Siegmund Natschke

Die Wüste

Sie hatten mich für verrückt erklärt. “Sie wollen mit einem Esel durch die Wüste?” Und lachten : “Also wir nehmen den Jeep.” Es waren offensichtlich Touristen. Wir hatten ein oberflächliches Gespräch begonnen. Ich war froh, als es nach einer Weile in diesen Worten mündete. Ich machte einige lockere Bemerkungen und zog mich zurück. Ich war müde und hatte anstrengende Tage vor mir. Am nächsten morgen stand ich früh auf. Ich sah durch das alte Holzfenster , dass sie losgefahren waren. Sie wollten wie ich die Sahara durchqueren - von Westen nach Osten. Die lange Strecke, die durch unbarmherziges Gelände führte und durch Geröllhöhen, die -wenn sie tausend Kilometer weiter nördlich liegen würden- vom ewigen Eis bedeckt wären.

Sowohl ich als auch die Touristen wussten, dass der Weg gefährlich war. Sie hatten mir noch ihre High-Tech-Ausrüstung gezeigt, die ihnen wohl Sicherheit geben sollte. Ich glaubte nicht daran. Ich glaubte Aziz, einem alten Kameltreiber, den ich in Marrakesch getroffen hatte. Er entstammte einer Beduinenfamilie und kannte die “Sprache der Wüste”. Er war schlauer als ich. Nie käme es ihm in den Sinn, aus Neugierde oder Abenteuerlust die Wüste zu durchqueren. Wenn er nun mit seinem Esel die Gewürzmärkte der Stadt mit frischen Kräutern belieferte, dann schien es mir jedes Mal, als ob er eigentlich auf der Flucht war. Auf der Flucht vor der verbrecherischen Wüste, die lebensfeindlich war, weil sie kein Leben zulassen wollte. Ging man in Marrakesch durch die Gassen und Gässchen und hatte man den Duft von Safran, Muskat und Minze noch im Sinn, dann konnte man sie für einen Augenblick vergessen. Die Wüste schien eine andere Welt zu sein. Die Gerber feilschten auf dem Markt lauthals um Schafsfelle, Teppichhändler priesen ihre Waren an und eine Frau bot bunte Tücher zum Kauf an. Ich sah Aziz an, der die ganze Zeit neben mir hergelaufen war. Er schien nachdenklich zu sein. Er schaute mich mit seinen alten Augen an. “Ich möchte heute aufbrechen.” sagte ich, aber er schien es schon zu wissen. Er gab mir wortlos seinen Esel und ich spürte, dass ich ihn beleidigt hätte, wenn ich ihm Geld angeboten hätte. Mein Gesicht brannte. Ich nahm den Esel und ging in Richtung Stadtrand. Es würde eine lange Reise werden.

                                                                                            *

Ich wusste immer noch nicht, warum ich den Esel mitnehmen sollte. Die roten Steine unter mir krachten. Ja tatsächlich, ich ging zu Fuß. Das Tier war zu schwach, um mich zu tragen. Hatte der Alte deswegen kein Geld verlangt? Ich fragte mich, warum ich nichts bemerkt hatte. Auf dem Marktplatz schien das Tier noch vital und kräftig zu sein. Aber unter der sengenden Sonne schien es mehr zu leiden als ich. Die Luft war brennend heiß. Kein Atemzug brachte Erleichterung, ich hatte das Gefühl zu ersticken. Es waren neun Tage seit ich Marrakesch verlassen hatte. Das Schlimmste war, dass ich die Orientierung völlig verloren hatte. Ich wusste nicht mehr wo ich war und wie viele Kilometer ich hinter mir gelassen hatte. Ich saß in der Falle. Alle Fehler, die man machen konnte, hatte ich gemacht. Ich verfluchte mich selbst. Ich merkte, dass meine Beine schwächer und schwächer wurden. Jeder Schritt war eine Kraftanstrengung, die die letzte sein konnte. Mein Herz raste. Ich würde hier nicht überleben. Alles flimmerte vor meine Augen. Ich schaffte es nicht mehr. Ich sank auf den Boden. Das war also das Ende.

                                                                                           *

Ich lag auf meinem Hotelbett. Ein Ventilator blies frischen Wind in mein Gesicht. Auf einem alten Holzstuhl saß Aziz. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Ich richtete mich auf. Alles tat mir weh, aber es ging. Ich schaute durch das geöffnete Fenster. Dort war der Esel angebunden, er fraß in aller Ruhe Stroh und nichts in dieser Welt schien ihn aus der Ruhe bringen zu können. Ich sah Aziz an. Der lächelte immer noch. “Du bist nicht weit gekommen, Fremder.” Ich verstand nicht. “ Es waren fast nur ein paar Schritte, die Du gegangen warst. “ Ich war also im Kreis gelaufen. Und hatte es nicht gemerkt. “Mein Esel ist zu mir zurückgekehrt als Du Dich Schlafen gelegt hast.” So konnte man es auch nennen - ´Schlafen legen´ . Nette Beschreibung für Bewußtlosigkeit, dachte ich. “Wir wussten, dass Du in Gefahr warst. Wir konnten Dich wieder in die Stadt tragen.” Der Esel hatte mir das Leben gerettet. Ich schaute noch mal nach dem Tier. Es fraß immer noch seinen Stroh. Plötzlich sah ich am Horizont einen Wagen heranfahren. Eine Frau stieg aus, bleich im Gesicht und durch eine schwarze Sonnenbrille wie maskiert. “Du kannst bei mir übernachten,.” sagte Aziz zu mir. “Das Zimmer wird für die Dame gebraucht.” “Wer ist sie ?” fragte ich ihn. “Sie kommt aus Europa.” Irgendetwas wollte er mir sagen, aber ich begriff nicht was es war. “Sie hatte Glück, dass sie nicht mitgefahren ist.” “Mitgefahren?” “Mit den anderen Fremden. Die sich mit Dir unterhalten hatten. Sie hatten die Wüste beinahe ganz durchquert. Doch dann kam der Sturm.” Er meinte die Touristen mit dem Jeep. “Sie werden für immer im Sand der Wüste bleiben.” Ich schaute auf den Esel, der immer noch sein Stroh fraß.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.03.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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