James U. Umzug

Füchsin und Hahn


„Möchte noch jemand Kaffee?“ Du siehst verunsichert aus. Ganz im Gegensatz zu deinem Mitbewohner, dem ich das Grinsen aus den Augen lese. Eigentlich sollte ich auf den Tisch hauen und deinem Zurhälftefreund – es ist die einzige treffende Beschreibung, da ihr kein Pärchen, aber auch definitiv einander nicht fremd seid – freundlich erklären: „Gut, du bist ihr ‚Freund’, ich habe vor vier Tagen mit ihr geschlafen, da könnte man doch was machen?“ Er würde rotglühenden Kopfes: „Was?“ fragen, und ich würde ihm gönnerhaft antworten: „Na, eine Regelung à la du Montags, Mittwochs, Freitags – ich Dienstags, Donnerstags, Samstags. Sonntags geben wir ihr frei.“
Stattdessen sitze ich da, trinke artig meinen Kaffee (nur einen, ich schüttle auf deine Frage nur höflich den Kopf) und sage ab und an was Witziges. Du lachst, um dich zu befreien. Zu befreien aus einer Situation, die Beckett, oder vielleicht Botho Strauß in dramatischer Umsetzung für ein paar Millionen an jeden Verlag der Welt verkauft bekommen hätte. Ich kämpfe mich durch einen irren Anflug von Selbstironie und Herzschmerz, der mich befällt. Dass ich neben dem Brötchen nicht auch die Tischdecke esse oder aus der Kloschüssel trinke verwundert wohl auch deinen Mitbewohner. Sag’ ihm bitte, dass er ein netter Kerl ist.
Zugegeben, es waren acht bis elf Glühwein zuviel, die wir am Donnerstag hatten. Aber rechtfertigt dies das Entstehen einer solch surrealen Stunde? Zumal ich dich auch noch fragte: „Du willst mich jetzt sicher rauswerfen, damit du schlafen kannst?“ Leider sagtest du zum Glück: „Nicht unbedingt.“
 
Wie nett, die Sonne scheint durch euer Küchenfenster. Ich fühle mich von ihr verraten. Polizeiverhör. Nicht einmal Jesus hat man jemals solch auserwählte Worte sagen hören wie die, die ihr in diesen Minuten hört. Nicht, weil ich es könnte. Nur aus reiner Panik.
Die Ironie, die an meine Körperinnenwände klopft, verstehe ich, auch wenn ich dich nicht verstehe, von dem Ausmaß dieser Geschichte ganz zu schweigen. Die Fakten liegen auf dem Tisch: Du, eine gutaussehende 26jährige, triffst mich, passabelaussehend, jünger, und für ein paar Stunden doch recht unterhaltsam, am Glühweinstand. Vermutlich hätten wir uns nur zugenickt, doch kennt dein Begleiter meinen Begleiter, sie verschwinden in Urlaubsanekdoten und so kommen auch wir ins Gespräch. Zu dir nach Hause einige Stunden und Glühweine später. Zu dir ins Bett durch den Einfluss schöner Musik (ich frage mich, ob Yann Tiersen für die unangenehmen Konsequenzen dieser Nacht belangt werden könnte).
Soviel zum Zynismus, der angesichts der Personenkonstellation am Küchentisch sitzt, doch leider zu wenig ins Gespräch integriert wird. Aber warum der Herzschmerz? Ich bin gekommen, um dir eine versprochene CD vorbeizubringen, geblieben, um einen Kaffee zu trinken, nur partiell hier, um dich wiederzusehen, und schon gar nicht, um mich schlecht zu fühlen wegen deinem leicht verwilderten Zurhälftefreund. Doch genau das tue ich. Ich schäme mich nicht für die Situation und ich bereue auch nicht die Nacht mit dir. Sogar auf die Schulter geküsst hast du mich. Am Morgen danach übrigens. Und gerade deshalb sticht es in der Brust.
Klagte ich eben über mangelnde Integration? „Möchtest du was Sellerie?“, fragt mich dein Mitbewohner (Gott segne ihn). Auf den beiden grünen Stangen steht das ‚Schnittlauch’ sogar drauf. Ich kontere: „Glaubst du, dass ich das nötig habe?“ Und mache den selbstzufriedensten Gesichtsausdruck, den ich unter diesen Bedingungen hinbekomme. Dein Zurhälftefreund lacht. Er weiß nichts. Dein Mitbewohner lacht. Er weiß alles. Einzig du siehst gequält aus.
Deshalb sticht es; weil es liebevoll war. Nicht voller Liebe, aber liebevoll. Wären wir gegen halb sechs, sechs Uhr Stück für Stück einander entkommen. Hätte sich so ab sieben der eine nicht mehr dem anderen wieder angeschmiegt, nachdem dieser sich im Halbschlaf gedreht hatte. Wären wir an jenem bezaubernden Freitagmorgen wortlos auseinandergegangen. Oder bin ich da zu kleinlich?
Gerne würde ich deinen Mitbewohner fragen, doch bricht dieser nun in sein Zimmer auf. Ich werde ihn vermissen. Doch zwingt er auch mir damit die Flucht auf. Irgendetwas in mir ist dafür sehr dankbar. Ich gebe dir die beiden (ich habe noch eine Best of Yann Tiersen erstellt, ich Schelm) CDs und frage in einer unbemerkten Sekunde: „Ist das dein Freund?“ Deine Antwort lautet: „Das ist das Problemkind.“
 
Es sind zehn Stunden vergangen seit deiner Antwort. Ich habe in dieser Zeit gelacht, geweint, eine Flasche Lambrusco getrunken, Pässe überschritten, Berge bestiegen und einmal in einer Sennhütte geschlafen, auch wenn die letzten drei Punkte einer Erzählung von Arthur Schnitzler entnommen und deshalb in Bezug auf meinen Tag unwahr sind. Sie sollen aber verdeutlichen, dass auch hundert Stunden seit dieser Antwort nichts geändert hätten. Ich verstehe sie nicht, finde sie jedoch großartig. Aber ist das nicht lediglich ein Mikrokosmos der makrokosmischen Allgemeinsituation zwischen Männern und Frauen?
Ich sehe mich noch durch den Flur stürzen, ein „Tschüss“ in Richtung Küche schmettern, wo sich dein Zurhälftefreund aufhält, und dann sehe ich dich. Du stehst im Türrahmen und lächelst und winkst, während ich die Treppe hinuntergehe und ich wünsche mir, die ganze Welt bestünde nicht aus Gebäuden und Wohnungen, sondern nur aus den dazugehörenden Türrahmen.
Es sind zehn Stunden vergangen, und ich habe an wenig mehr als an die zwanzig Stunden mit dir denken können. Und obwohl dieses Verhältnis von Gedanken an jemanden pro verbrachter Zeit mit diesem für eine menschlicher Beziehung wohl recht normal bis gering ist, frage ich mich: „Warum? Was könnte das sein? Ist das noch romantisch? Oder geht das schon als psychische Erkrankung durch?“
Es ging zu schnell. Alles. Ich hatte mir kaum deinen Namen gemerkt, als ich dir Komplimente machte. Du kanntest kaum meinen, als du mir gesagt hast, bei welcher Musik du Tränen vergießt. Und jetzt, noch bevor du mir wirklich etwas bedeutest, fühle ich mich schon schlecht. Normalerweise sollte das andersherum sein.
 
Der nächste Tag beginnt regnerisch. In meinem Innern allerdings kichert es mittlerweile. Ich sehe uns am Frühstückstisch sitzen, dich, deinen Zurhälftefreund, deinen Mitbewohner (auch er kichert gerade wahrscheinlich) und mich. Es erinnert geringfügig an Agatha Christies ‚10 kleine Negerlein’ zu dem Zeitpunkt, an dem schon einige abtreten mussten und die anderen dementsprechend nervös werden.
Auf dem Weg zur Uni wünsche ich mir fast, dich wiederzusehen. Ich quäle mich durch vier langweilige Stunden und fahre anschließend zum Gebäude für Niederdeutsche Sprachforschung, oder wie es auch heißt, um mich mit einer Freundin zum Kaffee zu verabreden. Es steht kaum der Termin, als du auftauchst. Ich bin nicht mal verwundert.
Das bin ich erst, als ich mich sagen höre: „Tut mir leid, wenn ich dich gestern in eine unangenehme Situation gebracht habe.“ Du schaust, als hättest du dasselbe sagen wollen, und tatsächlich: „Nein, mir tut es leid. Das war sicher nicht schön für dich.“ Das ist die Wahrheit. Von uns beiden. Nur halt negativ ausgedrückt. Man könnte auch sagen, dass es für uns beide damit in Ordnung ist, doch druckse ich herum und schon bemerke ich jemanden an meiner Jacke ziehen. Es ist der Anstand. Drohend sagt er „Nein“, aber ich lächle nur und frage ihn: „Hey, wo warst du eigentlich letzten Donnerstag?“ Er knurrt: „Sei froh, dass ich jetzt da bin.“
Seine letzten Worte aber höre ich nicht, da ich dir etwas in der Art, dass ich viel an dich gedacht hätte und dich besser fände als es der Fall sein sollte, sage. Der Anstand lässt mich los, dreht sich rum und ich weiß, dass er Tränen der Wut in den Augen hat.
Ich weiß nicht, woraus der Rest unserer Unterhaltung bestand, doch sahen wir uns oft aus traurigen Augen an. Du sagtest etwas, wie: „Ich muss vieles erst für mich selbst klären“ und „zunächst mal Freunde bleiben“. Gut, klär du alles für dich. Das ist meistens so. Oft auch ohne Problem, aber in deinem Fall sehe ich ein, dass es einiges für dich zu tun gibt. Du siehst verwirrt und traurig aus, ich streichle kurz deinen Kopf, woraufhin wir uns umarmen.
 
Am Tag drauf rufst du an. Du klingst zurückhaltend, entschuldigst dich fast schon beim „Hallo“. Ich würde es dir gerne abnehmen, doch musst du es schon selbst sagen: „Tut mir leid, aber Boris (so hieß er!) und ich wollen es doch einmal probieren.“
Zur Antwort rinnt mir eine Träne aus den lachenden Augen, was du freilich und zum Glück nicht siehst. Lediglich ein „Alles Gute“ wünsche ich dir und ihm, und lege auf und beschließe, nicht mehr an dich zu denken und dich zu vergessen. Einen Akt also, der zu bewerkstelligen ist. Doch leider nicht so schnell. Tatsächlich fühle ich mich die nächsten Tage leer. All meine Federn, die hängen im Strauch.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.03.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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