Lutz Wagner

Herr Manke

„Herr Manke, Herr Manke?„
Ich drehe mich um, doch hinter mir ist keiner. Wer hat da gerufen? Ich schaue noch mal zurück, doch der Weg, den ich gekommen bin, ist leer. Auch rechts und links vom Weg ist keiner.
Wenn das so weitergeht, werde ich langsam verrückt. Ich höre Stimmen, wo keiner gerufen hat.
Warum mache ich mich so fertig. Irgendwann muss es ja passieren und heute ist der Tag gekommen. Also los jetzt Reiner, mach dich nicht ins Hemde. Du schaffst das. Wäre doch gelacht, wenn ich jetzt kneifen würde. Nun bin ich schon soweit gekommen, jetzt werde ich nicht umdrehen.
Da fällt mir der Witz ein, von den 3 Häftlingen, die ausbrechen und über 100 Mauern klettern müssen. Der 1. Häftling gibt nach der 20. Mauer auf und klettert wieder zurück, der 2. Häftling gibt nach 67 Mauer auf und der 3. Häftling schafft es bis zur 99. Mauer, doch da gibt er auch auf und klettert wieder zurück.
So blöd bin ich nicht. Jetzt bleibe ich stark.
„Herr Manke, Herr Manke!„
Wieder ruft jemand meinen Namen und wieder sehe ich keinen. Spielt da einer einen dummen Scherz mit mir? Wer kann das nur sein? Bilde ich mir das alles nur ein? Sind meine Nerven schon so gereizt, dass sie mir Geisterstimmen in das Ohr legen? Wenn, dass wirklich so ist, so muss ich mich beeilen, endlich die Sache aus dem Weg zu schaffen.
Endlich da vorne gabelt sich der Weg. Dort muss ich nach rechts. Wenn ich links lang laufe, komme ich an den See vorbei. Dort will ich aber nicht lang. Seit meiner frühen Kindheit habe ich große Angst vor offenen Gewässern. Nicht das mir schon jemals etwas passiert ist, ich vielleicht mal ins Wasser gefallen bin oder mich jemand geschubst hat. Auch hat mich niemand gezwungen ins Wasser zu gehen, wenn ich nicht wollte und mich hat auch keiner unter Wasser gezogen.
Nein, als ich 6 Jahre alt war, bin ich mit meinen Eltern an einem See spazieren gegangen und da hat sich etwas ergeben, dass ich danach nie mehr in große Gewässer baden gegangen bin. Kuriosehrweiser kann ich ohne Probleme im Freibad baden gehen.
Es war ein schöner Sommertag, als ich mit meinen Eltern am See spazieren gegangen bin. Viele Menschen nutzten das Wetter aus und waren am See baden. 5 Kilometer vom See entfernt stiegen viele Heißluftballons auf. Die heiße Luft, die die Brenner produzierten, ließ die Ballons langsam nach oben steigen. Der Wind sorgte dafür, dass die Ballons in unsere Richtung trieben. 50-60 Meter über uns schwebten die ersten Ballons hinweg. Ein Ballon hatte aber Probleme Höhe zu bekommen. Man sah, dass der Mann, der den Ballon steuerte, sich hektisch in dem Korb hin und her bewegte, doch was er auch macht, es half nicht, denn der Ballon verlor zusehends an Höhe.
Neben dem See, also in der Richtung von wo die Ballons kamen, verlief eine Starkstromleitung. Diese Leitung berührte der Korb und da der Korb aus Bast war, fing er Feuer. Der Ballon trieb weiter in Richtung See und der Badenden.
Viele von den Menschen am und im See bemerkten nicht, was da auf sie zukam.
Der Ballon flog genau auf eine Gruppe Erwachsener zu, die mit ihren Kindern im Wasser spielten.
Meine Eltern und viele andere Leute am Strand versuchten mit Schreien und hektischen Armbewegungen, die Badenden auf das herannahende Unglück aufmerksam zu machen. Doch die Menschen im Wasser waren so mit Spielen beschäftigt, dass sie es viel zu spät bemerkten. Zu allen Unglück kam der Ballon genau aus der Sonne, so dass sie ihn gar nicht sehen konnten.
Jedenfalls stürzte der Ballon, mit den brennenden Korb, genau in die Menge der Badenden.
Die ganze Zeit, wie wir die Ballons beobachteten, stand ich am Strand und schaute fasziniert in den Himmel. Ich schaute auch zu, wie der Ballon langsam auf die Menschen zuflog. Jedoch wich die Faszination und panisches Entsetzen nahm mich in Besitz. Ich zitterte am ganzem Körper und meine Augen konnten sich nicht von dem Ballon lösen. Genau in dem Moment, als der Ballon in die Gruppe Badender stürzte, wurde ich ohnmächtig.
Ich muss ganz schön lange ohnmächtig gewesen sein, denn als ich wieder aufwachte, lag ich im Schatten eines Baumes, nahe dem Strand. Am Strand liefen viele Leute hektisch hin und her. Ich schaute das die Polizei und die Rettungssanitäter da waren und sich um die Verletzten kümmerten.
Ich setzte mich auf und sah das rechts von mir 4 Sanitätswagen standen. In den einen Wagen schoben sie gerade eine Trage mit einem Kind rein. Das Kind schrie, als ob es gerade geschlachtet wird. Ich sah aber auch warum das Kind so schrie. Auf dem Kopf hatte es keine Haare mehr und das ganze Gesicht war voller Blasen.
Vorne am Strand lagen 2 Menschen, die mit Decken zu gedeckt waren. Ich erfuhr erst später, dass das die Eltern des Kindes waren. Sie waren tot.
Dieses Ereignis hat in mir eine Phobie gegenüber offenes Gewässer jeglicher Art ausgelöst und diese Angst habe ich immer noch jedes Mal, wenn ich an einen See vorbeikomme.
Also gehe ich lieber den Weg rechts lang. Auch wenn dies ein Umweg ist, ist mir das lieber. Ich habe jetzt schon genug Probleme, da brauche ich die Angst jetzt nicht auch noch und ich muss sie ja nicht provozieren.
„Herr Manke!„
Da schon wieder. Wer ruft da bloß? Ich höre doch ganz deutlich, dass mich jemand ruft, doch ich sehe keinen. Ich drehe mich einmal um mich selbst, doch nichts. Ich bin alleine auf dem Weg.
Reiner, denke ich, Reiner mach dich jetzt bloß nicht verrückt. Du ziehst dein Ding jetzt durch. Jetzt bíst du schon soweit gekommen, nun schaffst du das letzte Stück auch noch.
Irgendwie beneide ich die Menschen, die ihre Angst unterdrücken können oder die keine Angst haben. Schon an so eine Geschichte, wie meine, treibt mir den Schweiß auf die Stirn und mein Hemd wird auch klitschnass.
Jetzt ist es nicht mehr weit. Die paar Meter schaffe ich auch noch, dann bin ich endlich da, dann habe ich es geschafft. Doch ich kann von mir behaupten, dass ich Stolz auf mich bin. Endlich habe ich meinen inneren Schweinehund überwunden. Es wurde auch höchste Zeit, länger hätte ich nicht warten können.
Da vorne, endlich, da ist das Haus, wo ich hin will. Jetzt habe ich es geschafft.
Ey, was war denn das jetzt? Es hat sich so angefühlt, als ob mir gerade einer ins Gesicht geschlagen hat, aber hier ist doch niemand. Da schon wieder. Ich flippe gleich aus.
„Herr Manke, Hallo Herr Manke, aufwachen!„
Was soll ich machen, aufwachen? Was soll denn das jetzt? So kurz vorm Ziel, Reiner, reiß dich zusammen, lass die Hirngespinste nicht Oberhand gewinnen!
Endlich, ich bin am Haus angekommen. Mit einmal geht die Tür auf und es kommen Leute raus. Sie bleiben vor der Tür stehen, schauen mich an und fangen an in die Hände zu klatschen.
Ich sehe die Leute an und reibe mir verwundert die Augen. Als ich die Augen wieder auf mache, sehe ich genau vor meinem Gesicht 2 Hände, die mich gerade anfassen wollen.
„Herr Manke, dass ist ja schön, dass sie wieder da sind.„
Ich kenne die Stimme, doch ich kann niemanden sehen, denn die Hände sind noch genau vor meinem Gesicht. Ich drehe meinen Kopf langsam nach rechts und da sehe ich denjenigen, der mich angesprochen hat. Es ist mein Hausarzt Dr. Julius Kretsch.
Jetzt fällt mir auch wieder ein, wo ich bin. Ich bin in seiner Praxis.
„Entschuldigen sie, Herr Manke, dass ich lache, doch so was, wie das hier, habe ich noch nie erlebt. Ich habe ja schon viele kuriose Sachen gehört, doch das jemand ohnmächtig wird, bei dem man einen Holzsplitter aus dem Finger zieht, nein das ist neu! „, sagt Dr. Kretsch und lächelt mich mitleidig an.

-ENDE-

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.05.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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