Lorenz Meisch

Wenn es doch nur schon hell wäre

Es ist 5 Uhr 30 morgens. Ich sehe kaum die Hand vor Augen. Kalt und naß
ist es zu allem Überfluß auch noch. Lust habe nicht wirklich, mein warmes
und vorallem trockenes Auto zu verlassen. Aber es muß sein, so wie jeden
Morgen. Wenn es nur nicht so früh wäre, und ich etwas munterer. Nehme mir
zwar jeden Abend vor eher ins Bett zu gehen, aber das klappt irgendwie
nie. Naja, was solls. Den Morgen schaff ich auch wieder. Bin es ja
inzwischen gewohnt.
Mache meine Inspektionsrunde in Begleitung meiner treuen MagLite. Ich
mache ein paar Pseudoschwerthiebe und denke:“ das Stück Alu liegt verdammt
gut in der Hand“.
Außer getrockneten und verkrusteten Schlamm kann ich nichts auffälliges
erkennen . Nur die große Pfütze unter dem Kühler schimmert grün im Schein
meiner Lampe. Sie wird schon seit einigen Wochen jede Nacht wieder
aufgefüllt, da sich die Schrauben des Kühlers mit selbigem nicht so ganz
vertragen und sich deswegen immer wieder von ihm lösen müssen, was seiner
Dichtheit nicht gerade zuträglich ist. Alle Überredungsversuche mit dem
Schraubenschlüssel haben bisher nur für kurzeitige Abhilfe gesorgt.
Während ich die Plattform, auf der sich der Einfüllstutzen für das
Kühlwasser befindet, erklimme, oder besser gesagt erstolpere, wünsche ich
mir, daß es doch nur schon heller wäre, so daß man auch sieht wo man
hintritt. Oben angekommen stelle ich mit einiger Bestürzung fest, daß sich
der blöde Wasserschlauch, den ich in die Reeling gehängt  hatte,
verabschiedet hat und es vorzieht lieber auf dem Erdboden rumzukullern.
Also wieder runter, und das ganze Spiel von vorn. Diesmal mit Taschenlampe
und Schlauch in der einen und den Handlauf in der anderen Hand.
2 Min später hat der Wasserstand wieder seinen Sollpegel erreicht. Ich bin
sogar ein klein wenig stolz auf mich, da sich das meiste Wasser, welches
den Schlauch verlassen hat, im Kühler und nicht auf der Plattform
befindet. Keine Selbstverständlichkeit bei einer Kombination aus einem
störischen Schlauch, nicht wirklich viel Licht und meiner Müdigkeit.
Nachdem ich den Schlauch weggeräumt habe ersteige ich, zur Sicherheit mehr
tastend, meinen Arbeitsplatz, nahezu 3,50m über dem Boden. Wenn es schon
hell wäre, hätte man einen schönen Überblick.
Ich fummel den Schlüssel ins Zündschloß und drehe ihn in die erste Stellung.
Sämtliche Kontrollampen leuchten mit einem Schlag um die Wette und tauchen
die nähere Umgebung des Armaturenbretts in einen bunten Lichterreigen. Hat
was psychedelisches, denke ich mir.
Ein weiterer Dreh am Schlüssel und die Glühwendel beginnt mit dem, was sie
am besten kann. Ich starre auf den rotglühenden Draht, der vor meinen
Augen schon zu verschwimmen beginnt und frage mich ob die Heizdrähte in
einem Toaster aus dem selben Material sind. Das Erlischen des Glühens holt
mich wieder zurück. Ich drehe den Schlüssel in die letzte Stellung. Der
Anlasser beginnt sofort damit, den schweren Diesel zu wecken. Anscheinend
hat der ziemlich fest geschlafen da der  Starter heute länger als sonst
braucht. Aber er hat es geschaft. Die Maschine tut ihren ersten Brüller
für diesem Tag und beginnt unwillig zu laufen. Wenn es jetzt schon hell
wäre könnte man die beiden schwarzen Abgaswolken sehen, die am Ende der
Mulde etwas zeitverzögert ins Freie gelangen.
Ich erhöhe leicht die Drehzahl um dem müden Diesel etwas Laufkultur mit
auf den wegzugeben. Nebenbei drehe ich den Heizregler auf volle Pulle
obwohl ich weiß, daß es noch einige Zeit dauern wird, bis auf diese
Aktion eine Reaktion folgt. Ein sonores Brummen verrät mir, ich kann den
Fuß erstmal vom Pedal nehmen, der Motor hat meinen Kulturvorschlag
angenommen und seine konstante Leerlaufdrehzahl erreicht.
Wenn es jetzt schon hell wäre könnte man in den Spiegeln ein interessant
verzerrtes Bild der Welt hinter dem Kipper sehen, da sich die Spiegel von
der Frequenz, die der Achtzylinder im Leerlauf erzeugt, nur zu gerne zum
mitschwingen anregen lassen. Wobei sich dieses Schauspiel auch bei höheren
Drehzahlen wiederholt. Will man was sehen, muß man Gas geben oder es
reduzieren.
Als ich das Licht einschalte fällt die Drehzahl kurz ab um sich dann
wieder auf dem alten Niveau einzupegeln. Ok, der Diesel ist nun wirklich
wach. Und zum ersten mal an diesem Morgen kann ich weiter als 3m schauen,
zumindest nach vorn.
In diesem Moment klettert ein Kollege zu mir in die Kabine. Es ist der
Baggerfahrer und ich bin sein Taxi.
Zwischen dem Einlegen der Fahrstufe und dem Lösen der Bremse mache ich
noch einen Sicherheitsrundumblick und laß die Hupe ihren Beitrag dazu
leisten. Bei der Größe des Fahrzeugs kann man nicht vorsichtig genug sein.
Nach dem Bremsenlösen treibe ich den Diesel zu seiner ersten Leistung an
diesem Morgen an. Das kalte Wandleröl läßt die K40 schwerfällig dahin
rollen. Das und der aufheulende Achtzylinder vermitteln den Eindruck als
ob die Mulde voll beladen wäre.
2 Min später sind wir am Bagger angelangt. Ich manövriere so an das
Ungetüm, daß mein Kollege direkt umsteigen kann, ohne den Boden zu
berühren. Er hat die morgendliche Prozedur noch vor sich. Nur Kühlwasser
muß er nicht auffüllen.
Das Einlegen des Rückwärtsganges wird mit dem biep biep biep.... des
Backing beepers quitiert. Ich setze ein Stück zurück um die Szene zu
beleuchten und so meinem Kollegen etwas Starthilfe zu geben.
In den Rückspiegel kann ich verschwommen erkennen, daß es so langsam
heller wird über der Abbauwand hinter mir. Ein neuer Tag hat begonnen, an
dem wir dem Fels zuleibe rücken.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.11.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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