Siegmund Natschke

Der Zauberer

Ich war es leid. Ich hatte viel Geld für die Eintrittskarten bezahlt und nun das. Eine moderne Zaubershow sollte es sein. Es waren die billigsten und ältesten Tricks, die ich jemals gesehen hatte. Ich schaute meine Frau an. Ihr schien es zu gefallen. Gebannt folgte sie dem Geschehen auf der Bühne. Wie ein Kind, das zum ersten Mal einen Clown sieht.

Ich erinnerte mich an meine aktive Zeit. Mit kleinen Bühnen hatte ich mich schon nach kurzer Zeit nicht mehr zufrieden gegeben. Ich brauchte mehr Beifall, mehr Erfolg. Und den bekam ich. Sogar eine eigene Fernseh-Show. Autogramme wurden gedruckt. Die Leute erkannten mich auf der Straße. Doch ich sehnte mich nach meinen Anfängen zurück. Als ich für jeden Trick tagelang tüftelte, jedes Detail der Show wieder und wieder durchprobte. Beim Fernsehen schrieben mir andere Autoren die Texte, die Tricks entstammten einer Datenbank. Ich fühlte mich wie ein Informatiker. Ich hatte es lange bemerkt: Die Redakteure redeten über mich. Mir gegenüber wollte es keiner zugeben. Aber meine Vorschläge zur Weiterentwicklung der Show wurden alle gnadenlos abgeschmettert. Passte ich nicht mehr ins Fernsehen ? War ich zu alt, zu antiquiert ? Ich wusste die Antwort. Man hätte viel mehr aus der Sendung machen könnte. Doch die Marktforschung zählte mehr als Ideen. Ich sah den aalglatten Betriebswirtschaftler immer noch vor mir. Er erzählte mir stolz, dass er ein Praktikum in New York absolviert hätte, bei einer Unternehmensberatung. Wäre er am Broadway gewesen, hätte es mich interessiert. Er studierte den Zettel mit den Quoten. Für jede zehn Minuten war eine Quote angegeben und ein Marktanteil. Kalte Zahlen. “So können wir nicht weitermachen ! “ sagte er laut. Die anderen nickten mit den Köpfen. Es war reinste Selbstdarstellung. Er wusste es, ich wusste es. Ich wusste aber auch, dass das Ende der Sendung gekommen war. Darauf hatten sie doch nur gewartet. Doch es war i h r e Sendung, meine war es schon lange nicht mehr. Denn sie hatten ja nur ihre Vorstellungen umgesetzt, nicht meine. Ich wusste, dass die Show sich immer mehr von der Zauberei entfernt hatte. Und das merkten die Zuschauer. Ich vergoss keine Träne als ich das Fernsehgebäude verließ. Die Show war zu Ende.

Und nun saß ich hier. Vor mir der Zauberkünstler, der seine besten Tage schon hinter sich hatte. Was kam als nächstes ? Ich wollte schon aufstehen und sagen: “ Lasst mich raten: Jetzt kommt ´Die zersägte Jungfrau´ “. Meine Frau schien meine Gedanken zu erraten und guckte mich strafend an. Ich blieb still. Doch ich behielt Recht: Die blonde Assistentin schob einen langen Kasten herein, der nur einen Schluß zuließ: Jetzt war die ´Jungfrau´ an der Reihe. Jeder hat diesen Trick schon einmal gesehen. Spätestens seit der Zeichentrickreihe Der rosarote Panther , in der genau dieser Trick im Vorspann zu sehen ist. Das Ganze musste natürlich mit einer gewissen Theatralik dargestellt werden. Ich selbst hatte mehrere hundert Mal die “Jungfrau zersägt”. Der Zuschauer sieht dabei folgendes: Die Person, die “zersägt” werden soll, legt sich in den langen Kasten, der in Wirklichkeit ein Doppelkasten ist und aus zwei Teilen besteht. Die beiden sowieso von einander getrennten Teile werden möglichst ausdrucksstark “zersägt”. Anschließend werden die seitlichen Klappen geöffnet, um zu demonstrieren, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Die Wahrheit jedoch ist: Im Kasten befinden sich zwei Personen. Die am Fußende streckt ihre Füsse heraus, die am Kopfende den Kopf. Alternativ können auch zwei falsche Füsse verwendet werden. Wie man es auch macht: Es war der älteste Zaubertrick der Welt. Sicher, er war immer wieder gut, aber inzwischen musste ihn jeder kennen.

Der Zauberkünstler guckte sich fragend im Publikum um. Er suchte sich offenbar ein passendes Opfer. “Nehmen Sie doch Ihre Assistentin!” schoß es aus mir heraus. Meine Frau guckte mich wieder strafend an. Der Zauberkünstler auf der Bühne war Profi. Auf Zwischenrufe aus dem Publikum reagiert man, indem man den Störer direkt anspricht und in die Bühnenaktion miteinbindet. Und genau das tat er. “Nein, ich nehme Sie, mein Herr !” Er grinste über das ganze Gesicht. Jetzt hatte ich den Salat. Aber ich wollte kein Spielverderber sein. Der Mann machte ja auch nur seinen Job. Sah ich bei meiner Frau eine Spur von Schadenfreude ? Nun gut, ich stand auf und ging auf die Bühne. Ich würde meine Zeit schon absitzen oder wohl eher “abliegen”. Die Assistentin wies mir den Weg. Der Kasten war ein Standardmodell. Hatte ich auch schon benutzt. Der Zauberkünstler öffnete selbst die Klappe. Ich legte mich hinein. Es roch nach abgestandenem Holz. Die Assistentin schloß die Klappe und verriegelte sie noch mal. Am Ende sah ich Füsse, aber es waren nicht meine. Na bitte ! Etwas stickig war mir, aber ok. Was tut man nicht alles für die Kunst. Ich hob den Kopf ein bißchen und sah, dass der Kasten doch etwas länger war als gewöhnlich. Na, die zweite Person schien wohl ein “langer Lulatsch” zu sein. Die Assistentin ging zum Ende des Kastens. Im Publikum war es totenstill. Keiner sagte ein Wort, auch der Zauberer nicht. Auch er ging an das Kastenende. Was machten die beiden da? Jetzt sah ich es: Sie montierten ein Teil ab. Dann schoben sie es an den Rand der Bühne. Es war kein “langer Lulatsch” gewesen sondern falsche Füsse. Also die zweite Variante. Aber was hatten sie jetzt vor ? Ich guckte und sah nun meine eigenen Füsse. Aber das ging doch nicht ! Irgendetwas lief hier schief. Merkte denn niemand etwas ? Es schnürte mir die Kehle zu, ich war wie erstarrt. Dann erhob sich eine laute Fanfare. Ich konnte nun leise einige Worte sagen, doch sie wurden gnadenlos durch die plärrende Blechmusik übertönt. Der Zauberer nahm eine Säge hervor, die im Licht blendete. Er setzte sie an und wandte sich mir zu: “Eines müssen sie wissen: Ich arbeite immer ohne Tricks !”

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.03.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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