Birgit Seitz

Ach!

Ach.

Ach, er ist weg.

Und irgendwie fehlt er mir. Sein Dahinscheiden hat ein klitzekleines Loch in mein Herz gerissen. Obwohl „reißen“ nicht so ganz stimmt, ich will ja nicht maßlos übertreiben. „Zupfen“ wäre vielleicht das passendere Verb, schließlich hab ich da oben von einem klitzekleinen Loch geschrieben, nicht von einem Riesenkrater mit kilometerweiten Ausmaßen.

Also noch mal: Sein Dahinscheiden, welches auch ein ganz natürliches, immer wiederkehrendes Ritual bedeutet, um das ich mir ja auch jahrelang überhaupt gar keine weiteren Gedanken gemacht habe, außer eben dieses Jahr, hat ein klitzekleines Loch in mein Herz gezupft. Genau an die Stelle, an die er mir ja gewachsen war.

Und nun – ist er weg. Für sein Dahinscheiden hat mein Mann gesorgt. Ich hätte ebenfalls dafür mitgesorgt, hätte ich nicht grade eine e-Mail geschrieben. Aber so hat es nun eben mein Gatte getan. Das macht es nicht minder schlimm, eigentlich macht es das sogar noch viel schlimmer, als wenn ich selbst auch noch Hand angelegt hätte. Dann hätte ich nämlich noch die Möglichkeit gehabt, ein wenig Abschied nehmen zu können.

Stück für Stück – beim Zerlegen seiner einzelnen Glieder - hätte ich liebreizende Kinderlieder summen können, ihn streicheln, ihn liebkosen, ihm Trost zusprechen. Aber ich habe ja eine e-Mail geschrieben, und als ich fertig war, stand nur noch ein karges Überbleibsel seines einstmals majestätischen Antlitzes.

 

Ich sag Ihnen, das hat mich ganz schön mitgenommen. Immerhin war er 16 Tage lang bei uns zu Gast, in all seiner Pracht.

„Er wird es gut haben, bei uns“, sagten wir zueinander, mein Mann und ich, als wir ihn auserkoren hatten, unter all den anderen, die noch schöner und makelloser neben ihm standen. Dennoch fiel unser Blick auf ihn. Ihn allein. Seine schüchterne Zurückhaltung und sein bescheidenes Wesen betörte uns.

Sein Preisschild allerdings auch, denn er war ein Sonderangebot. Aber ein schönes Sonderangebot. Nicht so aufdringlich knallig, wie die bei Mediamarkt. Nein, eher so eines, wo man sich wirklich sagt: „Das ist sie. Die Gelegenheit. Dieser Besitz wird uns Freude bereiten und den anderen Familienmitgliedern ebenfalls zur Entzückung gereichen.“

Na gut, ich will ehrlich sein, wäre er ein Möbelstück für immer und ewig gewesen, hätten wir vielleicht noch’n paar mehr Euro abgedrückt, um einen wirklich perfekten Schrank oder so zu bekommen, aber wenn man sich überlegt, was Weihnachtsbäume heutzutage so kosten, und dass man für die Kohle eines großen, wenigstens ein bissel grade gewachsenen Exemplars gut und gerne 40 Euro ausgeben muss, vergeht einem doch der Appetit auf die Weihnachtsgans, finden sie nicht auch? Außerdem: 16 Tage!

Trotzdem war er wirklich hübsch, gut gerochen hat er und alle waren bei seinem Anblick wirklich angetan. Nicht nur wegen seines Anblicks an sich, sondern eben auch wegen des Gefühls, das sich einstellt, wenn das Bäumlein sauber und herausgeputzt, mit hübschen Kugeln, kleinen Lichtlein und niedlichen Holzfigürchen, mit seinen grünen, weichen Armen ausladend die Geschenke beschützt. DAS ist Kindheit. Da bekomme ich ein leises Heimatgefühl. So eine zufriedene, innere Ruhe, die sich auch nach den Weihnachtstagen immer dann eingestellt hat, wenn ich in der ersten Dämmerung zur Begrüßung des Abends den Stecker der Lichterkette in die Steckdose gesteckt habe.

 

Ach Menno!

Und nun ist er weg. Nicht mal im Ganzen, sondern zerlegt. Weil Tannennadeln so schlecht aus Autopolstern rausgehen, hatten wir uns entschlossen, die Biomülltonne zu bemühen.

 

Tja, so schnell kanns gehen. Da fackelt mein Mann auch nicht lange. Abgeschmückt, Äste ab, Müllbeutel auf, aus die Maus.

Ich will nun nicht behaupten, dass ich es nicht okay finde, dass so langsam aber sicher sämtlicher Krams, der da stand, wo vorher der Tannebaum stand, den wir dann im Schlafzimmer unterbringen mussten, weil er ja Platz brauchte, um sich zu entfalten und uns gut zu tun, ... wo war ich? ... also dass der Plunder nun wieder seinen alten Platz einnimmt. Im Schlafzimmer mülle ich mich ja auch nicht so gern voll .. aber ein Jammer ist es schon.

Ich hatte mich wirklich schon an ihn gewöhnt. So manchmal bin ich an ihm vorbeigegangen, habe ihn sacht gestreichelt und hatte ein „Na, Süßer?“ auf den Lippen. Ein bissel bin ich heute meiner Kindheit beraubt worden, absichtlich und voller eigenen Bewusstseins.

Ja, ich weiß, es ist besser so. Der hat ja auch schon ganz schön genadelt, nech, und Ostern ist ja auch bald, so ist das Leben, wo Altes schwindet, ist Platz für Neues.

 

Ist mir alles egal. Vielleicht berichte ich in der nächsten Geschichte ja, wie sehr ich mich auf Ostern freue oder so. Bis dahin muss ich mich aber noch ein bissel selbst bemitleiden und den ganzen Schnickschnack einsammeln, den ich noch so vergessen habe.

 

© Birgit Seitz

 

 

Ja, diesmal authentisch ;-)Birgit Seitz, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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