab Montag wieder einsatzbereit sein.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.11.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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