Johannes Schlögl

Ein einfaches Kriminal oder Korgit Johnson und Dr. Scheinbar

Es regnete. Der Wettergott hatte offensichtlich beschlossen, die Stadt vom Schmutz und Dreck des Winters zu säubern. Diese „Säuberungsaktion“ dauerte bereits mehrere Tage an und ersparte der Stadtreinigung viel Arbeit. Der Regen wusch die Stadt sauber. Glänzende Straßen und gereinigte wieder atembare Luft machten Hoffnung. Alles wurde für den kommenden Frühling hergerichtet. Selbst die letzten übrig gebliebenen Schneehaufen schmolzen unter dem stetigen sauren Regen dahin. Schnee, der noch im Übermaß vom Winter übrig geblieben war. Einem Menschen kam dieser Frühlingsregen und das warme Klima etwas zu früh. Wurde doch durch diese Wetterlage sein mörderisches Geheimnis zu schnell gelüftet. Und das befand sich im letzten großen Schneehaufen der Stadt. Hilflos stand der Mörder in etwa 200 Meter von diesem weißen Ungetüm entfernt und beobachtete die Polizei, welche den Ort bereits weiträumig abgesperrt hatte.

*

Obwohl sich Korgit Johnson mit seinem Wagen auf der Fahrt zum Tatort befand, war er guten Mutes. Trotz des Regens und der noch kühlen Frühlingsluft hatte er die Fensterscheiben seines alten „Haiti 1600“ herunter gekurbelt. Es war selten, dass es in der Stadt so gute feinstaubfreie Luft zu atmen gab. Das musste ausgenutzt werden. Mit dem Stadtplan auf dem kotbraunen ledernen Beifahrersitz lenkte er den Wagen von Ampel zu Ampel seinem Ziel entgegen. Nach etwa einer Stunde erreichte Korgit Johnson sein Ziel. Die Polizei hatte den Tatort, einen riesigen Schneehaufen, bereits mit Bändern weiträumig abgesichert. Nachdem der Inspektor seinen Wagen irgendwie zwischen zwei Polizeiwagen gezwängt hatte, stieg er aus und begab sich zum Ort des Geschehens. Dort sah er, worum es sich handelte. Aus dem unteren Drittel des Schnees ragte eine Hand heraus. Das milde Frühlingswetter und der Regen hatten ganze Arbeit geleistet und einen mittelgroßen Teil der Leiche vom Schnee befreit. Johnson sah sich die Sache an und gab den Befehl, auch den letzten Rest des Kadavers vom Schnee zu befreien. Dann ging er zurück zu seinem Wagen. Er brauchte einen Regenschirm. Es dauerte eine Weile bis die Leiche vom Schnee befreit worden war.
Doktor Scheinbar, ein Mediziner, untersuchte den Leichnam und hatte schnell die möglichen Todesursachen gefunden. So schien es zumindest. Doch ohne Autopsie konnte er seine Vermutungen nicht verifizieren. Entweder war die nackte Frau unter den Schneemassen erstickt - oder erfroren. Welches von beiden die Ursache gewesen sein könnte, konnte er am Tatort nicht klären. Außerdem wollte er es nicht. Scheinbar hasste nicht nur Regen, sondern auch saubere Stadtluft. Als Kettenraucher erfüllte ihn Reinheit irgendwie mit Unbehagen. Er wollte weg von der Straße, heraus aus der sauberen Luft, zurück zu seinem Arbeitsplatz. Und der befand sich im vielräumigen Labyrinth des Kellers in einem großen grauen und dreckigen Ziegelbau. Als die Stadt beschlossen hatte, ein neues Gebäude für die Gerichtsmedizin zu bauen, war Dr. Scheinbars Institut verlegt und das nach dem 2. Weltkrieg liebevoll zusammengeflickte Betonziegelfachwerkhaus abgerissen worden. – Einfach so - Das geschah vor 4 Jahren. Seit dieser Zeit ziert nun ein weiteres riesiges hässliches Bauloch die unschuldig zum Handkuss gekommene Schönheit der Stadt. Man hatte sich in der Stadtverwaltung nämlich gewaltig verkalkuliert. Und so wurde der Neubau auf unbestimmte Zeit verschoben. Doktor Scheinbar hatte sich damit abgefunden. Als Kettenraucher war er sogar zufrieden, dass man es in seiner „neuen“ Arbeitsumgebung mit den gängigen Modernitäts – und Gesundheitsfanatismen nicht so genau nahm. Scheinbar passte sowieso schon lange nicht mehr in das Klischee eines modernen Gerichtsmediziners. Er schnitt lediglich die Leichen auf, untersuchte sie und vermittelte bei Problemfällen die entsprechenden Untersuchungsobjekte weiter.
Korgit Johnson kannte Scheinbar recht gut und wusste, dass diese Untersuchung ein paar Stunden in Anspruch nehmen würde. Also hatte er noch den ganzen Vormittag Zeit, den milden Frühlingsregen und die klare Luft zu genießen. Während die Spurensuche noch beschäftigt war, den Tatort genauer zu untersuchen, machte Johnson einen kleinen Spaziergang. Dabei konnte er am besten nachdenken. Als er zurückkam wunderte es ihn nicht, dass die Dame von der Spurensuche nur eine Negativmeldung vorbringen konnte. Trotzdem hatte Korgit bereits eine vage Idee. Sie müsste nur noch von Dr. Scheinbar bestätigt werden. Also setzte er sich in seinen „Haiti 1600“ und begab sich in gemächlichem Tempo zum Mediziner. Dieser hatte die Leiche bereits eröffnet, jedoch nicht agnosziert, und war zu einem Ergebnis gekommen. Demnach war die Frau mit „k.o.“ Tropfen betäubt und anschließend vergewaltigt worden. Danach hatte sie der Täter wahrscheinlich aus irgendeiner Stadtwohnung entfernt und im Schneehaufen vergraben, wo sie erstickte. Dem Gesichtsausdruck des Mediziners nach zu urteilen, schien es aber zusätzlich noch etwas Interessantes zu geben. Das traf zu. Dr. Scheinbar hatte das Sperma nämlich in einem Ort am Kopf gefunden, den der Mensch normalerweise zur Aufnahme von ernährungswissenschaftlich optimierter Nahrung benutzt. Als der Mediziner Anstalten machte, sich eine Zigarette zwischen seine gelben Zähne zu zwängen, verabschiedete sich Johnson. Er wollte wieder an die frische Stadtluft, solange sie noch sauber und einigermaßen atembar war. Korgit Johnson wusste, dass innerhalb weniger Tage der Täter ausgeforscht und überführt sein würde. Seit es die neuen Antiterror- und DNA-Zwangsregistrierungsgesetze gab, konnte ja bereits jeder drittklassige Beamte ohne richterlichen Beschluss in den privatesten Daten und medizinischen Befunden der Staatsbürger herumschnüffeln. Somit war dieser Fall für Korgit gelöst. Es interessierte ihn nicht mehr, wer der Täter war und welche Beweggründe er für seine Tat vorbringen konnte. Dafür gab es die Verhörspezialisten. Nun konnte er sich wieder den wirklichen Verbrechen in der Informationsgesellschaft zuwenden. Seit Tagen bereitete ihm ein Bankraub schlaflose Nächte. Obwohl Inspektor Korgit Johnson 6 Jahre Informatik studiert und sich im Untergrund als Hacker einen Namen gemacht hatte, war der Fall für ihn sehr knifflig. Seit im Bereich der Cyberkriminalität jeder Bankraub oder Bankeinbruch über das Highspeed Internet vom Staat mit 10 bzw. 8 Jahren unbedingtem Zuchthaus bestraft wurde, musste sich Korgit enorm anstrengen, um die kriminellen Hacker zu überführen. Es war trotzdem ein lohnendes Geschäft, seit es den Kriminalbeamten erlaubt worden war, Erfolgshonorar für gelöste Fälle entgegen zu nehmen. Und bei diesem Bankraub gab es eine fünfstellige Summe von der Bank. Seit Johnsons Gehalt vor 10 Jahren eingefroren und nicht mehr erhöht worden war, konnte er darauf nicht verzichten. Gegen Abend hörte es zu regnen auf, die Strassen trockneten und Feinstaub machte die Stadtluft für Dr. Scheinbar endlich wieder genießbar.

(Anm. d. Autors: Diese Geschichte ist frei erfunden. Fehler in der Rechtschreibung sind als Wasserzeichen zu werten! Überdies wären Ähnlichkeiten mit Personen und jeglicher schulisch korrekten Deutschen Rechtschreibung in diesem Fall rein zufällig und nicht im Sinne des Autors. Ferner ist diese Geschichte in ihrer Art kein Kriminal. Es geht hier um etwas ganz Anderes - nämlich um .... und genau das macht die Geschichte überhaupt zu dem was sie nicht sein sollte: Eine lächerlich kleine Verharmlosung von Digitalisierung, Gleichgültigkeit und Entgrammatikalisierung menschlichen Verhaltens in einer unwahrscheinlich nahen Zukunft)

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Johannes Schlögl).
Der Beitrag wurde von Johannes Schlögl auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.03.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Johannes Schlögl als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Gedankenströme: Geschichten und Erinnerungen - zum Nachdenken und Innehalten von Heinz Werner



Kennen wir Heimat, was bedeutet dieser Begriff für moderne Nomaden und Kosmopoliten? Wo und was ist Heimat genau?
Haben wir nicht alle schon Zeichen übersehen oder falsch gedeutet, sind wir in der Lage, uns in hektischen Zeiten fallenzulassen, deuten wir Gesichter richtig? Vermutlich lächeln wir noch heute über bestimmte Begegnungen auf Reisen irgendwo auf der Welt, oder sie beschäftigen uns noch immer. Reisen bildet nicht nur, jede Reise prägt uns, öffnet den Blick für andere Menschen, Kulturen und ihre ganz eigenen Herausforderungen.
Gedankenströme beschreibt genau solche Momente – mal länger, mal ganz kurz – die uns zum Nachdenken zwingen und uns innehalten lassen. Es geht um Besinnliches und um Augenblicke, die jeder von uns kennt.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Satire" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Johannes Schlögl

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Das „andere“ Computer ABC ... von Johannes Schlögl (Satire)
Körperwelten von Norbert Wittke (Satire)
Weihnachtliche Vorboten von Norbert Wittke (Glossen)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen