Silvia Pree

Einmal zu oft...

Wieder stehe ich am Fenster meiner Wohnung.
Siebter Stock.
Ich sehe nach unten.
Beobachte das Getümmel auf der Straße.
Die Autos.
Fußgänger.
Radfahrer.
Dort ein langer LKW.
Und ich stelle mir das vor.
Wie das ist.
Wenn ich einen Stuhl nehme.
Auf den Fensterrahmen klettere.
Und mich dann nach unten falle lasse.
Mit geschlossenen Augen.
Ich spüre den Wind.
Die Kälte.
Und werde immer schneller.
Ganz schnell.
Und dann weiß ich nichts mehr.
Ich schlage auf.
Und im selben Moment höre ich auf zu sein.

Ich öffne die Augen wieder.
Leicht irritiert.
Mir wird immer schwindlig.
Wenn ich lange am Fenster stehe.
Und hinunterstarre.
Eine schöne Vorstellung.
Ich habe mir schon anderes überlegt.
Tabletten.
Aber wie sollte ich das meinem Arzt erklären?
So viele Schlaftabletten?
Auf einmal?
Pulsadern aufschneiden.
Ich habe Angst davor.
Blut ist ekelig.
Ich hasse die Vorstellung so zu bluten.
Blut, das immer mehr wird.
Das klebt…
Ich dachte auch an Selbstmord mit dem Auto.
Gegen eine Mauer fahren.
Ungebremst.
Oder auf der Autobahn.
Als Geisterfahrer.
Aber würde mich nicht der Mut verlassen?
Kurz bevor ich auf’s Gas steigen soll?
Um ganz stark zu beschleunigen?
Aber wenn ich erst gesprungen bin.
Ist es vorbei.
Dann kann ich nicht mehr zurück…

Ich schließe das Fenster wieder.
Eigentlich wollte ich dir meinen Tod ankündigen.
In einem langen, hasserfüllten Brief.
Du hast  mich immer nur wie Dreck behandelt.
Benutzt.
Und betrogen…
Bis du mich verlassen hast.
Verlassen…
Einmal mehr.
Du bist nicht der erste.
Ich bin wohl bestimmt dafür.
Wenn mich jemand schlägt.
Halte ich die andere Wange hin.
Wenn mich einer betrügt.
Verstecke ich mich in einer Ecke.
Und weine.
Weine ohne Unterlass.
Und hoffe gleichzeitig:
Bitte.
Er soll zurückkommen.
Bitte.
Vielleicht bin ich wirklich ein dummes Huhn.
Wie du immer gesagt hast.
Die anderen zuvor haben es sich wohl nur gedacht…

Einmal zu oft.
Auch du hast mich verlassen.
Obwohl ich so geduldig war.
Obwohl ich deine Freundinnen tolerierte.
Bist du gesagt hast.
Ich hab genug von dir!
Warum?
Ich wachte auf.
Jeden Morgen.
Und kannte nur einen Gedanken.
Ich möchte sterben.
Ich möchte nicht mehr sein.
Nicht mehr denken müssen.
An all die Demütigungen.
An das Leid.
An den Kummer.
Die unerträgliche Einsamkeit…
Wozu lebe ich?
Wozu wurde ich geboren?
Als Fußabstreifer?
Ich sehnte mich so nach Liebe.
Nach Geborgenheit.
Ich wollte ein Kind.
Von dir.
Ich wünschte es mir so sehr.
Deine letzte Freundin hat es bekommen.
Das Kind, das ich von dir wollte.
Ich hatte ihm sogar schon einen Namen gegeben…

Mich hast du nicht geheiratet.
Ihr zwei werdet heiraten.
In zwei Tagen.
Also werde ich morgen springen.
Morgen Nachmittag.
Dann, wenn der Countdown bei euch läuft.
Für euer großes Fest.
In das dann die Nachricht platzen wird:
Ihre Ex-Freundin ist tot.
Selbstmord.
Wissen Sie etwas darüber?
Ich muss lächeln.
Wenn ich mir dein Gesicht dabei vorstelle.
Wütend.
Überrascht.
Mit großen Augen.
Wie immer.
Wenn ich dich enttäuscht habe…
Und das habe ich so oft…
Wie sie wohl reagieren wird?
In ihrem weißen Tüllkleid.
Vielleicht ist es auch aus Seide.
Oder ganz aus Spitze…
Sie wird bezaubernd darin aussehen.
Sogar wenn sie weint.
Weint, weil ich ihr den schönsten Tag im Leben vergällt habe…

Ich ziehe den Vorhang vor.
Es ist dunkel geworden.
Und kühler.
Ich starre in die Luft.
Lange.
Ich weiß nicht, wie lange.
Irgendwann ziehe ich mich aus.
Schlüpfe in mein Nachthemd.
Lege mich in mein Bett.
Das letzte Mal.
Ich weiß es.
Und fühle mich seltsam leer.
Aber auch befreit.
Morgen noch.
Einmal noch aufwachen.
Und sterben wollen.
Einmal noch.
Ist der Gedanke nicht tröstlich?
Ich schließe die Augen.
Und spüre wieder den Wind.
Wenn ich falle.
Mich hält nichts mehr.
Nicht in diesem Leben.
Ich kann nicht so weitermachen.
Wieder einen Mann.
Der mich nur wie Dreck behandelt.
Nein.
Ich kann nicht mehr.
Ich habe es ertragen.
Einmal zu oft…

Vivienne

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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