Florence Siwak
Tiere sind doch bessere Menschen
Es wäre falsch zu sagen, Robert Sturm sei verrückt.
Zu behaupten, er sei normal, wäre allerdings geschmeichelt.
Meistens jedoch war er ein reizender, umgänglicher älterer Herr, ein wirklich guter Gesellschafter.
Ich
unterhielt mich immer sehr gern mit ihm wenn ich Zeit hatte, in das
kleine Café am Marktplatz zu gehen. Wenn er mit einer Zeitung da an
seinem Stammplatz saß, vor sich eine Tasse Tee, deren
Flüssigkeitsspiegel sich kaum veränderte, konnte man glauben, er hätte
sich seit Tagen nicht von der Stelle gerührt. Stets machte er den
Eindruck, schon seit Ewigkeiten dort zu sitzen.
Wenn
ich mich zu ihm setzte, entschieden wir den 2. Weltkrieg neu oder
klärten die Palästinafrage. Gern stellten wir auch perfekte
Nationalmannschaften auf oder entschieden Grand Slam Turniere verbal
für uns. Über alles konnte man leicht und locker mit ihm reden. Stets
war er bereit, auch der dramatischsten Situation noch Komik
abzugewinnen.
Nur, wenn Sie ihn mal treffen sollten, machen Sie keine Witze über dicke Hunde, streunende Katzen, Mäusebunker oder so etwas.
Meiden Sie einfach das Thema TIERE am besten völlig.
Es
kann nämlich sonst passieren, dass seine Augen feurig, seine Sprache
scharf und seine Arme zu Windmühlenflügeln werden. Wie Don Quichotte
wirkt er dann, wenn er die arme gequälte Kreatur auch bei dem
verteidigt, der sich nicht mal traut, ein Schinkenbrot zu bestellen, um
ihn nicht zu verletzen.
Ich habe dieses
Thema immer geschickt vermieden, weiß aber von meinem Partner, der mal
aus Unachtsamkeit auf diese Schiene geraten war, dass er sich nach
einem solchen Gespräch tagelang gescheut hatte, das Café zu betreten,
aus Furcht, der alte Herr könnte ihm Rattengift in den Kaffee streuen.
"Du,
Max (das bin ich - Anwalt von Beruf), Max, er hat mich angesehen,
als ob er mich vergiften wollte. Und weißt Du, was er gesagt hat?"
Natürlich wusste ich es nicht - woher auch.
‘Leute wie Sie sollten sich vorsehen, wenn sie bei Nacht ausgehen. Der Arm der Gerechtigkeit ist manchmal lang...‘
"Das
hat er nur geflüstert, aber seine Augen, Max, seine Augen! Mir ist es
kalt über den Rücken gelaufen. Ich habe mich abends sogar dabei
ertappt, dass ich mich umgesehen habe, wenn hinter mir Schritte
zu hören waren."
Was soll man dazu sagen?
Ernst - so heißt mein Partner - war immer schon leicht zu beeindrucken.
Er war! Leider ist er es nicht mehr.
Letzte
Woche ist er verunglückt. Da soll noch mal einer sagen, Wandern sei
gesund. Er muss wohl umgeknickt und einen ganz harmlosen Abhang
heruntergerutscht sein, ist aber so unglücklich mit dem Kopf
aufgeschlagen, dass er seinen schweren Kopfverletzungen noch am selben
Tag erlegen ist.
So hieß es jedenfalls in dem Polizeibericht.
Nun
- er war ein feiner Kerl, aber das Leben geht weiter. Familie
hinterließ er nicht und die Lücke in der Kanzlei konnte ich recht
schnell schließen.
Endlich fand ich mal wieder Zeit, in das Café zu gehen und mich zu meinem alten Bekannten zu setzen.
"Hallo, Herr Sturm, darf ich...?"
"Aber bitte doch, gern."
Er
schlug seine Zeitung zu, faltete die Hände, die erstaunlich muskulös
für einen älteren Herrn waren, und sah mich erwartungsvoll an.
"Alles erledigt? - Ich meine mit der Beerdigung und so...?"
"Ja, einfach war es nicht. Aber wer sollte es sonst machen; er hatte ja keine Angehörigen" seufzte ich.
Vertraulich beugte er sich vor.
"Er war ein böser Mensch, glauben Sie mir, ein böser Mensch. Die Welt ist besser dran ohne ihn."
Seine Augen verschleierten sich und schauten an mir vorbei in eine mir unbekannte - gottlob unbekannte - schlechte Welt.
Sie können mir glauben, dass mir ganz schön
unbehaglich wurde. Ich trank hastig meinen Kaffee, verzichtete auf mein
Käsebrötchen und mit einer gemurmelten Entschuldigung brach ich auf,
was er schon gar nicht mehr zu bemerken schien.
Am nächsten Tag war er jedoch völlig der Alte.
Ich war froh darüber, hatte ich doch gerade jetzt einen Gesprächspartner, eine mitfühlende Seele nötig.
Meine
Katze, meine Sheherezade, die 10 Jahre lang meine ganze Freude gewesen
war, erkrankte ganz plötzlich so schwer, dass ich sie einschläfern
lassen musste.
Er hatte Tränen in den Augen,
als ich das erzählte. Vor allem, als er hörte, dass ich mit meiner
Trauer doch ziemlich allein war; meine Frau hat meine Zuneigung zu
diesem Tier nie ganz verstehen können.
"Wissen
Sie, Herr Sturm, ich glaube, sie war einfach eifersüchtig". Ich rieb
mir ein paar Tränchen aus den Augen. "Aber ich will nicht ungerecht
sein, sie hat sich die letzten Tage wirklich rührend um sie gekümmert.
Ich war richtig erstaunt."
Er hatte noch immer feuchte Augen, als ich ihn verließ.
Ab Abend brauchte ich nur noch einen Anruf zu erledigen.
"Sie verlässt jetzt das Haus, Vera Stein, die Mörderin" hauchte ich ins Telefon.
"Sie geht in die Assmannstraße 7, zu ihrer Freundin."
Meine Stimme steigerte sich.
"Ich
glaube, sie will dort weitermachen. Die Freundin hat einen Hund. Sie
hat ein Fläschchen mitgenommen. Helfen Sie ihm, helfen Sie ihm - bitte!"
Ich brach ab; das dürfte reichen. Bei Ernst hatte es jedenfalls gereicht, bei diesem Ehebrecher.
Nun
musste ich nur noch zu Monika und Heinz zum Kartenspielen rübergehen
und den armen Strohwitwer spielen. Dort konnte ich in aller Ruhe auf
den Anruf von der Polizei warten, dass meine arme Frau - diese
verdammte Ehebrecherin - einem Unfall zum Opfer gefallen war.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.12.2005.
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