Helmut Maier Moir

DIE EINE UND DIE ANDERE

Kurzroman von Helmut Maier Moir  Dez. 2005

 

Als Junggeselle, vogelfrei und ungebunden, lebte ich bei meiner Mutter. Essen, Kleidung und die üblichen häuslichen Verpflichtungen waren für mich kein Thema. Das erledigte sie für mich, schon 28 Jahre, mit größter Hingabe und gekonnt. Mein Beruf als Versicherungsvertreter, das ist mein Gebiet. Leider erfolgreich oder soll ich sagen zum Glück?

Warum „leider“, ein Brief war die Ursache.
Sehr geehrter Herr…….. Ihre Erfolge sind außergewöhnlich gut. … die Geschäftsleitung möchte Ihnen dazu gratulieren und bietet Ihnen eine verantwortungsvolle Stelle in der Zentrale in Wien an. Bla, bla, bla und so weiter.

Ich und nach Wien ziehen? Wer macht mein Essen, wer bügelt meine Hemden und, und…..
Verlockend ist es schon. Eine eigene Wohnung, die Großstadt und nicht zuletzt die Bezahlung.

Mutter war sehr traurig als ich ging, ich sah es in ihren Augen, doch sie wollte nicht im Weg stehen und sprach darüber kein Wort zu mir.

In Wien angekommen, fuhr ich mit dem Taxi zur Zentrale der Versicherung AG. Im dreißig Stockwerke Gebäude wurde ich von einer hübschen Empfangsdame zum Aufzug gebracht. Er brachte mich rasch in die oberste Etage. Überwältigt vom Anblick der mit Marmor verkleideten Wände, stand ich nun da, wie der berühmte Ochs vor dem Scheunentor.
Höchstens eine halbe Minute und schon stand ein neuer Engel neben mir. Bitte kommen sie mit, ich begleite sie zum Herrn Direktor.
„Ah guten Tag Herr…“, sein Blick wanderte auf die vor ihm liegenden Unterlagen „… Meier, ich freue mich sie kennen zu lernen, einen so erfolgreichen Mitarbeiter, ja wir brauchen tüchtige, junge Leute die auch den Mut haben, für den Erfolg Umstellungen in Kauf zu nehmen.“ Die Türe hinter mir ging auf. Ich drehte mich um und blickte in die Augen einer grauen Maus. Flache Schuhe, grauer ¾ Rock. Eine hochgeschlossene weiße Bluse. Streng nach hinten gekämmtes, tiefschwarzes Haar, die zusammengerollt wie eine Kugel, die Frau etwas größer erscheinen ließ, als sie wirklich war. Trotz ihrer strengen, ein wenig abweisenden Blicke, konnte sie ihre aparten Gesichtszüge und ihre sehr schlanke Figur nicht vor mir verbergen.
„Das ist Frau Müller, unsere Abteilungsleiterin, sie wird ihnen ihren neuen Arbeitsplatz zeigen und ich wünsche ihnen viel Erfolg für ihre neue Tätigkeit.“ Er reichte mir die Hand und schon war ich aus dem 100m² großen luxuriösen Büro des Herrn Direktor.
Hinter Frau Müller herschleichend, viele Stockwerke tiefer, in Gängen ohne Marmor, öffnete sie die Türe zu einem Großraumbüro, mit nach meiner Schätzung weit über einhundert Mitarbeitern. Sie blieb vor einer kleinen Nische stehen, die von drei Seiten durch einein’ halb Meter hohe Wände abgeschirmt war. An der rechten Wand stand ein verwaister Schreibtisch, darauf ein Bildschirm, eine Tastatur und ein Telefon. Davor ein schwarzer großer Drehstuhl und dahinter ein leerer halb offener Schiebetürschrank.
Was habe ich mir da eingetauscht? Mein eigenes Büro zu Hause hatte 40m², mit Blick auf den Wald und in den Garten.
Beinahe hätte ich sie übersehen, eine funkgesteuerte Computermaus lag neben der Tastatur. Eine leichte Berührung und schon flimmerte der Bildschirm auf.
Bitte geben sie ihren Namen ein und wählen sie ihr Geschlecht aus:
Ich schrieb meinen Namen und  klickte „männlich" an.
Willkommen in der Zentrale Herr Meier, bitte geben sie einen „Benutzernamen“ ein:
Ich schrieb in das Kästchen „Thomas Meier“
Bitte geben sie ein „Kennwort“ ein:
( kurze Nachdenkpause ) „Graue Maus“
Bitte geben sie einen ihnen geläufigen Namen ein:
Ich schrieb den Vornamen meiner Mutter in das Kästchen, konnte es aber nicht sehen, da wie bei „Graue Maus“ nur Punkte zu sehen waren.
Bitte merken sie sich die folgende Nummer: 41 17 41
Sie haben ihr „Kennwort“ vergessen, dann geben sie diese Nummer und den ausgewählten Namen ein.
Nachdenklich und enttäuscht über den so hoffnungsvollen Beginn meiner neuen Karriere, meldete ich mich über meinen Computer ab und ging aus dem Versicherungsgebäude.

Die von mir angemietete möblierte Wohnung war nur einige Häuserblocks entfernt. Was werde ich dort vorfinden?
Auf dem Weg durch die Eingangshalle zum Aufzug kam mir Herr Novacek, der Hausmeister entgegen. Herr Meier, gut das ich sie treffe, die Spedition war hier und wollte alle Kartons hier in der Halle abstellen. Mit 10.- Euro Trinkgeld konnte ich sie überreden, alles gleich in ihre Wohnung zu stellen. Ich nahm einen Zwanzigeuroschein aus meiner Tasche und bedankte mich bei Herrn Novacek für seinen gute Einfall.
Bei der Wohnungsbesichtigung hatte ich seine Frau gefragt, ob sie die Aufgabe übernehmen würde, natürlich gegen Bezahlung, meine Wohnung in Ordnung zu halten.
Ich sperrte die Wohnungstüre auf und trat ein. Die Spedition hatte von mir 9 Kartons übernommen. Kein Einziger war zu sehen. Ärgerlich wollte ich aus der Wohnung zum Hausmeister gehen, überlegte es mir aber und ging von Raum zu Raum. Im Arbeitszimmer am Schreibtisch sah ich sorgsam aufgeschlichtet meine Geschäftsunterlagen.
Im Wohnzimmer auf dem Glastisch vor dem offenen Kamin eine Vase mit Blumen. Rasch begab ich mich ins Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank.  Alles was ich hergeschickt hatte, war fein säuberlich eingeräumt und in die dafür zuständigen Laden und Fächer untergebracht.
Ich blickte aus dem Fenster im 6. Stock meiner Wohnung auf den gegenüber liegenden Park und auf die schönen alten Häuser von Wien.
Rasch ging ich aus der Wohnung, fuhr mit dem Taxi in die Autowerkstatt in der das Auto zur Jahresüberprüfung war, fuhr damit zum nächstgelegen Supermarkt und versorgte mich mit allen notwendigen Sachen die eine Junggesellenwohnung benötigt.
Einen Parkplatz in meiner Gasse zu finden, war aussichtslos und ich war froh, dass ich im Haus meiner Wohnung einen Autoabstellplatz gemietet hatte. Nachdem ich alles mit dem Lift in meine Wohnung beförderte hatte, nahm ich den großen Geschenkkorb mit etlichen Flaschen Wein und Leckereien, fuhr nach unten und übergab diesen Herrn und Frau Novacek mit dem besten Dank für ihre Mühe.
Um mein neues zu Hause besser kennen zu lernen ging ich die eine Gasse hinauf, die Andere hinunter immer weiter bis zur nahegelegenen Hauptstraße. Ich merkte mir den Friseur, ein typisch wienerisches Kaffeehaus, die Blumenhandlung und auch das noch nicht geöffnete Nachtlokal mit dem viel versprechenden Namen „Paradise“. Die Zeit war rasch vergangen und ich verspürte ein Leeregefühl im Magen. Bei der Bushaltestelle auf der Hauptstraße erblickte ich ein sehr ansprechendes Restaurant. Ich beruhigte meinen Magen, der den ganzen Tag nichts bekommen hatte, mit einem vorzüglichen Abendessen und zwei Gläsern Bier.
Die nächsten beiden Tage verbrachte ich damit, meine besten Kunden über die Situation zu informieren und sie davon zu überzeugen, dass sich in der Zusammenarbeit nichts ändern wird.

 

 Einige Male huschte Frau „Graue Maus“ bei meiner Koje vorbei ohne einen Blick auf mich zu werfen, oder ein Wort ausgenommen „Guten Morgen“, zu sagen. Am Mittwoch, kurz vor Dienstschluss erschien sie in meiner Koje. Ich bitte sie morgen bei Dienstantritt zu einer Besprechung in mein Büro.
Um mein ungutes Gefühl bezüglich der Besprechung am nächsten Tag los zu werden, entschloss ich mich nach dem Abendessen in das Nachtlokal "Paradise" zu gehen. Da ich das Lokal und deren Besucher nicht kannte, setzte ich mich vorsichtshalber auf einen Platz an der Bar, von wo aus ich fast das ganze Lokal überblicken konnte. Die Musik nach meinem Geschmack, laut aber nicht zu laut und der bestellte Whisky war auch der, den ich bestellte,  die Bedienung freundlich und aufmerksam.
Es war keine Stunde vergangen, da schwebte sie herein. Ein durcheinander, aufgewühlter schwarzer Haare, dazwischen einige gut verteilte herabhängende Löckchen. Ein verführerisches, apartes nur leicht geschminktes Gesicht mit zwei großen feuersprühenden Augen die von langen schwarzen Wimpern bewacht wurden.
Sie blickte sich um, sah den einzigen freien Barhocker neben mir und steuerte darauf zu. Sie nahm Platz und bestellte sich ein Getränk. „Ich bin Sabine und du?“ Da sie mich anblickte antwortete ich: „Meine Freunde rufen mich Tom, aber hast du eine Schwester?“ „Warum, nein ich habe keine Schwester, diese Anmachsprüche kannst du dir hier sparen. Ich komme oft hierher um mich zu entspannen, mit anderen Menschen zu plaudern oder zu tanzen. Einfach meinen arbeitsreichen Tag schön ausklingen zu lassen.“
„Nein ich meinte das ernst, du bist zwar das totale Gegenteil meiner Chefin, aber die Gesichtszüge und die Figur haben viel Ähnlichkeit mit deiner Doppelgängerin. Sie ist eine „graue Maus“, nicht nur in dem wie sie sich kleidet, auch ihre Erscheinung ist abweisend und kalt, einem Eisblock gleich“. Sabine nahm ihren Drink und Tom bemerkte ein kleines Lächeln um ihre großen Augen.
„Was machst du hier in der Stadt, ich hab dich hier noch nie gesehen?“ „ Ich bin erst drei Tage in Wien und wohne ganz in der Nähe.“ „ Mit Frau und Kinder?“ Fragte sie frech.“ Nein ich bin Junggeselle ohne Zutaten.“ Wir plauderten über alles und nichts und tanzten zwischendurch. „Jetzt muss ich aber gehen. Kann ich dich ein Stück nach Hause begleiten, es ist viel zu spät um eine so gut aussehende Dame wie dich alleine durch die Straßen gehen zu lassen. Meine Worte schienen ihr zu gefallen. Ich zahlte und ging mit ihr auf die Straße. Sie schlug den Weg in Richtung meiner Wohnung ein. Vorbei an dieser erklärte ich ihr, dass ich hier in diesem Haus wohne. Sie gab mir keine Antwort und ging mit mir einige Gassen weiter, blieb vor einem Haus stehen und verabschiedete sich.  „Bis Morgen", und verschwand hinter der Haustür.
Meine Besprechung bei Frau "Graue Maus" schockierte mich derart, dass ich den restlichen Tag laufend auf die Uhr blickte und mir schon sehnlichst wünschte, endlich ins "Paradise" gehen zu können. Die verlangten doch wahrlich von mir, ich soll alle meine Kunden an die Kollegen übergeben und als Gruppenleiter die Schulung der neuen Mitarbeiter übernehmen. Meine mühsam erworbenen Erfahrungen und Tricks, Versicherungen zu verkaufen, den Neuen beizubringen. Was sollte ich dagegen tun? Nichts, ich akzeptierte, handelte mir aber für meine alten Kunden und für alle neuen Verträge, die ich mit meinen Neulingen bringe, eine kleine Jahresprämie aus. Mein Fixgehalt und die Jahresprämie war eine Basis mit der ich gut leben konnte.
Der Abend verging wie der am Mittwoch, ich begleitete Sabine nach Hause und sie verschwand ohne ein Wort. Nachdenklich ging ich in meine Wohnung. Freitag und Samstag kam sie nicht. Der Mann hinter der Bar erklärte mir, dass er sie am Wochenende noch nie gesehen hat. Das beruhigte ein wenig mein schlechtes Gewissen. Wir waren ja immer fröhlich, lachten und tanzten viel, warum sollte ich nun ein schlechtes Gewissen haben.
Der Sonntag verging mit der Vorbereitung auf meine neue Arbeit und ich wollte recht bald ins Bett. Doch automatisch zog ich mich um und ging trotz meines  Wissens, dass sie heute nicht erscheinen wird, ins "Paradise". Ich trank meinen Whisky, zahlte und ging zum Ausgang. Die Türe ging plötzlich auf und sie stand vor mir. Wie immer modernst gekleidet, kurzer Rock mit Stiefeln deren Absätze so lang waren, dass Sabine nur ein wenig kleiner war als ich. Ich bemerkte es sofort, irgendetwas stimmte nicht. Sie war nicht so fröhlich und ausgelassen wie die Tage zuvor, hakte sich bei mir ein und wir gingen zu unserem Platz bei der Bar. „Wo warst du gestern und am Freitag“, fragte ich sie besorgt„ Am Wochenende bin ich nie hier, da fahre ich zu meiner Mutter. Doch heute habe ich sie hier her nach Wien ins Spital bringen müssen und jetzt wollte ich noch ein wenig mit dir plaudern, ach meine Mutter macht mir Sorgen.“ „ Was hat sie?“  Nach einer kurzen Pause und völlig in sich gesunken sprach Sabine ganz leise, während ihre Lippen zitterten „Sie gefällt mir nicht und ich möchte auf Nummer sicher gehen. Meine Mutter ist das Einzige in meinem Leben was ich noch habe.“ „ Es wird schon alles in Ordnung sein“, tröstete ich sie. „Meine Mutter ist auch alleine und wenn du Lust hast, können wir sie einmal besuchen.“  Sie trank ein wenig mehr als sonst und ich spürte bei unseren Tänzen, dass sie sich immer mehr an mich schmiegte. Wir tanzten nur langsame Tänze und manchmal berührte ihre Wange die Meine. 
Mit ihrem Kopf auf meiner Schulter verließen wir das Lokal. Wir gingen vorbei an meiner Wohnung bis zu ihrer Wohnung. Erst als wir in dieser angekommen waren, blickte sie mich ein wenig verwundert an. Wir verbrachten den Rest der Nacht in unbeschreiblicher Harmonie. Wann ich eingeschlafen bin weiß ich nicht mehr, aber bevor ich meine Augen öffnete, es war gefühlsmäßig höchste Zeit aufzustehen, tastete meine Hand suchend nach ihr das Bett ab. Leer, habe ich das alles nur geträumt und liege in meinem Bett? Langsam um den Tatsachen ins Auge zu blicken, öffnete ich diese. Das was ich sah ließ mich ruckartig in die Höhe fahren. Vor meinem Bett stand meine Chefin, die "Graue Maus". „Was machen sie denn hier“, fragte ich erschrocken mit weit aufgerissenen Augen.
„ Ich habe die Nacht mit dir verbracht, aber jetzt muss ich rasch ins Büro um Herrn Meier sein neu renoviertes Büro zu übergeben.“ Mit einem verschmitzten Lächeln verließ sie mich und ihre Wohnung.

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.12.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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