Vadim Pryde

Die letzte Welt (Teil V)

Ein kleines Zimmer, spärlich eingerichtet. Es ist Nacht. Der Mond lässt seine kalten Strahlen durch das Fenster rieseln und die gespenstischen Finger und Klauen des Baumes vor dem Fenster ziehen ihre unheimlichen Schatten auf und ab. Stille. Nur ein leises Ticken von einem Wecker auf dem Nachttisch, die Zeit in ein präzises Werk aus Zahnrädern und Endlosigkeit gepresst. Die Gutenachtgeschichte einer Kleinstadt irgendwo zwischen Oblaten und kaltem Tee, in einem vierstöckigen Haus, einem Stapel Ziegel und Holz.
            Draußen beginnt Lärm. Der Lärm einer Nacht die Feuer entfachte und einen Sturm aus Zorn und Tod über die kleine Stadt brachten wie sie ihn noch nie gekannt hatte. Und das alles spürte ich schon im Lärm – das Sterben, die Verzweiflung – er brachte sie mit.. Im Beben der rasselnden Raupen des Tigers.
 
Schreie in einer unbekannten Sprache. Ich musste sie nicht kennen um zu verstehen worum es ging. Donnersalven, noch mehr Schreie, diesmal Angst und Schrecken. In keiner Sprache die man kennen musste um sie wahrzunehmen. Rennende Leute, Verwirrung und Unschlüssigkeit, wie eine Welle aus Wahn und gefrorenem Zucken das einem den Rücken hinaufläuft und im Nacken stecken bleibt wie ein Kloß im Hals. Ein Geschwür aus Finsternis und Bedrohung in ruhendem Gewebe, in Ruhendem und nichts als den Zweck kennenden Geflecht.
            Da kommen sie, sie holen den Kleinen noch schlafenden Körper aus der warmen Wiege des Sandmanns. Er greift nach mir, nimmt mich mit und drückt mich an sich in der Hoffnung wieder in den Schlaf zu sinken in dem er gerade noch schwebte. Er träumte davon an einem Bach mit seinem kleinen Holzboot zu spielen und hatte dann einen Fisch erblickt, der ihn ansah und das Boot schaukelte. Aus der Traum. Wachgerüttelt durch Bewegung, hektische unsanfte. Kälte kriecht langsam in die müden Glieder und lässt ihn sich winden. Der eisige Hauch des Herbstes fegt den vier verstörten und verängstigten Gestalten um mich Laub ins Gesicht und um die Füße.
            Wieder Schreie, Anweisungen. Kalter Stahl fordert sie auf voneinander getrennt Aufstellung zu nehmen. Die Kleinen werden von den Alten getrennt und in einer Gruppe mit ihresgleichen aneinandergepfercht. Der Große weigert sich. Er kommt auf uns zu und will nicht fort. Ein Donnerschlag, seine Augen verstarren und er kippt langsam beiseite wo er stand. Die letzten Bewegungen lassen das Leben aus seinem Körper weichen und ein weiterer Donnerschlag jagt seine Seele endgültig hinfort. Noch mehr Schreie. Schmerz. Unverständnis, Angst und Schmerz. Seine kommt zu dem verlassenen Körper, wirft sich auf die Knie und drückt die leblose Hülle an sich und greift nach ihm. Verlassen in dem Wahn ihn nicht mehr spüren zu können zerbricht sie. Wie eine Blüte die im Zeitraffer ihre Blätter welk werden lässt und in sich zusammensinkt um auf den letzten Herbst zu warten der ihr bevorsteht. Wieder ein Einschlag. Wieder sinkt ein Körper leblos zusammen als ihm das entwich was ihn zu dem machte was er war. Vergnügen. Bizarres und widerliches Vergnügen.
            Da stand er, der Stahl in seiner Hand rauchte in lebensverachtenden Schwaden. Da stand er und lachte die Schöpfung aus. Widerwärtig. Sein Geist war vergiftet, ein Schleier aus undurchdringlichem Dreck, einer Mischung aus seelischer Konditionierung und finstrer Begierde. Die Geliebte sein war die Macht über den Tod anderer, wenn sie ihm auch die Macht über seinen eigenen zu versprechen schien. Sie heizte ihn von innen mit einer Flamme die sich von Zorn und Elend ernährte und spielte ihm vor ein warmes Lichtlein zu sein an das er sich immer setzen und in dem er Frieden finden könnte. Und so tauchte er immer weiter in den verfaulenden Sud, bis von seinem innersten nur noch ein Kadaver einer Seele übrig geblieben.
 
Fassungslosigkeit und Angst, die herausgerissene Wurzel eines Setzlings. Ein einziger nimmer enden wollender Alptraum, wie die letzte Leinwand eines Künstlers, der nichts weiter hat. Zerrissen und in Fetzen gefasert noch bevor er den ersten Pinselstrich beenden konnte. Verzweiflung und ohnmächtige Wut. Ich wurde ihm entrissen. Kam auf einen Stapel verschiedener Dinge. Weggezerrt. Eingesperrt. Einem Vogel wie von kalter Angst gepackt gleich, der sich gegen die Gitter seines Käfigs schmettert. Ein kalter Schmerz, das Einfrieren von allem was einst war. Und dann Leere.
            Eine Hand griff nach mir und das Gefühl in ihr klang wie „Still, nicht bewegen!“ Ein ruhiges und dennoch entschlossenes Dasein packte mich aus dem Gebirge lebloser Dinge. Gelbes Licht aus einer kleinen Birne, mit Gittern beschlagen – fast wie ein Vogelkäfig – an der Wand festgezimmert. Der, der mich mit sich nahm war nicht unvorsichtig. Er bewegte sich leise und bedacht. Lärm kam von unten und er schien zu spüren das er da nicht unbemerkt entkommen konnte. Worte. Kratzen. Die nächste Bewegung tauchte mich wieder in endlose Verzerrung an Erinnerungen, in eine Spiegelwelt aus tausenden winziger Splitter. Licht.
 
An der Brandung wartend bis mein Kind mich besucht. Vergebens. Von jener Nacht wird er nicht viel behalten was es sich in Erinnerung zu holen lohnt. Und mich wird er nicht am meisten vermissen, denn ich war nicht das was er am schwersten verloren hat. So vergingen Zeiten, an denen ich nicht wusste wer ich war. An denen ich es nicht wissen wollte. Und die anderen merkten schnell, daß ich viel zu viel mitgebracht habe. Sie brauchten mich nicht, sie mieden mich und so wartete ich.
 
            Als ich wieder erwachte konnte ich Serene bei mir spüren. Sie hatte sich um mich gelegt wie ein Tuch aus Samt. Ich muss wohl wieder meine Form verlassen haben als ich mich den finsteren Träumen meiner selbst hingegeben habe, ohne wirklich zu ruhen. Aber jetzt kann ich es. Einen Augenblick lang für die Ewigkeit. Ich schloss die Augen und verband mich mit ihr.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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