Barbara I.

mail an eine kollegin

Liebe Marlene!
 
Wie schön, daß Du so bald nach Deiner Ankunft in den Staaten an mich gedacht hast. Ich platze zwar immer noch fast vor Neid, wenn ich darüber nachdenke, wie sehr Dir das Glück mal wieder hold ist - wer hat schon die Möglichkeit, sich dort ein Jahr lang auf Geschäftskosten umzusehen - aber das soll unsere Freundschaft nicht trüben. Schließlich komme ich so zu ein paar Neuigkeiten aus erster Hand und das sollte zumindest das Gesprächsniveau bei unseren Bürokaffeerunden etwas heben.
 
Was sich hier Neues getan hat? Na, das kannst Du Dir doch sicher vorstellen: Nämlich nichts.
 
Der Chef jammert genauso über Deinen Weggang, wie er es bisher bei jeder Schwangeren getan hat. Und es wird auch diesmal dauern, bis die nächste schwanger wird. Bei Annette habe ich da einen gewissen Verdacht... .
 
Darauf, daß nochmal eine aus seiner Abteilung das große Los zieht, so wie Du, kann er nicht warten. Wie die Gerüchteküche meldet, wird das erst in ein paar Jahren sein. Wenn er auch zu einem Themenwechsel unfähig ist, so möchte er anscheinend doch wenigstens den Namen der Vielbeklagten ändern.
 
Na, das alles kennst Du ja selbst zur Genüge. Sei froh, daß Du mal etwas anderes siehst. - Was meinst Du übrigens damit, Du müßtest da drüben ganz schön schuften? Du brauchst mir gar nichts vorzumachen! Ich weiß sehr wohl, was mir alles entgeht: neue Klamotten, neue Wohnung, neue Menschen, ... . Eine neue Liebe, wer weiß?
 
Apropos Liebe. Jakob war gestern hier. Du erinnerst Dich doch an ihn? Er fand, es sei mal wieder an der Zeit, sich um mich zu kümmern. Ausgerechnet er!
 
Ich dachte mir gleich, das sei nur die Einleitung zu einem seiner üblichen Hirngespinste. Und tatsächlich, nachdem er zwei Tassen Kaffee und mein - letztes!!! - Stück Apfelkuchen verdrückt hatte, kam er sofort zur Sache.
 
Er erinnere sich an meinen Beitrag zur Betriebsfaschingszeitung vor drei Jahren, meinte er und, ich hätte doch in letzter Zeit sicher einiges zu Papier gebracht? Du lieber Himmel, ich hatte selbst kaum noch an den Artikel gedacht. Bis heute ist mir vollkommen unverständlich, wie ich mich damals habe breitschlagen lassen, ihn überhaupt abzugeben. Zum Glück mußte ich nicht allzulange für jene Albernheit gerade stehen, denn der olle Maier ging zwei Monate später in Rente und man begann unverzüglich dieses brandneue Ereignis auf das Ausführlichste von allen Seiten zu beleuchten.
 
Und wer hätte daran denken mögen, Jakob würde drei Jahre lang in seinem Gedächtnis behalten, was ich ihm nur einmal zeigte, um ihn wenigstens für ein paar Minuten in seinem Redefluß zu unterbrechen.
 
Jedenfalls meinte er, der Artikel sei sehr unterhaltsam gewesen und da ich permanent ablehnen würde, mit ihm auszugehen, müßte mich wohl etwas Sinnvolleres zu Hause festhalten und da sei ihm eben die Idee gekommen, ich würde heimlich schreiben.
 
Ich bitte Dich, wer außer Jakob könnte „sinnvoll“ und „schreiben“ in einem Atemzug verwenden. Ich ging jedoch nicht näher darauf ein, sondern entgegnete nur, mir lägen Heimlichkeiten von Natur aus fern.
 
Aufdringlich, wie er nun einmal ist, überhörte er absichtlich meinen Versuch, das Thema zu beenden. Er fragte nur seelenruhig, ob er denn dann diese „nicht heimlichen Ergüsse“ einmal sehen dürfte.
 
Mir verschlug es die Sprache, denn er hatte doch glatt ins Schwarze getroffen. Natürlich liegt bei ihm der Gedanke nahe, daß es ein reiner Zufallstreffer war, aber ich gestehe, meine Reaktion war zu deutlich. Ich wehrte energisch ab. Was ich so vor mich hinkritzle, sei doch wirklich nicht für jedermann bestimmt.
 
Leider war ihm das völlig egal. Er hatte in einer Zeitung von einem Wettbewerb gelesen. Die beste Geschichte unbekannter Autoren solle prämiert werden. Welcher Gedanke lag näher, als mir davon zu erzählen, um mir endlich die Gelegenheit geben zu können, mein Talent unter Beweis zu stellen. Hahaha!!!
 
Rein höflichkeitshalber fragte ich nach dem Thema. Was ist es wohl? Die Liebe. Toll, nicht wahr, mal etwas ganz Ausgefallenes. Und überhaupt, was soll ausgerechnet mir dazu einfallen? Das wollte ich auch von Jakob wissen. Doch der hatte sich alles schon genau überlegt.
 
Er fing an, der Reihe nach alle Möchtegern-Männer aus unserem Bekanntenkreis aufzuzählen und mir irgendwelche Techtelmechtel mit ihnen anzudichten. Und ehe ich ihn davon überzeugen hätte können, wie lächerlich seine Vermutungen waren, kam er schon zu dem Schluß, diese Erfahrungen würden wohl für ein paar Seiten schmalzigen Liebesstoff ausreichen.
 
Schmalzig - er muß komische Vorstellungen davon haben, was Frauen erwarten.
 
Zuerst stritt ich natürlich alles heftig ab, aber langsam kam mir der Gedanke, Jakob würde mich wieder mal auf den Arm nehmen. Ich sagte darum nur noch, von allem was er mir unterstellen würde, hätte ich überhaupt keine Ahnung.
 
Daraufhin meinte er lapidar: Wenn es so sei, und ich hätte von der Liebe tatsächlich keine Ahnung, sollte ich mir vielleicht bald mal jemanden suchen, um meine ersten Erfahrungen zu machen. Das würde mir nicht nur eine Erfolgsstory einbringen, sondern davon abgesehen auch einen großen Gewinn für meine gesamte persönliche Entwicklung.
 
Ich hätte ihn am liebsten rausgeschmissen. Aber in diesem Augenblick hatte ich nur den einen Gedanken: Es wäre alles umsonst gewesen. Die ganze Mühe und dieser Streß den ich gehabt hatte, alles ganz vergebens. Denn natürlich hatte er erst mittags bei mir im Büro angerufen, um mir seinen Besuch anzukündigen - völlig überraschend nach fast zwei Wochen absoluter Funkstille. Ich wußte ja gar nicht, was ich anziehen sollte und beim Friseur war ich auch schon ewig nicht mehr gewesen. Eine Sekunde hatte ich mit dem Gedanken gespielt, ihn auf ein anderes Mal zu vertrösten, aber wer weiß, wieviel Zeit dann vergangen wäre, ehe er sich wieder gemeldet hätte.
 
In aller Eile ließ ich also meine Haare in Ordnung bringen, unterzog meine Wohnung der schnellsten Putz- und Aufräumaktion, die sie je erlebt hat, durchstöberte meinen Kleiderschrank und fand tatsächlich ein Kostüm, das er noch auf keinen Fall kennen konnte. Du weißt schon, das blaue, das ich mir zur Hochzeit meines Bruders gekauft hatte.
 
Als es klingelte, war ich gerade damit fertig, mich zu schminken, und spürte plötzlich, wie mir der Magen knurrte, denn mittags war ich viel zu aufgeregt gewesen, um etwas zu essen und nach der Arbeit blieb bei all der Hektik natürlich keine Zeit mehr dazu.
 
Vielleicht hältst Du mich jetzt für verrückt, Marlene. Du fragst Dich sicher, wozu dieser Aufwand. Und im allgemeinen gebe ich Dir da auch vollkommen recht. Du mußt nicht glauben, daß ich immer so aus dem Häuschen gerate, nur weil irgend jemand bei mir vorbeischaut. Aber Du erinnerst Dich doch sicher an den Donnerstagabend, an dem wir auf der Vernissage waren und ich Dir Jakob vorstellte. Es ist Dir vielleicht auch aufgefallen, daß er mich, bevor er sich von uns verabschiedete, kurz beiseite nahm. Er sagte: „Judith wir müssen uns unbedingt wieder treffen. Ich melde mich bei Dir.“ Und wie er mich dabei angesehen hat! Es schien mir sehr verheißungsvoll. Ist doch klar, daß ich zwei Wochen lang, wie auf Kohlen saß.
 
Und dann kommt er, dieser unmögliche Mensch, läßt sich beim Essen zusehen, während ich fast umkomme vor Hunger und faselt irgend etwas von einem Wettbewerb. Und als ich denke, er kommt endlich zur Sache, da gibt er mir den Rat ich solle mir „bald mal jemanden suchen“. Kein Wort über meine neue Frisur und überhaupt. Dabei sah ich wirklich gut aus, gar nicht so gestreßt, wie ich mich eigentlich immer noch fühlte.
 
„An mir kann es ja wohl nicht liegen.“ sagte ich daher giftig und mir fiel auch noch ein, wie ich das bekräftigen könnte. Ich sagte ihm nämlich, sogar Martin fände mich attraktiv.
Nun wollte er natürlich wissen, wer das sei und ich erzählte ihm von unserem neuen Juniorchef. Schade, daß Du den nicht mehr kennengelernt hast. Ein Bild von einem Mann, leider schon vergeben, aber das ging ja Jakob nichts an!
 
„So, und der sagt, Du seiest attraktiv?“ fragte Jakob und mir fiel auf, wie zweifelnd das klang. Als ob ich eine Schreckschraube wäre! Ja, er fände mich sogar sehr attraktiv, entgegnete ich daher.
 
Es war nicht absolut gelogen, denn obwohl Martin zwar verheiratet ist und in der Firma genug anderes zu tun hat, als weiblichen Angestellten nachzusehen, konnte ich an seinem Blick doch schon mehrmals erkennen, daß er meine Erscheinung ansprechend fand. Das ist doch wohl so gut, als hätte er es ausgesprochen.
 
„Und von so jemandem, wie Deinem Martin hört man das natürlich gern.“ meinte Jakob bissig. Er war doch schon wieder dabei, mir irgendein Verhältnis anzuhängen. Und irgendwie hatte ich plötzlich die Nase restlos voll. Abstreiten hätte sowieso nichts mehr geholfen, also gab ich ihm recht. Es täte einer Frau wirklich gut, sagte ich, wenn ihr gelegentlich jemand erklärte, sie sei hübsch, oder angenehm oder eben attraktiv und wenn das aus dem Mund eines Mannes käme, der sich sehen lassen konnte, zählte das natürlich doppelt.
 
Jakob wollte wissen, was sich sehen lassen könne, Martin selbst, oder seine Stellung oder sein Einkommen. Und ich sagte ihm wahrheitsgemäß, daß in diesem Fall eben alles zusammenträfe.
 
Und weißt Du, was er dann tat, Marlene? Er stand auf und meinte: „Ja dann, alles Gute, Judith.“ und ging einfach.
 
Du kannst Dir sicher vorstellen, daß ich erstmal fix und fertig war. Ist das ein Verhalten, sich selber einzuladen und dann mitten im Gespräch sang- und klanglos zu verschwinden?! Ich habe die ganze Nacht damit zugebracht, über diesen seltsamen Besuch nachzugrübeln. Was wollte Jakob eigentlich? Wollte er tatsächlich, daß ich etwas für diesen Wettbewerb schreibe, damit er sich im Nachhinein brüsten kann, er hätte mich entdeckt? - Wenn etwas draus würde, selbstverständlich nur. - Oder wollte er sich nur mit mir unterhalten und es fiel ihm kein vernünftiges Thema ein? Beim besten Willen, ich bin bis heute nicht draufgekommen.
 
Jedenfalls hatte er offensichtlich nicht die geringsten Ambitionen das auszusprechen, was ich nach seinem Benehmen auf der Vernissage gehofft, oder doch zumindest vermutet hatte.
 
Und das muß mir passieren! Marlene, Du kennst mich doch, ich falle doch bestimmt so schnell auf jemanden herein. Und ich gebe mich im allgemeinen auch keinen falschen Hoffnungen hin. Und dann erwischt es mich wie einen Backfisch. Na ja, irgendwie werde ich schon darüber hinwegkommen. Es ist eben das alte Lied. Die Guten sind entweder schon eingefangen worden, oder sie betrachten einen nur als Kumpel, bei dem man schnell mal zwei Tassen Kaffe trinkt und ein Stück Apfelkuchen ißt und sich dabei über belangloses Zeug unterhält. Vielleicht hat Jakob sonst niemanden, bei dem er das machen kann.
 
Jetzt habe ich ziemlich viel Papier für eine unerfreuliche Geschichte verplempert. Aber was soll’s, Du bist weit weg, da ist sie bei Dir gut aufgehoben. Vielleicht, weißt Du auch jetzt endlich zu schätzen, was Dir Dein Aufenthalt im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ bietet. Ich nehme stark an, daß es in Deiner Umgebung ein paar wirkliche Männer gibt, die nicht ins übliche Klischee fallen. Warum sollten ausgerechnet in dieser Hinsicht Möglichkeiten beschränkt sein!
 
So bleibt mir nur wie Jakob zu sagen: Viel Glück, Marlene! Denn ehrlich gesagt, ich würde mich nicht darauf verlassen, daß Richard mir ein Jahr lang treu bliebe, auch wenn Ihr vorhabt einmal die Woche zu telefonieren und er seinen Jahresurlaub bei Dir verbringen möchte.
 
Nein, nein, ich habe nichts gehört oder gesehen. Ich sage ja nur, ich wäre mir nicht sicher.
 
Enjoy yourself!
 
In Freundschaft
 
Judith

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.12.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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