Ich erwachte langsam und spürte die innere Wärme meiner
Welt. Sie hat in mich zurückgefunden und ich richtete mich auf um den Tag zu
empfangen. Serene war schon fort, hat aber ein Gefühl des Wohlseins
hinterlassen das ich den ganzen Tag mit mir und in mir tragen konnte. Ich
nährte mich an ihrer Hingabe, ließ unsere Verbindung und die endlose Ruhe die
darauf folgte noch einmal meinen Geist in Beschlag nehmen. Eine Weile
Schwelgens später nahm ich solide Gestalt an und begab mich zum Zollhaus.
Es war ein
Morgen wie ich ihn selten so verspielt erlebt hatte, selbst die Steine wussten
eine Geschichte zu erzählen. Das leise Rauschen der See und die Wogen die
langsam und unaufhörlich den Sand hin und her schaukelten ließen mich an meinen
Gast denken. Er hatte noch nicht an mich gedacht seit er hier war, das hätte
ich gespürt. Aber er war nicht in Sorge oder Trauer, er war – so hatte es
zumindest den Anschein – zufrieden.
Als ich am Zollhaus angekommen war, sah ich Serene und
einige andere die Aushänge lesen. Die meisten waren nur für die Reisenden von
Belang, aber einer hatte wohl ihre Aufmerksamkeit erregt. Ein Hüter war
verschwunden, kurz nachdem er seinen Dienst angetreten hatte. Eigentlich nichts
ungewöhnliches, da die Hüter sich oft in den Zwischenwelten aufhalten um den
einen oder anderen verunglückten wieder dahin zu schicken wo er hingehört.
Seltsam war nur die Tatsache, daß sein Entsprecher – sein Verbindungswesen in
dieser Welt – den Griff nach ihm verloren hat. Wenn so etwas passiert, wird er
für gewöhnlich zurückgerufen, aber dieses Mal konnte niemand so recht sagen wo
er sich befand. Und ohne Ziel ist ein Rückruf praktisch von vorneherein zum
Scheitern verurteilt.
„Es ist das
erste Mal seit über 400 Jahren das so etwas passiert ist!“, sagte mir Serene als
wir wieder ein wenig unter uns waren. Ich spürte ihre Besorgnis, ließ mir
diesmal allerdings nichts anmerken. „Man hat bestimmt schon alles versucht um
ihn zu finden, oder? Ich kann mir nicht vorstellen, daß er einfach so
verschwunden ist.“ „Der Entsprecher hat gesagt, der Kontakt wurde einfach
abgerissen. Als wären sie in einem Moment noch verbunden und im nächsten – er
war einfach weg!“, sie wurde blasser. Kein gutes Zeichen. „Was ist das letzte
Mal passiert als einer der Hüter verschwunden ist?“, hakte ich nach. Eigentlich
wollte ich nicht weiter fragen aber die Neugierde ist eine meiner Misstugenden
die ich nie so wirklich überwunden habe. Einen Augenblick ist sie still als
wäre sie nur ein Ausgedachtes – wie ein Wort dessen Bedeutung man kennt, im nächsten
ist sie wie ein Anker der unaufhörlich an mir zu zerren scheint. „Davon wissen
nicht viele, kaum einer hier ist alt genug als das er es selbst erlebt hat. Ich
habe es von zwei Älteren erspürt, wie eine Vorahnung, aber doch nicht mehr als
ein verirrter Gedanke. Sie suchten ihn beide zu vergessen, wie ein Kind eine
Schauergeschichte vor dem Einschlafen vergessen will.“
Ich spielte
mit dem Gedanken den Weisen zu befragen, aber er selbst würde mit Sicherheit
nichts als Rätsel von sich geben. Warum sollte jemand der fast so alt ist wie
diese Welt sich die Mühe machen, seine Worte für die Jugend in kleine
verdaubare Häppchen zu reißen die sie für sich alleine genommen sowieso nicht
voll erfassen könnten? Und doch wollte ich es wissen und es gab einen Ort an
dem ich die Antwort erfahren würde. „Du musst mir helfen einen Sprung
durchzuführen!“, gab ich recht verschlossen von mir. „Einen Sprung? Du doch
hast eben erst einen hinter Dich gebracht. Keiner wird Dir einen Sprung
erlauben!“, klang es von ihr, doch eigentlich wusste ich das sie mir in
Wirklichkeit die Verschlossenen Gedanken wesentlich übler nahm als alles worum
ich sie je hätte bitten können.
„Ich kenne
unsere Gesetze, ich weiß, daß ich nicht springen darf und ich werde Dich bitten
sie für mich außer Acht zu lassen. Nach meiner Rückkehr werden wir vielleicht
endlich wissen warum oder gar wohin der Hüter verschwunden ist.“, sagte ich mit
Entschlossenheit über mich gezogen, als wäre sie ein Mantel den man ab- und
anlegen konnte wie es einem eben einfiel. Es wäre sinnlos gewesen ihr meine
Idee vorzuenthalten wenn ich ihre Hilfe brauchen würde, sie würde spätestens
beim Austritt aus dieser Welt merken was ich vorhatte.
Wir warteten bis die Meute der Fragenden und Besorgten
gewichen war und glitten unbemerkt in einen der Reiseräume. Sie schloss die Tür
und versiegelte sie mit ihrem Zeichen, ich begann mich zu entkleiden und aus
mir selbst heraus die Dinge zu formen die ich benötigen würde. Wärmende, aber
auch ziervolle Kleidungsstücke, ein schwerer Ledergurt und ein Krug aus Holz
mit dem reinsten der Wasser unserer Welt. Stellte mich vor Serene und sie
vollzog mit einer halben Handbewegung die Verbindung der Reisenden. Ich schloss
meine Augen und sie begann mit tiefen Atemzügen im Wechsel einige Worte erklingen
zu lassen, Worte die sie selbst waren.
Ich schloss
meine Augen und verlor mich sogleich in der absoluten Wärme der samtweichen
Flüssigkeit, die mich umgab und durchdrang. Wie ein Tuch mit dem man nach einer
Massage abgerieben wird, doch immer schneller und heißer kletterte sie an mir
entlang, bis ich mich vollends in ihr eingehüllt und von ihr durchdrungen
fühlte. Ich passte den Moment ab mich auf mein Ziel zu fokussieren und spürte
sogleich das derbe ziehen und Rütteln der Welten wie sie an mir vorbeiglitten.
Aus Schwärze begannen wie Regentropfen auf sonnengewärmtem Beton Flecken zu
sprießen, erst grau, dann immer heller werdend, bis sie zunächst weiß wurden
und mich dann schließlich in ihrem Lichtermeer ertränken wollten.
In diesem
Moment ließ ich mich zwischen diese Lichter stürzen, ich entsagte mit einem
Schlag der ganzen Kontrolle und zog mich in mich selbst hinein um in einem Meer
endloser Farben den Lichtern entgegenzutreten. Irgendwo zwischen Rot und Blau
stand um mich alles Still.
Ein langer Gang aus Farben, bunten Blitzen und funkelndem
Licht, kein Ende in Sicht weder zur einen, noch zur anderen Seite. Aber ich
wusste wo ich war und ich wusste wo ich hin wollte. Ich war bisher noch nie
dazu gekommen diese Welt zu betreten, obwohl ich schon so einige Reisen
abgeschlossen habe, allerdings habe ich viel von ihr gehört und wusste wie man
hingelangt, genau wie eine Brieftaube weiß wie sie an ihren Bestimmungsort
kommt.
Als ich dem
schier endlosen Gang folgte, wollte ich ihn treffen und traf ihn auch. „Weder
wirst Du erwartet, noch kenne ich Dich – was suchst Du hier, denn Du bist nicht
von dieser Welt?“, hallte eine Stimme die schmalen Wände entlang, fast schon
einen Deut zu laut als das sie noch angenehm hätte klingen können. „Ich habe
ein Geschenk für Dich und Dein Volk. Unser Wasser ist das als reinstes aller
Welten gepriesen. Ich machte die Reise auf meinen eigenen Wunsch, so lasse sie
mich vollführen. Das Wasser sei Dein und mein Wort das ich keine Böse Absicht
in mir hege.“, erklärte ich ihm. „Was Du sprichst ist wahr, so mögest Du als
Gast meiner selbst und meines Volkes willkommen sein!“
Ich reichte ihm den Krug und
nickte leicht schräg mit dem Kopf wie es bei mir und meinesgleichen zum Gruß
und Wohlwollen Sitte ist. Er nahm Gestalt an, nahm den Krug entgegen und
lächelte mich an: „Dies Wasser ist für wahr sehr rein und auch wenn es den
Durst vieler Kehlen zu stillen vermag, stillt es meine Neugier nicht. Was
treibt einen Aussenweltler, unsere Welt zu besuchen?“, blickte er mich mit
einem durchdringenden Funkeln in den Augen an. Ich wusste warum er der einzige
Wächter für diesen Zugang war – er der die Gabe hatte Wahrheit von Lüge zu
trennen und Dreck von Reinheit zu unterscheiden. „Eben die Neugierde treibt
mich, jedoch nicht nach dem hier.“, gab ich von mir ohne viel über mein
Vorhaben auszusagen. Mein Gegenüber lächelte weiterhin, hieß mich mit einer
einladenden Geste ebenfalls willkommen und ließ mich hinter ihn treten.
Ich spürte die Verbindung zu Serene noch immer, was ein
gutes Zeichen war. Erstens hatte keiner bemerkt, daß ich fort war und zweitens
war ich nicht auf mich allein gestellt. Von jetzt an würden meine Aufgaben
einfacher sein. Ich musste nur ein Wesen finden, das ich weder kenne noch
spüren kann in einer Welt in der ich noch nie zuvor gewesen bin. Aber darauf
würden Antworten folgen und wenn Serene mit ihrem Gefühl wieder ins Schwarze
getroffen hat, dann ist Zeit das letzte was unsere Welten noch haben. Langsam
kam ich mir vor wie ein Sandkorn, das versucht in die obere Hälfte des Glases
zu kommen um dort zu erfahren wie viele Sandkörner noch folgen würden. Wohin
mich diese Antworten auch führen wurden, ich war mir fast sicher, daß es mir
nicht gefallen würde. Aber das musste es auch nicht, was ich wirklich suchte –
war Gewissheit.