Gaby Schumacher

Die versteckte Welt(Teil 1)



Weit, weit fort in einem fernen Land, das beherrscht wird von Feuer und Eis und umwoben von Geheimnissen und Mythen, sind die Menschen auch heute noch den Naturgewalten hilflos ausgeliefert, unter deren Launen sie häufig zu leiden haben. Betrachten sie während eines heftigen Gewitters die bizarren Felsen ihrer Heimat, an denen sich in fast nachtschwarzer Düsternis der Sturm bricht und die weiten einsamen, Mondlandschaften gleichenden Ebenen, von bedrohlichen Blitzen in unheimliches Flackern getaucht, beflügelt das ihre Fantasie.

Nur die wenigsten Bewohner dieses Landes streiten es ab. Die Meisten jedoch geben sich dem eigenartigen Zauber des Glaubens an eine andere, für Normalsterbliche unsichtbare Welt hin. Mit ihrem Herzen haben sie sie bereits gefunden, die Wesen in diesem fremden Dasein. Es sind Elfen, die sich sehnlichst ein freundschaftliches Nebeneinander mit den Menschen wünschen. Diese friedlichen Zauberwesen bewohnen die Bergregionen, leben dort in Felsenhöhlen. Ab und an wählen sie aber auch
einzelne Steinbrocken. Manchmal findet man diese dann sogar direkt an den Straßen der Menschen.

In Reykjavik, der Hauptstadt dieses Landes, steht Bauleiter Gunnar an diesem Morgen grübelnd genau vor einem solch riesigen Stein. Dummerweise lagert der genau da, wo eine Ausfahrtsstraße angelegt werden soll. "Hört ´mal, Leute!", ruft er seinen Mitarbeitern zu, die langsamen Schrittes auf ihn zustreben. "Das wird haarig, den Klotz hier wegzuhieven!" "Chef, mit dem Bagger ist das wohl kaum ein grosses Problem!", entgegnet Erik, einer der Arbeiter. "Denkste, Gunnar hat Recht. Das wird schwierig!", widerspricht Amur, sein Kollege. Er strafft die Schultern und spornt seine beiden Mitarbeiter an: "Nutzt ja alles nichts. Auf in den Kampf!" Amur spurtet zu dem Baufahrzeug, klettert hoch in die Fahrerkabine und lässt den Motor an. Der heult auf und macht einen Riesenlärm. Nur die Räder drehen durch. Doch das Fahrzeug rührt sich nicht von der Stelle. Amur springt heraus und prüft den Untergrund. Nein, der Boden ist glatt und fest. Er startet einen zweiten Versuch - umsonst! Ratlos stehen die Männer beieinander und schütteln die Köpfe. So etwas ist ihnen noch nie untergekommen.

"Holt den zweiten Bagger!", fordert Gunnar die Beiden auf. Der steht einige Minuten entfernt vor einer Baugrube. Diesmal versucht Erik sein Glück. Aber...was ist das? Das Fahrzeug setzt sich zwar in Bewegung, doch keinesfalls in der gewünschten Richtung. Stattdessen rutscht es unaufhörlich auf die Grube zu und ist auch nicht zu stoppen. Erik wird es mulmig und er ruft laut um Hilfe. Zu spät! Schon hat der Bagger den Grubenrand erreicht und rollt immer schneller in die Tiefe. Am Boden überschlägt er sich mit lautem Getöse und bleibt dann auf der Seite liegen. Die Fahrerkabine ist eingedrückt. Eriks Kopf liegt blutend auf dem Steuer. Erst nach weiteren fünf Minuten haben eifrige Helfer den Verunglückten befreit und fahren ihn dann auf dem schnellsten Wege ins nächste Krankenhaus. Wie es sich später heraus stellt, hat Erik noch einmal Glück gehabt. Es ist nur eine üble Platzwunde.

Doch dieser tragische Zwischenfall bringt die Männer nicht von ihrem Vorhaben ab. Denn schließlich haben sie ihren Auftrag auszuführen. So versucht Amur, den störenden Gesteinsbrocken mit einem Presslufthammer zu zerkleinern. Der Schweiß rinnt ihm übers Gesicht und den ganzen Körper. Steinstückchen über Steinstückchen fliegen in alle Himmelsrichtungen. Plötzlich saust eine abgeschlagene überstehende Steinspitze mit rasender Geschwindigkeit dem Arbeiter ins Gesicht. Der schreit auf, lässt sein Werkzeug fallen und schlägt verzweifelt die Hände vor seine Augen. " Neiin! Oh Gott, ich kann nichts mehr sehen! Hilfe!!" Panisch um sich tastend taumelt Amur hilflos herum. Fassungslos haben Gunnar und die Umstehenden das Geschehen beobachtet. Das Hammer ist doch richtig angesetzt worden. Wie konnte das nur passieren?

Gunnar wird es eigenartig zumute. Er bemüht sich um Gelassenheit, denn es ist ihm ein unheimlicher Gedanke gekommen. Wie, wenn da etwas Wahres dran wäre, an den Sagen um eine fremde Welt? Sollten tatsächlich unbekannte Wesen ihre Hand im Spiel haben? Insgeheim hält er es längst durchaus für möglich. Also spinnt er seine Überlegungen weiter: "Wollen sie uns Menschen auf diese Weise etwas dringlichst klar machen, uns zurechtweisen oder, wie wohl in diesem Falle, eher gar für irgendetwas strafen? Aber wofür dann bloß?" Eine Gänsehaut kriecht ihm über den Rücken. Gleich ihm ergeht es auch seinen Kameraden. Aschfahlen Gesichtes stehen sie wortlos wie gelähmt neben ihm und stieren gebannt auf den ihnen unheimlich gewordenen Stein.

Urplötzlich verdunkelt sich der Himmel. Allein der Fels schimmert in einem blassen Licht. Unfähig, sich zu rühren, verharren die Männer weiterhin auf ihrem Platz. Im leuchtenden Schein erkennen sie zwei zierliche beflügelte Wesen von der Größe eines halbwüchsigen Kindes. Sie hocken oben auf dem Stein und sehen die Männer unendlich traurig und sehr vorwurfsvoll an. Es sind Piri und Emir, zwei Elfenjungen, von der Elfenkönigin ausgesandt, den Menschen ins Gewissen zu reden oder sie, wie jetzt eben, streng für ihre Rücksichtslosigkeit zu bestrafen.

"Weshalb nehmt ihr uns unser Zuhause?", fragt Piri mit zittriger Stimme. Er ist der Jüngere der Beiden und fühlt sich dementsprechend unsicher.
"W...Woher sollen wir ahnen...?!", stottert Gunnar, immer noch wachsbleich um die Nasenspitze herum.
" Ahnen??", entgegnet Emir scharf, "die Meisten von euch glauben doch an unsere Existenz. Ihr erzählt euch ganz viele Geschichten über uns. So wisst ihr doch, dass wir in den Felsen leben. Weshalb habt ihr vorher nicht versucht, mit uns in Kontakt zu treten? Dann hätten wir alles gütlich regeln können!"

Gunnars Begleiter haben ihre Sprache wiedergefunden: "Ihr macht es euch aber sehr einfach. Schließlich ist dies unsere Welt, unsere Stadt. Wir brauchen diese Straße als Verbindung zur nächsten Ortschaft. Über die spärlichen Verkehrswege in dieser Gegend seid ihr garantiert informiert!"

"Also...", hub Emir von neuem an, "die Elfenkönigin lässt euch bestellen: Falls dieser Stein nicht an seinem Platz verbleibt, wird sich die unsichtbare Welt wegen eurer Rücksichtslosigkeit furchtbar an euch rächen. Krankheit und Tod werden die Einwohner eurer Stadt dahinraffen. Überdenkt ihr aber euer Vorhaben nochmals, so werden wir auf ewig eure Freunde sein und euch helfen, wann immer Beistand angesagt ist!"

"Ihr habt doch hier soviel Platz!", wirft Klein-Piri fast schüchtern ein. "Baut doch die Straße ein paar Meter weter vor. Dann habt ihr euren Fahrweg und wir können trotzdem hier wohnen." "Genau!", ergänzt Emir mit Nachdruck, "überlegt es euch gut. Ist unsere Königin wütend, ist mit ihr nicht zu spaßen!" "Und es wär`doch so schön, wenn wir in Frieden nebeneinander lebten. Ohne Streit und Krieg!", meint Piri, durch die Untersützung seines Freundes etwas mutiger geworden.

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Gaby Schumacher
Gaby Schumacher, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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