Ich war mindestens genauso unreif, wie alle um
mich herum, mit dem Unterschied des näher am kindlich ernst seins.
Denn während alle anderen, von der Unsinnigkeit
der gesellschaftlichen Zwänge sprachen, und gleichzeitig ihr Abitur
machten, beschloß ich diese Dinge wirklich ernst zu nehmen und schmiß
alles hin.
Ich hatte keine Ahnung, aber ich kann mir inzwischen
das Entsetzen meiner Eltern vorstellen, und wie ich mich angehört
haben muß.
"Das ist doch eh alles unwichtig."
Sie machen sich keine Vorstellung davon, wie
ich für dieses bißchen echte Aussage in einem Leben voller Lügen
gekämpft habe. Bei den Haaren angefangen.
Und was für notwendige Mißverständnisse,
haarsträubende nachvollziehbare Mißverständnisse, dies alles
nach sich zog.
Mein kindlicher Ernst, ich war gerade Mal 14,
sagte mir, das Leben wird schon einen Weg finden.
Ich weiß bis heute noch nicht, wo ich dieses
Vertrauen hergenommen habe, so gnadenlos ins Blaue zu steuern.
Ich hatte sozusagen überhaupt keinen Plan.
War auch nicht nötig, das Leben ist großartig,
was brauchst du mehr.
Und natürlich haben wir über all das
geredet.
Wobei ich schüchtern genug war, meinen Mund
zu halten, meistens.
Mit riesengroßen Kinderaugen und noch viel
größeren Kinderohren hab ich das alles in mich hineingesogen,
und wie konnte es anders sein, diese Offenheit hat natürlich beeindruckt.
Ich hatte keine Ahnung von Gefahren,... was für
Gefahren, "Frieden für die Welt."
Imagine all the people, living in this world
as one.
Ich nehme an, meine Schutzengel hatte jede Menge
Arbeit, mich vor dem gröbsten Blödsinn zu bewahren, jedenfalls
ist nichts schlimmes passiert, zumindest mir nicht.
Bei den Großen um mich herum war das offensichtlich
anders, denn die waren zeitweise ziemlich geknickt.
Und sogar die Lokalphilosophen, die sich abends
in den Stammkneipen trafen, hatten, wie soll ichs sagen, nach ein paar
von ihren Sätzen, ist mein kindliches Gemüt lieber Tanzen gegangen,
diese Sprache verstand es nicht.
Ich glaubte, wir alle schreiben täglich
an einer Geschichte weiter, es ist die Geschichte unserer Suche nach dem
Glück.
Wir wollen es, wir wollten es immer, aber aus
irgendeinem uns unbekannten Grund, ist es uns immer entwischt, war nur
flüchtig bei uns, als hätte es sich nicht wohlgefühlt, dieses
scheue Tier der Zufriedenheit. Ich wußte nichts von Psychologie,
ich wußte nichts von Wachstum und von Karma wußte ich auch
nichts. Ich fühlte mich seltsamer Weise in einem Rudel Gleichgesinnter,
alle auf der Suche nach dem wirklichem Glück.
Wir haben alle Tricks versucht, die uns eingefallen
sind, und uns ist eine Menge eingefallen.
Aber aus demselben Grund, wie unsere Kinder ständig
neue Spielsachen wollen, dachten wir mit ständig neuen Methoden endlich
glücklich zu werden.
Halme
Das muß ich ihnen erklären, nicht
daß sie auf falsche Gedanken kommen.
Ich hatte schon angefangen zu schreiben, immer
so nach Melodie und Erzählerstimmung gesucht, und hatte immer einen
Notizblock bei mir.
Das war meins, mein eigenes Leben, mein Traum,
eine Geschichte schreiben, eine gute, nur eine einzige, das hätte
mir genügt.
Das war gleichzeitig zu den Leistungsfunktionsstörungen,
eine feste Größe, der ich mein Interesse schenkte.
Ich spürte aber ziemlich schnell, das ist
so noch nichts, da fehlt es an allem, was eine gute Geschichte ausmacht.
Ich nannte es Vorbereitung, ich nannte es den
Rasen vor dem Haus, das ich beschreiben wollte, ich nannte die einzelnen
Notizblöcke: "Halme".
Das hatte von beidem etwas, von den Fragmenten,
die sich zu einem Ganzen zusammenfügen, und vom Rhythmus den ich spürte,
der mich an ein Spiel erinnerte, Halma.
Sie ziehen ein Stäbchen nach dem anderen
heraus, ohne daß die Berührungspunkte wackeln.
Comprendre.
Am Schluß halten sie die Stäbchen
in der Hand, mit denen sie ihr Haus oder Zelt bauen können.
Wenn noch welche übrigbleiben, brechen sie
mit dem Rest für die Feuerstelle.
Man nennt das eine Leidenschaft.
Ich habe dafür noch viele Namen.
Wir haben Köder ausgelegt und Häuser
und Gärten umgebaut. Unsere Rauhfasertapeten in die ungewöhnlichsten
Farbtöne geschmissen und ab und an, all die sinnbeladenen Sprüche
einander um die Ohren gekaut.
Hallo, hat es gesagt, ich kenne Dich und du kennst
mich, und dann ist es wieder verschwunden.
Oder war es Spiel, eine Maskerade, eine Entdeckungsreise,
ein Abenteuer, eine schöne Frau, ein Auto, eine bessere Anlage. Kühl
wollen wir es, wenn uns heiß ist.
Wenn wir erhitzt von den aufdringlichen Alltagsbegebenheiten
aufschauen und feststellen, das war anstrengender, als wir erhofft hatten.
Dann tut der kühle Wind gut.
Wenn wir unser Herzblut für etwas gegeben
haben, unser Alles, erschreckt uns die Kühle Geste.
Schutzsuchend flieht man dann in den Traumraum
der Gedanken, den kann man selber weiterstricken, nur das Glück, wohnt
dort nicht.
Was hat das leben eigentlich für solche
Narren vorbereitet.
Ein Teil dieser Geschichte, ist die Geschichte
der endlosen Bemühung.
Zu Lernen.
Geburt-Wachstum-Lernen
Geburt und Wachstum, das geht von selbst, das
Lernen, scheinbar auch, aber es gibt da diesen feinen Unterschied: mein
Verständnis und meine Aufmerksamkeit.
Während meine Geburt und mein Wachstum sich,
wie sagt man das, es passiert, ob ich hinsehe oder nicht, mein Lernen benötigt
meine Aufmerksamkeit, dringend.
Und seltsamer Weise wurde hier eine Art Spiegel,
auch in der menschlichen Gesellschaft installiert, also auf so was muß
man erst mal kommen.
Sie haben sich sicher auch schon des öfteren
gefragt, warum, wenn sie sich angestrengt hatten, in der Schule zum Beispiel
oder in der Arbeit, die Bestätigung, entweder manchmal fadenscheinig
oder aber sowieso sehr gering ausfiel.
Lernen erzeugt doch Zufriedenheit, wir alle wissen
das.
Wir erfüllen dann nämlich ein Naturgesetz,
das der evolutionären Weiterentwicklung, auch hier wurde sehr wenig
dem Zufall überlassen.
Wir wurden scheinbar so angelegt, daß wir
eine Antwort oder Bestätigung brauchen, also von Innen oder von Aussen,
zur Kontrolle, etwas das uns sagt, daß wir auf dem richtigen Weg
sind.
Und wir alle scheinen auf diese Funktion der
Kontrolle angewiesen. Bestätigung von Aussen, das kennen wir, von
Kindheit an.
Gut gemacht, oder Freude über unsere ersten
Schritte.
Aber auch Kinder folgen einer Art innerer Bestätigung
und ich habe schon öfter erlebt, daß sie damit genau richtig
liegen.
Inzwischen, damals wußte ich das noch nicht,
ich konnte nur nicht anders.
Ich beginne am besten mit den ersten Schreibversuchen
und meinen ersten Skizzen und Beobachtungen, sehr dilettantisch, aber dennoch
vom Geist des Forschers beseelt.
Mit 16 bekam ich den billigen Fotoapparat von
meiner Mutter, und eines Nachts bin ich damit spazieren
gegangen und habe ein Bild von dem Licht der
Straßenlaternen auf den regennassen Straßen gemacht.
Es war purer Zufall, daß dieses Bild überhaupt
etwas geworden ist, bei der Beleuchtung und mit diesem
billigen Apparat.
Aber ich hatte das erste Dokument für diese
Stimmung geschaffen.
Es war nicht mal Mondlicht.
Es war gelbes elektrisches Licht der Laternen.
Es war nur eine Pfütze, ein bißchen
Randstein, keine Fußspuren, kein Regenwurm, nichts.
Es war nicht mal Sehnsucht, nur das bißchen
Flackern unbestimmbarer Wünsche vor der Fülle der
Möglichkeiten in der seltsamen kindlichen
Stimmung des Nochnichtschlafen wollens.
Noch nie hatte jemand zu meiner Sensucht gesprochen,
es wurde immer von Dingen geredet, von denen ich
auch schon mal gehört hatte, oder noch nichts
gehört hatte, oder immer wieder gehört hatte,
Dieses bißchen Licht auf einem Bißchen
Straßenrand war der einzige Indiz, daß es überhaupt einen
Weg
gab.
Die Stille war das Wichtigste und die war auch
auf dem Bild zu sehen.
Eigentlich kann man Stille gar nicht sehen, genausowenig
kann man Sehnsucht fotographieren, aber Leute,
die einen blassen Schimmer davon haben, haben
es erkannt, immer wieder.
Die Zeit zwischen15 und19 hab ich größtenteils
damit verbracht, in Gedanken nach dem Text für das
Buch oder der Melodie meines neuen Songs zu suchen,
nichts war gut genug, aber ich war ziehmlich damit
beschäftigt.
Ich wollte unbedingt Schriftsteller werden.
Dichter und Musiker.
Die Einzigen, die sich die Zeit nehmen das Leben
genauer anzusehn, das glaubte ich zumindest damals.
Auch war es eine gute Medizin für meine
Unsicherheit, ich war wahnsinnig unsicher.
Im Nachhinein betrachtet, war das natürlich
völliger Quatsch, ich hatte noch nicht gelebt und wollte schon
darüber schreiben.
Ich hatte also ständig einen Notizblock
bei mir, um dann, wenn es soweit war, es auch aufschreiben zu
können.
Natürlich hatte ich auch ein Tagebuch, aber
das war eher so eine Art Kummerkasten, gesammelte
Bedrängnisse eines pubertierenden Tagträumers.
Abends bin ich tanzen gegangen, sozusagen zum
sportlichen Ausgleich.
Ich hab mir die Seele aus dem Leib getanzt, 25
Jahre lang, zu vier verschiedenen Musikepochen, wenn man
das mal so nennen will.
Natürlich hab ich viel geredet, und was
ich alles wußte, Junge, Junge, ich hatte die Welt im Kasten. Sei
nicht so spöttisch alter Mann, das war alles
enorm spannend und wichtig, manchmal aber auch ganz schön
langweilig.
Über die Stille wollte ich schreiben, lachen
sie jetzt bitte nicht, ich hab das furchtbar ernst gemeint, über
das unbekannte, andere Leben, das es doch allein
schon deswegen einfach geben muß, weil alles was ich so
erlebt hatte, einfach nur fürchterlich trivial
war.
Und ich hatte das Gefühl, niemand wollte
wirklich darüber reden.
Alle hatten diesen Sack voll Flöhe gesammelt
und versuchten sie bei der nächst besten Gelegenheit wieder
los zu werden.
Und natürlich ist mir zwanzig Jahre lang
nichts Vernünftiges eingefallen, weil immer, wenn ich mich
hinsetzte und die Stille beschreiben wollte,
bemerkte ich den Unterschied.
Ich meinte mit Stille, nicht das Gegenteil von
Lärm.
Finden sie das mal heraus in ihrer Pubertät.
Wenn die einzige Stille die sie kennen, die ist,
wenn ihre Traumfrau vor ihnen sitzt und ihnen ihren Namen
sagt und lächelt, in Erwartung eines angeregten
Gesprächanfangs, da wurde es vielleicht still, grauenhaft
still.
Das Leben ist ja insofern tausendmal genialer
als wir, als daß es immer das nimmt was gerade da ist. Das
schaffen wir nie, wir sind viel zu sehr damit
beschäftigt, was alles fehlt.
Das heißt aber auch, wir haben überhaupt
keine Ahnung was alles da ist.
Die Stille versuchte also irgendwie mich auf
sich aufmerksam zu machen.
Und ich hab mich wahnsinnig doof angestellt,
wirklich.
Wenn das Leben eine Geschichte erzählen will,
braucht es dafür nicht unbedingt Worte, es nimmt einfach
etwas, das würden wir einen ganz normalen
Tag nennen.
Der Blick auf die Uhr startet den Biocomputer,
den man sein Leben nennt, besser gesagt unsere
täglichen Pflichten.
In Sekunden hat der Computer sich orientiert,
meistens.
Ich bin immer noch nicht dahinter gekommen, wie
das eigentlich passiert, denn irgendeine Erinnerung an
Gestern identifiziert das Heute mit einer unglaublichen
Fülle von Details.
Es war an einem ganz normalen Schultag.
Ich war schon in dem Alter, in dem ich gar nicht
mehr hinwollte.
Jeden Morgen wollte ich nicht hin, das war der
einzige klare Gedanke, den ich hatte.
Ich will da nicht hin, ich wußte nicht
mal warum, meistens war ich einfach zu müde.
Und ich haßte es, wenn etwas von mir erwartet
wurde.
Am Anfang ging ich dann trotzdem hin.
Aber an diesem Tag war alles anders. Und ich
weiß immer noch nicht, was eigentlich.
Ich packte meinen Notizblock ein, dann die Schulsachen
und ging los, es rumorte.
In der ersten Stunde war ich noch zu müde
für irgendwas.
Aber dann, plötzlich fing ich an zu schreiben.
Einer wie der Sand in Schuhen
wenn er eine Nacht in den Dünen verbrachte.
Ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt
schon mal am Meer gewesen bin zu dieser Zeit.
Aber ich konnte es fühlen beim schreiben,
den Wind, die Frische und etwas das ich mir immer schon wie
ein allumfassendes Blau vorgestellt hatte.
Das riesengroße Blau des Himmels und das
riesengroße Blau des Meeres und ich kleines Etwas tauche
hinein von einem Blau ins Andere.
Und wenn ich mich müde getaucht habe, lieg
ich am Strand und fühl den Sand in meinem Schuh, der mir
sagt, ich bin dort gewesen.
Und die Nacht an diesem Blau, war nichts anderes
als eine unglaubliche Vertiefung der selben Größe bis
ins Unendliche und dann tauchten die Sterne auf,
eingehüllt in etwas, das einfach unbeschreiblich war.
Aber alles was am Morgen davon übrig war,
war der Sand in den Schuhen und man wußte, man war dort
gewesen.
Nach dem Unterricht haben wir uns immer in der
Stadt getroffen und sind im Park rumgehangen.
Ich hatte es dabei, in der ersten und einzigen
Army-Umhängetasche, die ich je hatte, ich war stolz, ich hatte
es geschafft.
Die Tasche mit diesen Zeilen ging noch am selben
Tag verloren und ich hab es nicht mehr hingekriegt, war
wohl nicht so wichtig.
Ich war trotzdem schockiert.
Wieso das denn. Wieso heute, wieso diese Tasche,
an diesem Tag.
Fazit.(heißt eigentlich face it)
Trying to catch the angels, dont put them in
your bag.
Das war an einem Schultag, in einer Schule, die
so gar nichts von Sehnsucht wußte, niemand wußte etwas
darüber, das bemerkte ich schnell.
Oder das dachte ich zumindest.
Aber es ist in Wirklichkeit sogar noch verzwickter,
als ich ursprünglich angenommen hatte, denn in
Wirklichkeit, wissen wir es alle, aber keiner
redet darüber, und die Wenigen, die es versuchen, klingen
seltsam, mit noch weniger Ausnahmen.
Aber weil ein Leben ohne Sehnsucht eine seltsam
leere Hülle wild flatternder bunter Stoffe am Gerüst
einer leblosen Vogelscheuche ist,
und das hätte sogar die aller dickhörnigsten
Dumpfbacken, bis ins Mark erschüttert, hat sich die Welt
einen Trick ausgedacht.
Als ich merkte, daß ich das nicht zu fassen
bekomme, hab ich zu schreiben aufgehört, jahrelang.