Die Sterne erhellten den wolkenfreien Himmel und der Mond lachte auf die Erde nieder. Es war ruhig im Drachenschloss. Nur eine Eule zerbrach ab und zu die geheimnisvolle Stille. Cado hatte seine Kinder ins Bett gebracht und sich noch ein wenig auf die Bettkante gesetzt.
„Du Papa“, fragte seine Tochter Snisa, „warum ist heute eigentlich alles so ruhig?“ „Ja, wisst ihr das denn nicht?“ fragte der Drachenkönig seine Kinder. Snisa und Estin schüttelten den Kopf. „In jedem Jahr in der Nacht zum ersten Mai ist die Walpurgisnacht. Dann treffen sich die Hexen der Welt und feiern ein berauschendes Fest. Sie kochen zusammen Zaubertränke in ihren großen alten Eisenkesseln und tanzen um das magische Feuer herum.“ Snisa und Estin zogen sich ängstlich ihre Decken bis unter die Nasen. „Aber ihr müsst doch keine Angst haben“, lächelte Cado, „es sind alles gute Hexen und sie werden euch nichts tun. Möchtet ihr, dass ich euch eine Gute-Nacht-Geschichte über die Hexe Sommernacht erzähle?“ „Au ja“, sagte Estin und kroch neugierig wieder unter seiner Decke hervor. Der Drachenkönig nahm seine Kinder liebevoll in den Arm und fing an zu erzählen ...
***
In einem weit entfernten Land, dort wo die Magie zu Hause ist, lebte auf einem hohen Kristallberg die Hexe Sommernacht. Sie war natürlich eine gute Hexe und war berühmt für ihre heilsamen Wundertränke. Sie wohnte in einem kleinen niedlichen Hexenhäuschen. Wenn man ihr Haus betrat sah man sofort die Hexenküche. Dort brodelte am Tag und in der Nacht immer der alte Eisenkessel über einem Feuer. In den Regalen standen Hunderte von kleinen Flaschen in denen die wundersamsten Dinge zu Hause waren. Drachenschuppen, Schlammschnecken und die verschiedensten Kräuter, um nur einige dieser seltsamen Dinge zu nennen.
Es war der letzte Tag im April und wie jedes Jahr bereitete sich die Hexe Sommernacht auf die Nacht der Nächte vor - die Walpurgisnacht. In jedem Jahr veranstalteten die Hexen einen großen Zauberwettbewerb und natürlich wollte jede Hexe besser als alle anderen sein. Für dieses Jahr hatte Sommernacht etwas besonderes erfunden. Einen Zaubertrank mit welchem sich die schönsten Feuerwerke zaubern ließen.
Sommernacht besaß eine große schwarze Hexentasche. Dort hinein packte sie ihre Hexenutensilien. Zuerst ihren großen Kessel, dann einen Tisch und viele kleine Flaschen. Wieso das alles in ihre Tasche passte, fragt ihr?! Es war doch eine Hexentasche und sie war von innen viel größer als sie von außen aussah. Tautropfen, ihre schwarze Katze saß schon ungeduldig bei ihrem Zauberbesen und erzählte ihm einen Witz. Den fand der Zauberbesen zwar wirklich gut, aber er kannte doch noch einen besseren Witz. Nervös lief Sommernacht hin und her. Suchte dort noch eine Zutat oder packte noch einige Geschenke für ihre Freundinnen ein. Es wurde immer später und die sonne ging bereits unter. „Wir müssen uns langsam aufmachen“, sagte Tautropfen. Sommernacht sah aus dem Fenster und nickte. „Ja, du hast Recht. Beeilen wir uns.“
Der Weg war zwar weit. Der Besen flog aber so schnell, dass er sogar ein Flugzeug überholte. Sommernacht hielt ihren Hexenhut fest und Tautropen umklammerte fest den Besenstiel. Treffpunkt der Hexen war de Zauberwald. Als sich Sommernacht dem tiefen, dunklen Wald näherte, sah sie schon die anderen Hexen. Alle warteten nur noch auf sie. Vorsichtig setzte der Besen zur Landung an. „Bin ich zu spät“, fragte Sommernacht die Hexe Immergrün. „Nein, du hast Glück“, antwortete diese, „wir sind auch gerade erst gekommen.“ Sommernacht stellte ihre Tasche zur Seite. Danach ging sie zu den Anderen, während Tautropfen sich mit einem stattlichen Kater unterhielt.
„Herzlich willkommen“, ertönte die Stimme der Oberhexe. Sie war schon sehr alt und stand auf einem kleinen Podest. Jede Hexe kannte den Ablauf dieser Nacht, denn zuerst stand der alljährliche Hexentanz an. alle Hexen versammelten sich um den riesigen Kessel. Er stand in der Mitte der kleinen Lichtung und in ihm brodelte bereits eine leckere Suppe. „Hexenlied, ihr seid gebannt, drum seit entspannt und tanzt, tanzt, tanzt“, erklang der Zauberspruch der Oberhexe. Als ihre Worte verklungen waren erschienen aus dem dunkel des Waldes viele Geister mit bunten Musikinstrumenten. Zuerst war ihre Musik nur ganz leise zu hören, aber dann wurde sie immer lauter. Die Hexen stiegen auf ihre Besen und tanzten durch die Luft. Einige fassten sich bei den Händen, andere flogen wild umher.
Unaufhörlich tanzten die Hexen und die Zeit verging wie im Fluge. Von Weitem hörten sie die Turmglocken. Es war zwölf Uhr. Jetzt begann der große Zauberwettbewerb. Zuerst war Immergrün an der Reihe. sie hatte einen Zaubertrank gemixt, mit welchem sich die Farben der Pflanzen verzaubern ließen. Aus grün wurde rot mit gelben Flecken und aus braun wurde blaugrün gestreift. Es war ein tolles Schauspiel und alle anderen Hexen klatschten. Immergrün verbeugte sich tief. Lächelnd ging sie zurück auf ihren Platz.
Danach war die Hexe Schneeflocke an der Reihe. Sie war die jüngste Hexe. Deshalb führte sie auch nur ein paar einfache Hexenkunststücke vor. Aber auch, wenn die älteren Hexen diese Zaubertricks schon in der Schule gelernt hatten, so klatschen sie doch alle um Schneeflocke ein wenig Mut zu machen und ihr beizustehen. Schließlich hatten auch sie einmal klein angefangen.
Eine Hexe nach der anderen führte ihr Kunststück vor. silberpfeil zauberte sich ganz klein, Waldmoos ganz groß. Sommernacht war die letzte die ihr Zauberstück vorführen durfte. Ein wenig nervös war sie schon, denn die Gewinnerin dieses Wettbewerbes erhielt einen niegelnagelneuen Zauberstab. Sommernacht wünschte sich schon lange einen neuen Stab, denn so ein Stab war gar nicht einfach zu beschaffen. Zauberstäbe bestanden nämlich aus einem Holz, welches nur in den dunkelsten Ecken des Zauberwaldes zu finden war. Dort war es richtig unheimlich und wenn man einen neuen Stab haben wollte, galt es viele schwierige Prüfungen zu bestehen.
Tautropfen saß auf ihrer Schulter und beruhigte sie ein wenig. „Ganz ruhig“, sagte sie zu Sommernacht, „du kannst diesen Trank doch schon im Schlaf mischen.“ Sommernacht atmete tief durch und fing dann an ihre Zutaten miteinander zu vermixen. Langsam köchelte es in ihrem Kessel und die kunterbunte Flüssigkeit vermischte sich mit Efeu und Sonnenstrahlen. Nach einer Weile war der Zaubertrank fertig. Sommernacht nahm ihren Zauberstab in die Hand, schlug dreimal mit ihm an den Kessel und ging einige Schritte zurück. Zuerst passierte gar nichts, aber dann brodelte es in ihrem Kessel und einige Funken sprühten heraus.
Sommernacht setzte sich zu den anderen Hexen um das Schauspiel zu genießen. Es war als ob der Kessel explodierte. Kleine und große Raketen schossen in den Himmel. Sie erhellten die Nacht so sehr, dass die Sterne bald nicht mehr zu sehen waren. „Ohhh“, staunten die einen Hexen. „Ahh“, starrten die Anderen zum Himmel. Ganze zehn Minuten dauerte das Feuerwerk. Die Hexen waren begeistert und klatschten so sehr, als ob sie gar nicht mehr aufhören wollten. Nach einigen Minuten erhob sich die Oberhexe und beruhigte ihre Freundinnen. „Ich glaube“, lachte sie, „die Wahl der Siegerin wird uns nicht schwer fallen. Sommernacht, komm’ doch bitte zu mir.“ Sommernacht konnte ihr Glück gar nicht fassen, denn die Oberhexe hielt ihr strahlend den neuen Zauberstab entgegen. Natürlich musste Sommernacht ihn auch direkt ausprobieren. Sie zauberte für die anderen Hexen einige leckere Torten und sie feierten noch bis die Sonne aufging.
***
Hier beendete der Drachenkönig seine Geschichte. Eigentlich wollte er noch wissen, ob seine Erzählung Snisa und Estin gefallen hatte. Aber seine beiden Kinder lagen bereits zusammengekuschelt in ihrem Bett und schliefen fest.
Cado deckte seine Kinder noch einmal zu und gab ihnen einen dicken Kuss auf die Wangen. „Eine gute Nacht wünsche ich euch“, sagte er lächelnd, „euch, und allen anderen Kindern dieser Welt.“
... aus Cado's Drachenjahr
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.05.2002.
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