Normalerweise macht man eine Wallfahrt, wenn man Sünden abbeten muss. Dies wusste Brigitte spätestens seit ihrer Kommunion, außerdem war ihr zweiter Vorname Maria. Ihre Überlegung war also, dass etwas christlicher Segen auch bei einem Date nicht schaden könne, deshalb wählte sie für das erste Treffen kurzerhand einen Wallfahrtsort in ländlicher, schwäbischer Gegend.
Der kleine Flecken mit Wallfahrtskirche lag idyllisch umgeben von Mischwald auf halber Strecke zwischen beiden Wohnorten, was die zuvorkommende und gerechtigkeitsliebende Art Brigittes bereits signalisierte. Am Telefon hatte sie ihrem „Blinddater“ ausführlich geschildert, dass dort zwei große Parkplätze vorhanden seien - einer links und einer rechts - auf dem rechten würde sie warten. Dass es vielleicht wichtig gewesen wäre, aus welcher Richtung man anfährt, ging vermutlich in der Vorfreude unter. Im Grunde konnten sie sich also ihrer Meinung nach nicht verfehlen, zumal die Autonummern auch ausgetauscht waren.
Als sie sein musternder Blick aus zugegebenermaßen stahlblauen, schönen Augen traf, erinnerte sie sich schlagartig an seinen Beruf des Anwalts, möglicherweise musste sie sich weiterhin rechtfertigen oder gar ein Alibi für irgendeinen Zeitraum haben.
Seine Erscheinung rief bei ihr sehr widersprüchliche Gefühle hervor. Die körperliche Größe von mindestens - wenn nicht mehr, gebot Achtung. Seine Junggesellenkleidung allerdings mit ganz kleinem, festem Knoten als krönender Abschluss einer Lederkrawatte hatte schon bessere Zeiten gesehen. Irgendwie vermittelte er den Eindruck, in einer früheren Epoche stehen geblieben zu sein, den ein Nyltesthemd und äußerst spitz zulaufende Schuhe noch verstärkte. Dazu sein überaus schlanker Körperbau, dies alles rief Mutterinstinkte wach. Ihm fehlt eindeutig die weibliche Hand schoss es Brigitte durch den Kopf. Ein wenig rausfuttern und neu einkleiden könnte Wunder wirken.
Er ließ bei der Parkplatzanklage wohl Gnade für Recht ergehen und schlug vor, dass sie die Mariengrotte, das Herz des Wallfahrtsortes besichtigen könnten. Nun hatte aber Brigitte diese Grotte schon öfters gesehen, außerdem wäre eine Unterhaltung in der nahegelegenen Gaststätte viel gemütlicher gewesen, was sie auch zum Ausdruck brachte. Ihr Vorschlag wurde mittels einer abwinkenden Handbewegung ignoriert als hätte sie im Gerichtssaal eine irrelevante Äußerung getan.
Endlich war die Besichtigungstour geschafft (vermutlich hatte auch er ein Stoßgebet gen Himmel gesandt), sie saßen im Landgasthof mit einigen fröhlichen Stubenfliegen und Brigitte-Maria freute sich auf ein intensives Gespräch. Aber – wie es im Volksmund heißt – man soll die Rechnung nicht ohne den Wirt machen.
Ein Räuspern, fast wie ein Knall unterbrach unsanft ihren Redefluss und große Augen schauten sie konsterniert mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Erst in diesem Moment wurde der redefreudigen Brigitte bewusst, dass dies wohl nicht das geeignete Thema für einen Junggesellen war. Ein heißes Brennen stieg ihr in beide Wangen, sie musterte eingehend das Tischtuch und rührte dabei weitere zwei Stückchen Zucker in ihren Kaffee.
Das Summen der Stubenfliegen wurde fast überlaut!
Weitere medizinische Berichte hat der Anwalt nicht abgewartet, er verabschiedete sich förmlich und gab der armen Brigitte nicht mal die Chance einer Verteidigung!
Aber sie hat es wieder gut gemacht, als edler Christenmensch hat sie ihre Zeche selbst bezahlt!
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.03.2006.
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