Katja Heinrich

Sodbrennen - 25. Familienfeier – Der totale Alptraum?

 

 

An Weihnachten habe ich auf Wunsch meines Therapeuten an der Feier der Familie von Klaus teilgenommen.
Guten Mutes wollte ich zunächst leichtsinnig auf das Valium verzichten, es gar nicht erst mitnehmen, aber eine leise Stimme hat mir eingegeben, dass ich vorsichtshalber doch einige Tabletten einstecken sollte. Welche Vorsehung!
Nette Bussi-Bussi-Begrüßung als wir dort kurz vor dem Abendessen eintrafen. Ich sah die Familie zum ersten Mal – und sie mich. Weiß der Geier wie Klaus es geschafft hat, dass ich nie bei den Eltern vorsprechen musste.
Klaus stammt aus einer Ahnenreihe von Anwälten und aus großem Hause. Oder aus gutem.  Jedenfalls aus einer großen Familie. Leider. Neben seinen Großeltern und Eltern existieren noch zwei Schwestern und ein Bruder. Mit Familie. Mit Kindern!
Die Begrüßung ließ ich über mich ergehen, weil sie nicht wirklich körperliche Nähe nötig machte. Eben typisches Küsschen neben der Wange in die Luft – nahezu angenehm.
Überraschenderweise wurde auch Klaus auf diese Weise begrüßt. Befremdete mich etwas.
Klausens Familie ist ein wenig Schickimicki und vom Feinsten, es gab also dementsprechend an Heiligabend tolles Essen, ein Büfett. Ganz fein. So fein, dass ich fast nix zu essen fand.
Dann fand ich doch noch was. Das war gut, aber zu wenig. Sorry, mein Magen ist wohl größer als die der feinen Gesellschaft.
Überall kleine Häppchen vom Irgendwas, Kaviar, Hummer, Scampi, Lachs. Wer soll denn davon satt werden?
Mit fast knurrendem Magen begaben wir uns nach dem Essen in den Salon.
Salon! Jawohl!
Klaus schwitzte, was mich Wunder nahm. Er ist sonst die Beherrschung in Person.
Ich selbst fühlte mich zu diesem Zeitpunkt noch verhältnismäßig stabil, mal abgesehen davon, dass ich außerhalb meiner Wohnung, inmitten von Menschen und Kindern, noch ohne Valium und hungrig war.
Im Salon (!) wurde der Mokka (!) vor dem reich verzierten, überdimensionierten Christbaum serviert. Und dazu servierte man mir neugierige Blicke und aufdringliche Fragen nach meinem Beruf, dem sozialen Umfeld (sozial?), dem Leben meiner Eltern und meinen Hobbies.
Klaus an meiner Seite schwitzte ohne Unterlass – und zu seinen feinen Bahnen Schweiß fügten sich mittlerweile die meinen, während ich versuchte einigermaßen akzeptabel auf das Kreuzverhör einzugehen und die inzwischen lauter werdenden Stimmen der Kinder zu ignorieren.
Unter einem Deckmäntelchen aus Freundlichkeit und Interesse quetschten mich vorzugsweise die Eltern so lange aus, bis sie durch einen schrillen Schrei und ein dumpfes Geräusch abgelenkt wurden.
Eines der Kinder hatte beim Spielen einen Tisch umgeworfen, der auf den Fingern eines anderen Kindes gelandet war.
Während die Eltern der Kinder sich gegenseitig Vergessen der Aufsichtspflicht, Schuld und anderes um die Ohren schrieen, die Kinder inzwischen alle am Schreien und/oder Heulen waren und der Großvater – soeben aus seinem Nickerchen hoch geschreckt – sich orientierungslos im Salon umsah, nahm ich dankbar die Gelegenheit wahr, mich unauffällig nach dem stillen Örtchen umzusehen.
Erwartungsgemäß war dieses standesgemäß. Gold und Marmor.
Etwas zuviel von allem. Im Gegensatz zum Büfett. Jeder hat eben so seine Prioritäten.
Ich schluckte drei Tabletten Valium und ging zurück in den Salon, wo mittlerweile wieder Ruhe eingekehrt war, da Großmutter die Kinder pädagogisch wertvoll mit der Bescherung in Schach hielt.
Jedes Geschenk wurde beim Auswickeln von den Erwachsenen mit reichlich Aaaaaahs und Ooohs bestaunt und dann von den Kindern achtlos beiseite geworfen.
Ich spürte wie mein Freund Valium Frieden in mir verbreitete und lehnte mich in meinem Sessel zurück. Klaus saß in Hab-Acht-Stellung auf einer Pobacke an der äußersten Kante seines Sessels. Ich fand das lustig. Aber nicht lang, denn seine Eltern erinnerten sich plötzlich wieder an mich.
Meine Antworten fielen nun zusehends einsilbiger aus, teilweise wegen der eintretenden Wirkung des Valium, teilweise aus Verbohrtheit. Zwischendrin versuchte Klaus seine Eltern mit einer spannenden Anwaltsgeschichte erneut von mir abzulenken. Das gelang aber nicht. Ich hatte aber nun mehr Interesse an dem aufkommenden Ehekrach zwischen Klaus´ Bruder und seiner werten Gattin. Zunächst stritten die beiden so leise, dass ich mich wirklich sehr anstrengen musste, um etwas mitzubekommen, zumal nervigerweise immer wieder die Fragen von Klaus´ Eltern an meinem Ohr vorbeidrifteten. Aber nach kurzer Zeit konnte ich sie dann wirklich gut ignorieren und das sich ankeifende Pärchen umso besser verstehen. Scheinbar ging der ehrenwerte Gatte fremd und war dabei erwischt worden. Mit den immer lauter werdenden Stimmen der Ehegatten wuchs die peinliche Betroffenheit der übrigen Familienmitglieder, deren Gespräche jetzt allesamt verstummt waren. Selbst die Kinder hörten auf, ihre Geschenke aufzureißen und lauschten den schrillen Stimmen mit offenen Mündern und debilem Gesichtsausdruck.
Klaus´ Mutter begann ungemütlich in ihrem Sessel hin und her zu rutschen, man sah ihr förmlich an, dass sie krampfhaft überlegte, wie sie die Situation wieder in den Griff bekommen könnte.
Grinsend entspannte ich mich und beobachtete intensiv das Schauspiel.
Auch Klaus gab seine krampfige Haltung auf und lehnte sich zum ersten Mal an diesem Abend in seinen Sessel.
Schließlich stand der Vater auf und nahm die beiden Streithähne entschlossen an den Armen und führte sie aus dem Raum.
Ich beugte mich interessiert vor und fragte die Mutter nach ihrem sozialen Umfeld.
 
Immer noch lachend brachte mich Klaus kurz darauf nach Hause und bedankte sich bei mir für den schönsten Heiligabend seines Lebens. Ich glaube aber, meine Anwesenheit hat dem ohnehin unterkühlten Verhältnis zwischen ihm und seinen Eltern auch nicht weiter geschadet!
 
Übrigens. Ich hasse Weihnachten.
 
 
(c) Katja Heinrich

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.12.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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