Rita Bremm-Heffels

Berlin, Potsdamer Straße, 23 Uhr

Die Flasche ist halb leer. Sie ist benommen. Benommen vom Schnaps und voller Sehnsucht.
Wie irre dreht sie Musik auf.
Edith Piaf „Non, je ne regrette rien“
Wie sie. Nichts bereut sie, nichts, nichts.
Der Alkohol brennt und wärmt gleichzeitig. Sie gibt sich diesem Gefühl hin.
Die Musik und die Wärme – nach einer Weile wird sie unruhig.
Sie will raus aus der Wohnung, Menschen sehen.
Irgend welche Menschen.
Schwarze Strümpfe, enger Lederrock.
Über die Schulter Oma’s Fuchspelz.
Ein groteskes Bild im Spiegelschrank.
Fremde Gestalt, unbekannt – doch sie will sie kennenlernen, diese Seite.
Ein letztes Tabu brechen – und nur nicht allein sein. Alles besser als allein mit der Flasche.
Und der Angst. Und der Sehnsucht.
Es ist schon spät. Trotzdem verläßt sie das Haus wie unter Zwang.
Draußen ist Leben. Nicht ihr Leben, aber Leben. Mitten in Berlin.
Sie ist allein mitten in dem Leben anderer.

Abgestiegen aus Büroetagen in eine Absteige.
Alles erlebt, erliebt, erkämpft – verloren. So oft. Immer wieder geglaubt.
Naives Schaf.
Gekifft, gesoffen – nur um dieses kleine Stückchen Wärme zu spüren.
Nicht aus Lebenslust. Nur um herauszukommen aus dieser Umklammerung, dieser Starre.
Die ihr solche Angst macht. Und um zu vergessen.
Nun will sie dazu gehören und weiß gar nicht zu wem.

Unsicher der Schritt Richtung Potsdamer. Gerade um die Ecke..
Warum nicht. Hier kennt sie keiner.
Und der Alkohol schwemmt die letzen Hemmungen weg.
Pralles, grelles Leben steht mit nackten Schenkeln herum.
Spreizt die Beine. Macht an. Sie steht im Hauseingang und schaut zu.
Es ist ihr fremd aber auch faszinierend. Noch ein kleiner Schluck, Wegzehrung, Mutmacher –
dann ein Schritt zur Straße.

Unfreundliche Blicke. „Mach weiter, das is‘ mein Platz.“
Sie geht ein Stück zur Seite.

Zwei Männer kommen, handeln, 50 Mark? Zuwenig.
Sie hat keine Ahnung wieviel sie wert ist.
Aber 50 Mark kommen ihr zu wenig vor.
Sie gehen weiter.

Wieder einer. Groß, dunkel, fragt:: „Wieviel?“ Sie riecht Schweißgeruch.
Aber die Empfindlichkeit hat nachgelassen im Laufe der Zeit. Und in der Betäubung.
„100 Mark“ „“ Ganz schön viel,“ er zögert, geht zurück und kommt wieder.
„Aber ohne Gummi.“
Er scheint sich auszukennen. Geht vorweg. In eine Absteige.
Zieht sie hinter sich her. Er scheint dort bekannt zu sein.
Ohne Wort ein Schlüssel.
Das Zimmer sieht aus wie ein Krankenzimmer. Weiße Liege, Deckenlampe.
Kalt. Auf dem Boden Fliesen. Leichter sauber zu halten.

Er zieht sich aus. Ist ganz weiß, wie die Fliesen am Boden.
Nur die Socken läßt er an. Schwarze Socken auf weißen Fliesen.
Sein Schwanz steht kerzengerade. Glänzend.

„Nun mach“ sagt er. Begrabscht sie schon dabei.
Hastig pellt sie sich aus den paar Kleidern. Nur den Fuchspelz von Oma, den hält sie fest
umklammert. Legt sich auf die Liege. Spreizt ihre Schenkel.
Stöhnend stößt er in sie rein, sie stöhnt auch. Einfach so.
So wie sie es immer gemacht hat. Auch bei denen die sagten: Ich liebe dich.

Hoffentlich ist es bald zu Ende, denkt sie . Hebt das Becken ein paar Mal und stößt kleine
Schreie aus.
Es wirkt. Mit einem tierischen Laut verfällt er in Zuckungen:“ Ich komme, ich komme“.
Gott sei Dank, denkt sie.
Der Schweiß läuft über seinen Rücken. Ihre Hände sind schon ganz klitschig.

Das Geld. Sie hat das Geld noch nicht bekommen.
Sie braucht das Geld, damit sich das was war von Liebe unterscheidet.
Für sie selbst.
„Du bist gut“ sagt er zu ihr. „Ich komme nächste Woche wieder. Bist du da ? „
Er gibt ihr die 100 Mark.
„Ich weiß nicht,“ sagt sie.
Sie weiß genau daß sie nicht wieder kommt.
Die 100 Mark in der Hand stöckelt sie durch die Nacht in die Wohnung zurück.
Trinkt den Rest aus der Flasche. Und heult, heult Rotz und Wasser.

Es ist schlimmer als die Pulle. Leer, ganz leer innen drin.
Angezogen fällt sie auf ihre Matratze.
Traum loser Schlaf.
Am Morgen kotzt sie sich die Seele aus dem Leib, versucht sich zu erinnern.

Dann sieht sie den Fuchspelz, Omas Pelz, Schweiß, Schwanz, Gestöhn -
Scheiß Leben.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Rita Bremm-Heffels).
Der Beitrag wurde von Rita Bremm-Heffels auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.05.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Rita Bremm-Heffels als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Payla – Die Goldinsel II von Pierre Heinen



Sobald der Winter vorbei ist, wird der Kampf um die Goldinsel Payla beginnen. Zwei Reiche werden sich gegenüberstehen und die Welt auf Jahre hinaus in ein Schlachtfeld verwandeln ...
Oder gibt es jemanden mit diplomatischem Geschick, der einen solch blutigen Krieg verhindern kann?

Pierre Heinen, Jahrgang 1979, ist seit frühester Jugend begeistert von Geschichtsbüchern und Verfasser unzähliger Novellen. In Form des zweiteiligen „Payla – Die Goldinsel“ veröffentlicht er seinen Debütroman im Genre Fantasy. Der Autor lebt und arbeitet im Großherzogtum Luxemburg, was in mancher Hinsicht seine fiktive Welt beeinflusst.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Ernüchterung" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Rita Bremm-Heffels

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Das Bonbon Glas von Rita Bremm-Heffels (Kindheit)
Das verstopfte freie Netz oder wie freenet arbeitet. von Norbert Wittke (Ernüchterung)
Affen im Zoo von Margit Kvarda (Humor)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen