Unerwartete Begegnung
>>Ich will nicht allein sein!<<
Das war das letzte, an was sie dachte, bevor
sie zum Hörer griff und die Nummer ins Telefon hämmerte. Am anderen Ende der
Leitung meldete sich ein junger Mann. In weniger als fünf Minuten war alles geklärt
und sie schwang sich auf das Fahrrad um zu ihm zu fahren.
Sie trafen sich in der Innenstadt, wo sie ihn
entdeckte, während er sich mit einem Freund unterhielt. Die beiden Jungen saßen
auf einer Holzbank ohne Rückenlehne, so dass das Mädchen sich von hinten über
ihren Freund beugen konnte, um ihn anzustupsen und seine Aufmerksamkeit zu
erregen. Er drehte sich um und lächelte.
Eine Weile später hatten sie das Lokal
gefunden, in dem sie einen Kaffee trinken wollten. In eine dunkle Ecke wollte
sich das Mädchen setzen; Irgendwohin, wo niemand sie beobachten konnte. Denn
das konnte sie im Moment überhaupt nicht brauchen.
Deshalb hatte sie ihn ja angerufen! Sie
konnte gar nicht beschreiben, was mit ihr los war. Doch eines wusste sie: Wäre
sie an diesem Nachmittag alleine zuhause geblieben, hätte sie für nichts
garantieren können! Vor allem nicht für ihr Leben!
Der Junge hatte jedoch ganz andere Dinge im
Sinn: Die Sofaecke gefiel ihm! Und obwohl sie fand, dass man dort wie auf dem
Präsentierteller saß, konnte sie ihm die Bitte nicht abschlagen.
Nach kurzer Zeit schon waren alle ihre Sorgen
und Schmerzen vergessen. Sie lachte und scherzte und ärgerte den Jungen, der
neben ihr auf dem Sofa hockte, und dessen guter Laune sie ihre Sorglosigkeit
verdankte.
Er beugte sich vor und nahm einen Schluck aus
seiner Tasse, während sie ihm mit ihrem Blick folgte und zusah. Er drehte
seinen Kopf ihr zu, die Tasse noch hocherhoben und verzog das Gesicht.
>>Wenn du nicht aufhörst mich so anzustarren, küss ich dich!!<<,
drohte er. Nun war sie es jedoch, die das Gesicht verzog. Sie grunzte und
meinte nur: >>Pfff....als ob!<< Doch der Junge beteuerte weiterhin,
dass sie sich in Acht nehmen solle. Und obwohl sie ihn weiterhin verlachte,
hatte sich in ihrem Kopf schon ein Gedanke eingebrannt, der sie nicht mehr
losließ: Sie wollte herausfinden, ob er wirklich ernst machen würde.
Und so beobachtete sie ihn weiterhin, zog ab
und zu die Augenbraue in die Höhe und grinste breit.
Nichts passierte.
Sie triumphierte, dass hatte sie ja gleich
gesagt!
Doch in ihr regte sich ein Gefühl, das sie
nur als Enttäuschung deuten konnte.
Sie war tatsächlich ein bisschen enttäuscht,
dass es nicht zum Kuss gekommen war.
Lange versuchte sie eine Erklärung dafür zu
finden, versuchte sich gegenüber ihrem schlechten Gewissen zu rechtfertigen,
bis sie zu dem Schluss kam, dass sie ihren Freund doch genau deswegen angerufen
hatte. Es hätte nicht unbedingt ein Kuss sein müssen, doch sie hatte sich in
seinen Armen nach Trost und Verdrängung ihrer Angst gesehnt.
Ein letztes Mal hatte sie sich zu ihm
umgedreht und gegrinst, um ihn damit zu foppen, dass er seine Wette wohl
verloren hatte, als er auch schon seine Lippen auf ihren Mund drückte.
Und obwohl sie wusste, dass das nicht richtig
war, erwiderte sie seinen Kuss und ließ sich einfach fallen.
Nachdem sich ihre Zungen wieder voneinander
gelöst hatten, verfielen sie in Schweigen. Das Mädchen erkannte ihren Fehler
nicht sofort. Schließlich war es ja nur eine Wette gewesen! Ein einmaliges
„Ereignis“ zwischen zwei guten Freunden.
Doch dabei blieb es nicht!
Sie küssten sich wieder und wieder.
Es war wohl, als sie quer auf dem Sofa lag,
ihren Kopf an seiner Brust, als sie das aussprach, was beide dachten:
>>Du weißt schon, dass wir das hier eigentlich gar nicht dürfen?!<<
Er nickte nur.
>>Ich überlege gerade, ob ich es ihr
erzählen soll...<<
>>Genau daran habe ich auch
gedacht...<<
Wieder entstand eine lange Pause.
Dann setzte sie sich auf und sagte mit fester
Stimme.
>>Ich sag es ihm!<<
>>Dann sag ich es ihr auch!<<
Und so trennten sich die beiden und machten
sich auf den Weg den Menschen, die sie liebten, die Wahrheit darüber zu
erzählen, was an diesem Nachmittag geschehen war.
Der Junge hatte keine Probleme damit: Seine
Freundin verzieh ihm. Natürlich nicht ohne ihn ein bisschen leiden zu lassen!
Doch das Mädchen wusste, dass es bei ihr
nicht so glatt laufen würde.
Denn der Junge war der beste Freund des
Menschen, den sie über alles liebte, dem sie nun erzählen musste, was sie getan
hatte.
Und umso länger sie darüber nachdachte, umso
mehr Zeit vergangen war, seit sie sich von ihrem Freund getrennt hatte, umso
mehr sie sich nun ihrer Sache bewusst wurde, umso stärker drückte die Schuld
auf ihr Herz, umso mehr umschloss sie ihre Seele und raubte ihr die Luft zum
Atmen.
Irgendetwas hatte sie heute zerstört.
Noch wusste sie nicht was es war!
Doch die Zeit würde es zeigen....