Irmgard Schöndorf Welch

Geschichten aus der Nacht 11....Titis tragisches Ende

*

*








Titis tragisches Ende


 Wenige Stunden nach ihrer Trauung weilte die Braut, Prinzessin Titi von Löwenfels, nicht mehr unter den Lebenden. Nur die Spitzen ihrer himbeerroten Sandaletten stachen aus dem Schnee des Koniferenbeetes im Schlossgarten hervor und führten die Suchenden zu ihrem schmalen Leichnam.

Sonderbar ... wieso waren ihre Füße und Schuhe weniger zugeschneit als der Rest der bleichen Gestalt? War Titi erfroren? War sie einer Gewalttat zum Opfer gefallen? Wer hatte dieses Spiel inszeniert, das für sie so tödlich endete?

Gegen dreiundzwanzig Uhr dreißig in der Hochzeitsnacht - er sei gerade vorübergehend eingeschlummert gewesen - müsse sich Titi davongemacht haben, stammelte vor versammelter Reportermeute der Bräutigam ... ein Mann, der auf sehr telegene  Weise unter Schock stand.
Doch niemand glaubte ihm, denn was sich hier offenbarte, war zu irreal. Hatte sich die blutjunge Prinzessin wirklich heimlich aus dem Ehebett weggeschlichen? War sie tatsächlich, nur mit String-Tanga und Luxuspantöffelchen bekleidet, kilometerweit in den winterlichen Park hinausgewandert, um sich dann seelenruhig vom Schnee begraben zu lassen?

Gestern noch hatten Millionen Zuschauer vor den Fernsehschirmen verzückt miterleben können, wie sie, die Königin der Herzen, am Arm ihres Halbbruders, des Fürsten Alexander von Wittgenfeldt im Dürener Dom zum Altar geschritten war. In weißem Perlendiadem und diamantverbrämter fünfhunderttausend-Euro teurer Robe – Karl Lagerfeld hatte sie persönlich genäht und von Hand bestickt - wirkte sie zerbrechlich, ja entrückt, geradezu unwirklich. Ihr Kleid war ein funkelnder Traum aus champagnerfarbener Seide.

- Unsere Titi ... sie ist so wunder-, wunderschön - hatte die ZEITUNG jubelnd berichtet.

Weshalb aber war ihr Antlitz von tiefer Trauer gezeichnet, als sie jenem Mann das Jawort gab, der bis dato in Kreisen des europäischen Hochadels als Nobody gegolten hatte.
Im Nachhinein erinnerten sich viele Fernsehzuschauer an den hilflosen Ausdruck in Titis meergrünen Augen während der Hochzeitsfeierlichkeiten. Nein, wie eine glücklich Liebende hatte sie nicht ausgesehen.

War der Bräutigam, dieser selbsternannte, russische Banker und Nachkomme der Stroganoffs, nicht ein äußerst zwielichtiger Zeitgenosse? Wenig tief , wenig ehrlich schien sein demonstrativ vor den Fernsehkameras zur Schau getragener Schmerz. Wie die starre Pose eines Schauspielers!

Als es zum Prozess kam, war sich die Menge vor den Türen des Justizgebäudes einig: der Mann schien in seinem Inneren Abgründe zu verstecken. Was hatte er Titi in der Brautnacht angetan? Hatte er ihrer Seele auf subtile Weise den Todesstoß versetzt? War er eines jener unangreifbaren menschlichen Monster, die ohne sichtbare äußerliche Einwirkung, nur durch geistige Grausamkeit,  quälen und vernichten,  oder doch nur ein eher gewöhnlicher, alltäglicher Mörder?

Die irdische Gerichtsbarkeit sprach ihn von jeder Schuld frei, denn der Körper seiner Frau zeigte keinerlei Anwendung von Gewalt, keine Spur von Gift oder Drogen.

Kriminalexperten stellten in Talkshows tausend Mutmaßungen an, man rekapitulierte die Vorgänge jener Nacht bis ins Detail. Aber die Medienneugier blieb unbefriedigt. Würde Titis Geheimnis für ewig wie ein drohendes Omen über ihrer Gruft schweben?

Dann gab sich Fürst Alexander zu Wittgenfeldt die Kugel - nein, nicht Raffaelo oder wie das Zeug heißt ... die andere. Die goldene. Endgültige.
Zuletzt hatte er ganze Nächte schluchzend in der Grabkapelle seiner Schwester zugebracht. Bereute er? War auch er Teil gewesen eines möglichen Komplotts, ein Rädchen nur in einem düsteren, schicksalhaften Getriebe?

Was hatte schließlich jener hochgewachsene, schlanke Orientale am Morgen der Hochzeit in der Sakristei des Domes gewollt, jener Schweigsame, Bärtige mit Burnus und sanftem Blick, von dem die Messdiener und Kameramänner im Nachhinein schaudernd berichteten?

Und warum bot der Witwer und Alleinerbe kaum einen Monat nach seinem Freispruch sowohl das Stammschloss derer von Löwenfels, als auch Titis kostbare Hochzeitsdessous  und die in Handarbeit hergestellten, silbernen Brautnylons heimlich unter falschem Namen bei Ebay zum Kauf an?

Fragen über Fragen, die ein Detektiv-Team des beliebten Fernsehsenders Null-Null-Plus endgültig zu klären sich anschicken wird.






 
Copyright Irmgard Schöndorf Welch, Februar 2006

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Irmgard Schöndorf Welch).
Der Beitrag wurde von Irmgard Schöndorf Welch auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.03.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Irmgard Schöndorf Welch als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Die Geschichte von Ella und Paul von Christina Dittwald



Der Schutzengel Paul verliebt sich in Ella, seine junge Schutzbefohlene. Schwierig, schwierig, denn verliebte Schutzengel verlieren ihren Status. Ella hat Schutz bitter nötig... und so müssen die beiden sich etwas einfallen lassen. Eine große Rolle spielt dabei ein Liebesschloss mit den Namen der beiden an einer Brücke über einen großen Fluss. Die reale Welt mischt sich mit Fantasy und Traumsequenzen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Skurriles" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Irmgard Schöndorf Welch

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Gertrud und die Hörspielmacher von Irmgard Schöndorf Welch (Skurriles)
Er war BEIRUT von Dieter Christian Ochs (Skurriles)
Die indische Prinzessin und der Freier aus Sachsen von Heinz Säring (Humor)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen