Nadja Rohner

SMS für Katja


Es war an einem schwülen Spätsommerabend. Katja war froh, dass sie keine Jacke angezogen hatte, denn sie schwitzte sogar in ihrem leichten Pulli. Seit zwanzig Minuten stand sie nun schon an der Bushaltestelle und wartete auf ihren Freund Meik. Sie wollten zusammen in die Stadt fahren um endlich wieder einmal ins Kino zu gehen. Im ‚Royal’ lief ein guter Film, der „Gothika“ hiess. Er handelte von Geistern in einer Irrenanstalt. Katja hatte ein Faible für Geister und alles Übersinnliche. Meik war zwar nicht so begeistert von diesen Dingen, doch Katja zuliebe sah er sich auch mal einen Gruselfilm an.
 

 
Aber nun kam er nicht an den Treffpunkt. Katja wurde unruhig. Einfach zu spät zu kommen ohne Bescheid zu sagen sah Meik nicht ähnlich. Die Beiden kannten sich seit sie Kinder waren, und vor ein paar Monaten hatte es endlich gefunkt. „Wenn er in zehn Minuten immer noch nicht hier ist, verpassen wir den letzten Bus. Dann kommen wir nicht mehr in die Stadt und können den Kinobesuch vergessen!“, dachte Katja wütend. Doch auch zehn Minuten später stand sie noch alleine da. Mittlerweile waren Wolken aufgezogen und es sah nach Regen aus. Katja sah gerade noch die Rücklichter des letzen Busses in einem Waldstück verschwinden. Sie war enttäuscht. Seufzend machte sie sich wieder auf den Heimweg. Sie wohnte abseits vom Dorf auf einem umgebauten Bauernhof. Dieser lag am Hang eines Berges. Am gegenüberliegenden Berg befand sich das Haus von Meiks Eltern. Die Einzige Bushaltestelle weit und breit lag im schmalen Tal zwischen den beiden Bergen. Während sie nun langsam die Strasse zu ihrem Haus hinaufschritt, nestelte sie ihr Handy aus der kleinen Tasche ihrer Jeans und wählte Meiks Handynummer. Doch sein Handy war ausgeschalten. Auch der Anruf auf den Festanschluss bei Meik zuhause blieb unbeantwortet. Aber das wunderte Katja nicht sehr, denn Meiks Eltern waren verreist und sein grosser Bruder hörte wahrscheinlich Musik in seinem Zimmer, falls er überhaupt zu Hause war. Katja drehte sich um und blickte auf den gegenüberliegenden kleinen Berg. Von hier aus konnte sie das Haus von Meiks Eltern gerade noch sehen. Vom Haus führte eine schmale Strasse den Berg hinunter und verschwand dann zwischen den Bäumen. Dort führte er im Wald weiter, bis er dann kurz vor der Bushaltestelle im Tal wieder aus ihm heraustrat. Katja kniff die Augen zusammen. Ihr war, als ob in Meiks Haus Licht brennen würde. Ob er doch zuhause war? Vielleicht versetzte er sie ja mit Absicht? Vor ein paar Tagen hatten die beiden einen furchtbaren Streit gehabt. Katja wusste, dass sie ihren Freund sehr unfair behandelt hatte. Sie liebte Meik und wollte ihn ! auf kein en Fall verlieren, deshalb hatte sie als Versöhnung diesen Kinobesuch geplant. Doch nun sah es ganz so aus, als ob ihr Meik tatsächlich nicht verziehen hatte. Abermals seufzte Katja und ging frustriert weiter. Sie musste sich beeilen, wenn sie zu Hause sein wollte, bevor es zu regnen anfing. Also begann sie schneller zu laufen, immer schön den Berg hinauf, etwa zwanzig Minuten bis zu ihrem Haus. Kaum war sie angekommen, öffnete der Himmel seine Schleusen und ein gewaltiges Gewitter brach los. Der Wolkenbruch tat den ausgedörrten Pflanzen gut, ausserdem passte der Regen wunderbar zu der miesen Stimmung, in der sich Katjas Gemütszustand befand. Ihre Eltern waren nicht zu Hause, also entschloss sie sich, ins Bett zu gehen und ein bisschen zu lesen.
 

 
Gerade hatte sie mit dem ersten Kapitel in ihrem Lieblingsroman begonnen, da piepte ihr Handy. Genervt hob sie es vom Boden auf und las die eingegangene SMS:
 
„Katja, bitte hilf mir!“ Als Absender war Meiks Handy angegeben. Katja war ziemlich erstaunt darüber. Was sollte dies bedeuten? Sollte sie Meik wieder mal die französische Grammatik erklären oder war er etwa in Gefahr? Nochmals versuchte sie, Meik zu erreichen, doch seltsamerweise war sein Handy schon wieder ausgeschaltet. „Jetzt hab’ ich aber die Nase voll! Veralbern kann ich mich selber!“, dachte Katja, stand auf, schlüpfte in ihre Trekkingschuhe und nahm ihre warme Regenjacke vom Haken. Es regnete zwar kaum noch, aber mittlerweile war es recht kühl geworden. Im Laufschritt schlug sie den Weg ins Tal ein. Sie war echt wütend auf Meik, und wollte ihn jetzt unbedingt sehen um ihm zu sagen, was sie von seinem Verhalten hielt. Nach einer Weile blieb sie stehen und versuchte noch einmal, Meik anzurufen. Sein Handy war immer noch ausgeschaltet, aber Katja liess sich nicht beirren und probierte es auf dem Festnetzanschluss. Nach ein paar Sekunden meldete sich tatsächlich jemand, aber leider war es nicht Meik, sondern sein Bruder: „Hier ist Tobias Braun!“ - „Tobi? Ich bin’s, Katja. Kann ich bitte mit Meik sprechen?“ – „Meik? Nee, der ist nicht da! Ich dachte er wäre bei dir. Wolltet ihr nicht ins Kino?“ – „Er ist nicht gekommen!“ – „Quatsch, der ist hier um sieben weg, das weiss ich genau. Er hat sich bei mir ja noch die Schlüssel für mein Mofa geholt. Sag mal, was ist eigentlich los mit dem? Der war schon die ganze Woche total durch den Wind. Habt ihr Streit?“ – „Keine Ahnung! Aber ich hab’ vorhin,’ne SMS von ihm bekommen. Darin stand, dass er Hilfe braucht. Meinst du, ihm ist etwas passiert?“ – „Hmm, könnte schon sein.. Jedenfalls ist es seltsam, dass er nicht gekommen ist. Hast du versucht ihn zu erreichen?“ – „Ja, aber sein Handy ist ausgeschaltet. Tobi, bitte, wir müssen ihn suchen! Womöglich hatte er einen Unfall“ – „Von mir aus. Bin in zehn Minuten bei der Bushaltestelle. Tschüss.“ Damit legte Tobi auf und Katja legte einen Spurt hin, sodass sie kurz darauf im Tal ankam. Schweratmend liess sie sich auf ! eine Ban k fallen.
 

 
Als Tobi bei ihr ankam, hatte der Regen aufgehört, aber es war beinahe dunkel geworden. Zum Glück hatte er eine Taschenlampe mitgebracht. Die Beiden beschlossen, den Wald entlang der Zufahrtsstrasse zu Meiks Haus abzusuchen. Also stapften sie den Weg hinauf und riefen immer wieder nach Meik. Sie waren schon beinahe oben angekommen, als Katja ein eignartiges Kribbeln im Bauch spürte. Sie wandte sich um und ging ein paar Meter zurück. Dann leuchtete sie mit der Taschenlampe den steilen Abhang an der Seite der Strasse hinunter. Und tatsächlich: Etwa zwei Meter unterhalb der Strasse lag ein Mofa! „Meik!“, schrie Katja, sprang mit einem Satz über die niedrige Seitenmauer der Strasse und rutschte den Abhang hinunter. Bald hatte sie Meik gefunden, er lag neben einem Baumstamm und bewegte sich nicht. Aus einer Platzwunde auf seiner Stirn war Blut über sein Gesicht gelaufen. Der Anblick war nicht gerade schön. „Tobi“, rief sie Meiks Bruder zu, der oben an der Strasse wartete, „Ich hab' ihn gefunden! Ruf einen Krankenwagen, schnell!“ Dann kniete sie sich neben Meik und strich ihm liebevoll die regennassen Haare aus dem Gesicht. „Meik! Hey, hörst du mich?“ Meik schlug die Augen auf. Er versuchte, sich aufzurichten, aber es ging nicht. So blieb er stöhnend liegen. „Du darfst dich nicht bewegen, Meik! Tobi holt Hilfe. Bleib ganz ruhig!“, sagte Katja, zog ihre Jacke aus und legte sie über ihren durchnässten Freund. „Hast du starke Schmerzen?“ „M-mein Bein tut so weh“, antwortete Meik leise. Katja leuchtete Meik mit der Taschenlampe ab. Sein Bein sah wirklich furchtbar aus, der Oberschenkelknochen war gebrochen und die Spitze hatte Meiks Haut und die Hose durchbohrt. Katja musste tief durchatmen. „Äh, Meik, ich glaub, das Bein ist gebrochen.“ Da hörte Katja auch schon die Sirenen des Krankenwagens. Er war nicht mehr weit entfernt. „Meik? Hörst du? Sie kommen. Hab keine Angst, ich bin bei dir.“ Meik reagierte nicht, er war vor Schmerzen wie weggetreten. Katja nahm seine Hand und hielt sie fest. „Alles wird wieder gut!“ ! Eigentli ch wollte Katja damit Meik beruhigen, aber ihr war klar, dass sie sich mit aller Hoffnung an diese Worte klammerte und die aufsteigenden Tränen zurückdrängte. Mittlerweile war der Krankenwagen angekommen. Tobi zeigte den Sanitätern, wo sich sein Bruder befand. Katja wollte helfen, doch sie wurde sanft zur Seite geschoben. Schliesslich stieg sie den Abhang wieder hinauf und wollte auf Tobi zulaufen. Sie machte ein paar schwankende Schritte, da wurde ihr plötzlich ganz schwarz vor den Augen und ihre Knie gaben nach. Tobi war gerade noch rechtzeitig da um sie aufzufangen, bevor sie auf den harten Boden prallte. „Katja, was hast du denn? Komm, lehn dich hier an die Mauer.“ „Ach Tobi, der arme Meik.. es geht ihm so schlecht“, schluchzte Katja und brach in Tränen aus. Tobi nahm sie in den Arm. „Die werden ihn schon wieder zusammenflicken, mach dir keine Sorgen.“
 

 Am nächsten Morgen fuhren Katja und Tobi ins Krankenhaus. Sie erfuhren, dass Meik auf der Intensivstation lag. Er hatte eine offene Oberschenkelfraktur, die noch in der Nacht operiert worden war. Ausserdem hatte er sich ein paar Rippen gebrochen. Vor der Intensivstation blieb Tobi stehen. „Geh du besser mal alleine rein, Katja. Ich komme dann später nach.“ Katja nickte. Sie musste einen grünen Kittel anziehen, dann wurde sie endlich zu Meik gelassen. Er war sehr blass, und auf seiner Stirn klebte ein Pflaster. Katja atmete tief durch, dann trat sie an sein Bett. „Hey, Meik! Ich bin’s, Katja.“ Meik blinzelte, dann lächelte er Katja an: „Hallo.“ „Wie geht’s dir denn?“ “Na ja, ging mir schon mal besser.“ „Ich bin so froh dass du noch lebst!“, seufzte Katja, beugte sich vor und küsste Meik liebevoll auf die Wange. „Ich, ehrlich gesagt, auch!“ Meik grinste. Dann wurde er ernst: „Wenn ihr mich nicht gefunden hättet, hätte ich die Nacht wahrscheinlich nicht überlebt. Ich war spät dran und bin zu schnell gefahren. Dann habe ich die Kurve nicht mehr gekriegt und bin den Abhang runter gefallen. Ich hab’ noch versucht aufzustehen, aber ich konnte mich kaum bewegen, nicht einmal um Hilfe rufen. Echt, ich dachte schon, ihr findet mich nie!“ „Wieso? Du hast mir ja die SMS geschickt. Wenn ich die nicht gelesen hätte, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dich zu suchen.“ „SMS? Kann gar nicht sein. Ich war ja die meiste Zeit bewusstlos“, entgegnete Meik erstaunt. „Aber ich habe eine SMS bekommen, in der stand, dass du Hilfe brauchst! Und sie wurde von deinem Handy geschickt!“ Katja konnte es nicht glauben. Aber Meik antwortete: „Das kann auch nicht sein. Mein Handy liegt seit drei Tagen auf dem Grund des Sees – ich habe es beim Angeln verloren.“ Sofort holte Katja Ihr Handy aus der Tasche. Sie wollte Meik die Nachricht zeigen. Doch seltsam, sie war verschwunden!

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