Irmgard Schöndorf Welch

Weihnachtsattacke


*







Pünktlich zur Bescherung noch einmal die

Weihnachtsattacke

 
 
Claudia litt anscheinend unter Santa-Claustrophobie.
Mitte November sichtete sie vereinzelte alte Männer in roten, pelzverbrämten Mänteln mit weißlockigen Rauschebärten.

Knapp eine Woche später grinsten sie schon verschmitzt aus Vorgärten, strahlten in heller Festbeleuchtung von den Hausdächern oder stiefelten martialisch durch die Straßen.
In Claudias Stadt kurvten sie gar auf Schlitten und Motorrädern über Drahtseile von Kirchturmspitze zu Kirchturmspitze, während sie ihr berühmtes ‚HOHOHO‘ hinunter auf den gerade eröffneten Weihnachtsmarkt brüllten.

Dezember. Sie vermehrten sich rasch. Wohin Claudia auch kam, überall stapften diese rotbekleideten, massigen Gestalten durch den Schneematsch und bimmelten mit Glöckchen. Oder sie standen in Kaufhäusern und auf Märkten herum, stierten den Vorbeigehenden in die Augen und schrien ihren Kampfruf in die Menge.

Greise waren sie allesamt, doch wirkten sie mit ihren runden Bäckchen und wattig umflockten Fettgesichtern keineswegs hinfällig.
Sie sahen sich alle zum Verwechseln ähnlich.
Ja, sie hatten definitiv etwas Geklontes. Nicht nur in Schaufenstern lauerten sie wie eine Masseninvasion, sie gütelten auch von Fernsehschirmen, Plakaten und Werbesendungen herunter oder schmunzelten sich pfiffig durchs Internet.
All diese um Vertrauen buhlenden, dickwanstigen Gestalten mit den faltenlosen Altmännervisagen waren Claudia längst suspekt und verfolgten sie schon in ihre Träume.

Manchmal flackerte es in den engen Äuglein der Nikoläuse auf und sie grapschten sich Kinder, die sie mit merkwürdiger Milde auf ihre strammen, rot behosten Schenkel zogen, mit dem üblichen ob-sie-auch-brav-gewesen-seien und was-sie-sich-denn-Schönes-vom-Christkindlein-wünschten-Gelaber verwirrten, um sie dann mit etwas Süßkram abzuspeisen.

Kurz vor Heilig Abend - Claudia hatte noch einige Besorgungen in der City gemacht - lief sie mit ihrem Sohn, dem dreijährigen Tim durch die überfüllte, von Christmas-Chorälen durchbebte Fußgängerzone.
Männer und Frauen hasteten, päckchenbeladen, vorbei. Sie schienen alle ziemlich entnervt und nur noch von dem einen großen Wunsch beseelt: nichts wie ins Auto und heim! Claudia ging es genau so.

Doch - auf Styroporschlitten, umgeben von ihren niedlichen Ren-Viehchern aus Kunststoff, so lauerten sie auch hier - bestimmt ein ganzes Dutzend menschgewordene Weihnachtssymbole.

Plötzlich ... griff sich einer der Weißbärte den kleinen Tim, hob ihn auf den Arm, während seine Großvater-Apfelbäckchen glimmten und seine Augen mit Rudolfs roter Leuchtnase um die Wette funkelten. Tim schien das nicht zu gefallen. Seine Unterlippe zitterte bereits.

Da machten sich Claudias Hände selbständig. Wie gesagt, ihre Phobie gegen die Santa-Cläuse hatte bereits unnatürliche Formen angenommen. Sie konnte nichts dafür. Also, die Tüte mit der frisch gekauften Pute – sie war noch gefrostet - schlug sie dem Mann ... nein, nicht über den Schädel - so etwas würde sie doch nie tun! Aber sie erwischte damit - vielleicht ja nur aus Versehen - bestimmt aber mit Wucht seine ...

Ei ... ei ... noch nie hatte ein Weihnachsmann das ‚Ho-ho-ho‘ so innig über den Platz geschmettert. Die gehetzten Passanten blieben plötzlich stehen, lächelten und ... applaudierten, während in der Dämmerung rechts und links und um die Schaufenster tausend kleine, elektrische Kerzenlichtlein flammten.

Langsam wurde auch Claudia warm und festlich ums Herz.

;-)




*

 


Copyright Irmgard Schöndorf Welch, den 3. Dez. 2005

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