Jürgen Behr

Mein Leben zwischen Dichtung und Wahrheit

Kindheit

 
Als ich sieben Jahre alt war, führte mich meine Mutter ans Fenster und sagte: „Schau Bub, dort unten ist die Schule. Ab Morgen wirst du diese besuchen“.
 
Unser Haus hing an einem langgestreckten Hang. Irgendwie schief. Aber es hielt jedem Wind und Wetter stand. Zumindest solange wie es bewohnt war. Heute ist es nur noch eine einzige Ruine.
 
Ein grosser Garten lag 50 Meter unterhalb des Hauses, für mich als Bub war es herrlich im Frühjahr den Boden mit einem Spaten zu beackern, das Unkraut zu jähen und im Sommer das Gemüse zu ernten.
 
Zwischen Garten und Wohnhaus floss ein winziger Fluss, an dem ich viele Stunden verbrachte und viel Zeit über den Sinn des Lebens nachdachte. Viel Zeit verbrachte ich aber auch mit den Kindern unserer Nachbarsfamilie. Abends ging ich meist immer früh ins Bett.
 
Die Schule war eine der kleinsten Grund- und Hauptschulen Deutschlands überhaupt. Alle Klassen waren in einem Raum vertreten. Von der ersten Klasse bis zur neunten. In meiner Klasse waren wir zu dritt.
 
Als ich 14 Jahre alt war, sagte mir meine Mutter, dass wir das Haus räumen müssten. Vater hätte es an einen früheren Wirtschaftsminister verkauft, der es zu seinem Feriendomizil umbauen lassen will. Aber als der Wirtschaftsminister später erfahren hatte, dass dieses unter Denkmalschutz steht, ein Umbau nur unter strengen Vorgaben möglich ist und daher sehr kostspielig wäre, überliess er es dem Schicksal. (Heute musste ich den Eintrag korrigieren. In einem Schreiben vom 14. Februar 2006 wurde ich zum Kulturfrühstück der FDP-Bundestagsfraktion am 5. März 2006 in Freiburg eingeladen. Es ging um „Kultur in Deutschland“. Mit anwesend war auch Dr. Manfred Vohrer, Vorstandsvorsitzender der global-woods AG http://www.global-woods.com/. In einem kurzen, aber herzlichen Gespräch eröffnete er mir, dass er damals das Haus direkt von den Eltern abgekauft hatte. Liebevoll hat Dr. Vohrer  es wieder renoviert.)
 
Für mich brach damals die Welt ein. Alles, was ich liebte, sollte ich verlassen. Den Garten, den Fluss, das Wäldchen hinter der Schule, in dem ich meine kleine Baumhütte aus abgebrochenen Ästen gebaut hatte, die Tiere und das Pferd des Nachbarn und Bildhauers Franz Gutmann, auf dem ich immer wieder mal ausreiten durfte. Franz Gutmann wird demnächst den Altarraum des Freiburger Münsters neu gestalten.http://www.freiburg-schwarzwald.de/muenstertal.htm.
 
In der letzten Schulklasse durfte ich an einem Schüleraustausch teilnehmen. Die Reise ging nach Cambridge. Eine neue Welt öffnete sich mir. Neue Eindrücke, neue Erlebnisse, Erlebnisse, die von nun an mein Denken beeinflussten. Ich fühle mich wie neugeboren.. Nichts konnte mich mehr in dieser einsamen Landschaft halten. Der Drang in die Welt hinaus zu gehen, wurde von Tag zu Tag grösser. Kaum hatte ich die neunte Klassee erfolgreich beendet, zog es mich in die zwanzig Kilometer entfernte Stadt.
 
 

Jugend

 
In dieser Stadt besuchte ich eine weiterführende Schule. Für diese Zeit fand ich in einem katholischen Lehrlingsheim Unterkunft. Eine derartige Kameradschaft wie ich sie noch in der Grund- und Hauptschule erlebte, gab es in dieser Schule nicht mehr. Während dieser Zeit lernte ich meinen Hauptgrundsatz: „Überall dort Einfluss zu nehmen, wo dich das Schicksal hinstellt“. Ich wurde älter und selbständiger. Selbständigkeit mussten wir auch in der Schule lernen. Von den Eltern hatte ich mich schon längst total losgesagt.
 
 

Rebellion gegen die katholische Tradition

 
Da kommt mir ein wichtiges Ereignis in den Sinn: Ich war knapp 12 Jahre alt und am Samstagmorgen vor Palmsonntag als Ministrand zum Gottesdienst eingeteilt. Der Gottesdienst fand im Schulgebäude statt. In der rechten Hand hielt ich einen Palmwedel. Innerlich wurde ich richtig aggressiv und so nun auch meine Verhaltensweise: Ich warf den Palmwedel quer über den Altar und rannte eilends aus dem Schulzimmer. Zuhause musste ich mir schliesslich eine lange Moralpredigt anhören und bekam zwei Wochen Fernsehverbot.
Das Auflehnen gegen die Tradition innerhalb der katholischen Kirche ist mir bis heute geblieben. Selten ging ich noch zur Kirche. Das Festhalten an bestimmte Normen und Traditionen der katholischen Kirche kam mir wie ein zu enggewordenes Korsett vor. Ich konnte mich da nicht mehr hineinzwängen.
 
 

Begegnung mit einem Schweizer Schriftsteller und Philosoph

 
Und wie sah es in meiner Freizeit aus? In meiner Freizeit begann ich Bücher zu lesen. Goethe, Boethius, Hesse und viele andere bedeutende Werke. Und oft verspürte ich einen diffusen Drang vom Schreibenwollen, etwas auszudrücken und so griff ich oft selber nach einem Stift und schrieb auf unzählige Blätter all meine Gedanken nieder. Unsortiert, undatiert hat sich da viel Material angesammelt, einiges diffus, Erklärungsversuche, Gedichte, Spielereien, strenges Beschreiben und lockeres, alles mögliche und dieses Material liegt heute in Kartons eingeschlossen in einem Bisley-Schrank  in meiner kleinen Stadtwohnung.
 
 

Aus der Sammlung

 
Sei also kein störrischer Gaul,
mach auf das Maul –
sei ein Feuerreiter,
und mache weiter.
 
 
An den Wochenenden fuhr ich immer wieder in die Schweiz. Dort hatte ich recht schnell Anschluss zu Gleichaltrigen gefunden. Gemeinsam besuchten wir Bars und Discotheken. Im Anschluss feierten wir bis in den frühen Morgen Spaghetti-Parties. Einen freundlichen Kontakt hielt ich auch zu einem Herrn, der mehr breit wie hoch war, intelligent und reich. Aber irgendwie verlor ich den Kontakt zu ihm. Erst zwei Jahre später las ich zufällig in der Bildzeitung über ihn und seinen tragischen Tod und dass er der Hexer vom Bodensee war.
 
Auch die Begegnung zu einem Schriftsteller und Philosoph, der mir fast zwanzig Jahre lang ein guter Freund war, fällt in diese Zeit. Gegenseitig haben wir uns in diesen Jahren durch Brief- oder persönlichen Kontakt geistig aufgerüttelt. Über das schriftstellerische Schaffen hinaus war er tiefverwurzelt mit der Geschichte und Tradition der Burschenschaften und selbst Mitbegründer der katholischen Burschenschaft der Glanzenburger zu Zürich http://www.glanzenburger.ch/  im Jahre 1959, zu deren die Altherren der Abt des Benediktinerstiftes St. Mauritius in Tholey Dr. Petrus Borne und Fürst Franz Joseph II. von Liechtenstein gehörten. Unter dem Glanzenburger Wahlspruch: „Treu sein in allem!“ standen sie zusammen.
Durch sein grosses Engagement hat er sicherlich die Geschichte der Schweiz im Zwanzigsten Jahrhundert ein Stück weit mitgeprägt und vielleicht auch ein Stück weit die europäische Geschichte. Denn haben die Glanzenburger nicht damals den Bonner Sigfriden aus der Not geholfen. Dr. Klassen  war z.B. ein Sigfride und Dutzfreund von Exbundeskanzler Helmut Kohl.
 
 

Politisches Denken während der Jugend

 
Mein politisches Denken wurde vom 18ten Lebensjahr an immer wieder umhergewürfelt. Besonders stark aufgewühlt wurde ich in der Zeit der fliegenden Steine, durch die Ereignisse, als die Jugend-Demos krawallierend durch die Strassen unserer Stadt zogen und sich wie Erdstösse in andere Städte fortzündeten und wie ca. 200 vermummte Randalierer mit Stahlhelmen, Stangen, Prügeln, Ketten und Steinen durch den Stadtkern schwärmten, und in wenigen Minuten tausend Fensterscheiben von Supermärkten, Behörden, Banken, Discountläden, Boutiquen wahllos zerschunden, beschmierten und demolierten, Häuserwände und Eingänge mit roten Anarcho-Parolen anschissen. Brennende Reifen übers Trottoir rollen liessen.
Als ich am nächsten Tag in der Frühe durch die Stadt ging, glich sie einem Chaos von Scherben und Splittern, alle hingesät über die Bürgersteige und die Schaufenster waren kahl wie leere Augen.
Damals dachte ich: „Offensichtlich ist wirkliche Verständigung nur noch im Urzustand, in der Primitivität möglich“.
Die Bevölkerung sah natürlich nur die Scherben und nicht das Problem dahinter: die erdrückende Wohnungsnot, besonders für Studenten und Jugendliche. Fett und bourgeois wie sie ist, regte sie sich furchtbar über die Schreckgespenster der Nacht auf.
 
 

Aus der Sammlung

 
Die Welt verroht wirklich zusehends.
Ich will das Fenster einschlagen,
den Klöppel aus dem Uhrenkasten herausreißen.
 
 

Finanzielle Not

 
Da für mich aus der Familienkasse kein Geld zu erwarten war, verdiente ich zunächst durch Zeitarbeit drei Monate lang in der Ostschweiz das Geld zum Lebensunterhalt. Danach übernahm ich verschiedene Jobs in meiner Stadt. Ich lernte mit wenig Geld auszukommen. „Das Leben hat für mich einen höheren Sinn als nur Geld verdienen“.
 
 
 

Bescheidenheit als natürliche Grundlage des Lebens

 
Die Wurzeln der materiellen Bescheidenheit wurden schon in meine Wiege gelegt. Es war mein grösster Stolz, dass ich die Kleider der Kinder unserer Nachbarn tragen durfte. Und auch später holte ich nicht gleich die neuesten Möbel aus den Konsumtempeln, sondern fand noch sehr gut erhaltenen Möbel auf dem Sperrmüll. Die Welt: eine Mülltonne. Früh erkannte ich, dass im Müll noch viel Verwertbares steckte. Manche sind sogar davon reich geworden.
Bescheidenheit wurde somit zum wichtigen Teil meiner Hausphilosophie.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.03.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Heike und die Elfe von Ingrid Hanßen



Da ich der Meinung bin, dass die Kinder heute viel zu wenig lesen ( sehe ich bei meinen 11 und 13 ), habe ich mir Gedanken gemacht, was man machen könnte um dieses zu ändern.

Es ist nämlich nicht so, dass die Kinder lesen grundsätzlich "doof" finden, sondern, dass die bisherigen Bücher ihnen zu langweilig sind. Es ist ihnen in der Regel zu wenig Abwechslung und Aktion drin und ihnen fehlt heute leider die Ausdauer für einen reinen "trockenen" Lesestoff.

Daher habe ich mir überlegt, wie ein Buch aussehen könnte, das gleichzeitig unterhält, spannend ist, Wissen vermittelt und mit dem die Kinder sich beschäftigen können.

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