Ein kleines Zimmer, spärlich eingerichtet. Es ist Nacht. Der
Mond lässt seine kalten Strahlen durch das Fenster rieseln und die
gespenstischen Finger und Klauen des Baumes vor dem Fenster ziehen ihre
unheimlichen Schatten auf und ab. Stille. Nur ein leises Ticken von einem
Wecker auf dem Nachttisch, die Zeit in ein präzises Werk aus Zahnrädern und
Endlosigkeit gepresst. Die Gutenachtgeschichte einer Kleinstadt irgendwo
zwischen Oblaten und kaltem Tee, in einem vierstöckigen Haus, einem Stapel Ziegel
und Holz.
Draußen
beginnt Lärm. Der Lärm einer Nacht die Feuer entfachte und einen Sturm aus Zorn
und Tod über die kleine Stadt brachten wie sie ihn noch nie gekannt hatte. Und
das alles spürte ich schon im Lärm – das Sterben, die Verzweiflung – er brachte
sie mit.. Im Beben der rasselnden Raupen des Tigers.
Schreie in einer unbekannten Sprache. Ich musste sie nicht
kennen um zu verstehen worum es ging. Donnersalven, noch mehr Schreie, diesmal
Angst und Schrecken. In keiner Sprache die man kennen musste um sie
wahrzunehmen. Rennende Leute, Verwirrung und Unschlüssigkeit, wie eine Welle
aus Wahn und gefrorenem Zucken das einem den Rücken hinaufläuft und im Nacken
stecken bleibt wie ein Kloß im Hals. Ein Geschwür aus Finsternis und Bedrohung
in ruhendem Gewebe, in Ruhendem und nichts als den Zweck kennenden Geflecht.
Da kommen
sie, sie holen den Kleinen noch schlafenden Körper aus der warmen Wiege des
Sandmanns. Er greift nach mir, nimmt mich mit und drückt mich an sich in der
Hoffnung wieder in den Schlaf zu sinken in dem er gerade noch schwebte. Er
träumte davon an einem Bach mit seinem kleinen Holzboot zu spielen und hatte
dann einen Fisch erblickt, der ihn ansah und das Boot schaukelte. Aus der
Traum. Wachgerüttelt durch Bewegung, hektische unsanfte. Kälte kriecht langsam
in die müden Glieder und lässt ihn sich winden. Der eisige Hauch des Herbstes
fegt den vier verstörten und verängstigten Gestalten um mich Laub ins Gesicht
und um die Füße.
Wieder
Schreie, Anweisungen. Kalter Stahl fordert sie auf voneinander getrennt
Aufstellung zu nehmen. Die Kleinen werden von den Alten getrennt und in einer
Gruppe mit ihresgleichen aneinandergepfercht. Der Große weigert sich. Er kommt
auf uns zu und will nicht fort. Ein Donnerschlag, seine Augen verstarren und er
kippt langsam beiseite wo er stand. Die letzten Bewegungen lassen das Leben aus
seinem Körper weichen und ein weiterer Donnerschlag jagt seine Seele endgültig
hinfort. Noch mehr Schreie. Schmerz. Unverständnis, Angst und Schmerz. Seine kommt
zu dem verlassenen Körper, wirft sich auf die Knie und drückt die leblose Hülle
an sich und greift nach ihm. Verlassen in dem Wahn ihn nicht mehr spüren zu
können zerbricht sie. Wie eine Blüte die im Zeitraffer ihre Blätter welk werden
lässt und in sich zusammensinkt um auf den letzten Herbst zu warten der ihr
bevorsteht. Wieder ein Einschlag. Wieder sinkt ein Körper leblos zusammen als
ihm das entwich was ihn zu dem machte was er war. Vergnügen. Bizarres und
widerliches Vergnügen.
Da stand
er, der Stahl in seiner Hand rauchte in lebensverachtenden Schwaden. Da stand
er und lachte die Schöpfung aus. Widerwärtig. Sein Geist war vergiftet, ein
Schleier aus undurchdringlichem Dreck, einer Mischung aus seelischer
Konditionierung und finstrer Begierde. Die Geliebte sein war die Macht über den
Tod anderer, wenn sie ihm auch die Macht über seinen eigenen zu versprechen
schien. Sie heizte ihn von innen mit einer Flamme die sich von Zorn und Elend
ernährte und spielte ihm vor ein warmes Lichtlein zu sein an das er sich immer
setzen und in dem er Frieden finden könnte. Und so tauchte er immer weiter in
den verfaulenden Sud, bis von seinem innersten nur noch ein Kadaver einer Seele
übrig geblieben.
Fassungslosigkeit und Angst, die herausgerissene Wurzel
eines Setzlings. Ein einziger nimmer enden wollender Alptraum, wie die letzte
Leinwand eines Künstlers, der nichts weiter hat. Zerrissen und in Fetzen
gefasert noch bevor er den ersten Pinselstrich beenden konnte. Verzweiflung und
ohnmächtige Wut. Ich wurde ihm entrissen. Kam auf einen Stapel verschiedener
Dinge. Weggezerrt. Eingesperrt. Einem Vogel wie von kalter Angst gepackt gleich,
der sich gegen die Gitter seines Käfigs schmettert. Ein kalter Schmerz, das
Einfrieren von allem was einst war. Und dann Leere.
Eine Hand
griff nach mir und das Gefühl in ihr klang wie „Still, nicht bewegen!“ Ein
ruhiges und dennoch entschlossenes Dasein packte mich aus dem Gebirge lebloser
Dinge. Gelbes Licht aus einer kleinen Birne, mit Gittern beschlagen – fast wie
ein Vogelkäfig – an der Wand festgezimmert. Der, der mich mit sich nahm war
nicht unvorsichtig. Er bewegte sich leise und bedacht. Lärm kam von unten und
er schien zu spüren das er da nicht unbemerkt entkommen konnte. Worte. Kratzen.
Die nächste Bewegung tauchte mich wieder in endlose Verzerrung an Erinnerungen,
in eine Spiegelwelt aus tausenden winziger Splitter. Licht.
An der Brandung wartend bis mein Kind mich besucht.
Vergebens. Von jener Nacht wird er nicht viel behalten was es sich in
Erinnerung zu holen lohnt. Und mich wird er nicht am meisten vermissen, denn
ich war nicht das was er am schwersten verloren hat. So vergingen Zeiten, an
denen ich nicht wusste wer ich war. An denen ich es nicht wissen wollte. Und
die anderen merkten schnell, daß ich viel zu viel mitgebracht habe. Sie brauchten
mich nicht, sie mieden mich und so wartete ich.
Als ich
wieder erwachte konnte ich Serene bei mir spüren. Sie hatte sich um mich gelegt
wie ein Tuch aus Samt. Ich muss wohl wieder meine Form verlassen haben als ich
mich den finsteren Träumen meiner selbst hingegeben habe, ohne wirklich zu
ruhen. Aber jetzt kann ich es. Einen Augenblick lang für die Ewigkeit. Ich
schloss die Augen und verband mich mit ihr.