Manfred Schröder

Ein Tag, wie jeder andere von Manfred Schröder

 

 

Die Abendglocken der Kapelle Sainte-Chapelle klangen verhalten zum Pont Neuf herüber. Der Tag war heiss gewesen und die Touristen hatten sich müde und verschwitzt von einer Sehenswürdigkeit zur anderen geschleppt. Jetzt im rötlichen Licht der untergehenden Sonne hatten sich Wolken angesammelt und ein angenehmer Wind machte die Luft kühl und erträglich. Auch ich war müde. Der Tag war nicht so gut gelaufen wie sonst. Hatte mich stundenlang im Gare du Nord aufgehalten. Doch die Ausbeute war gering gewesen. Nur wenige Touristen waren auf den Trick hereingefallen:

-Können sie nicht einem armen Landsmann aus der Klemme helfen. Habe mein Geld verloren und brauche ein paar Euro, um meinen Koffer, der schon über der Zeit sich im Schliessfach befindet, herauszubekommen.-

Die meisten gaben vor, den Trick zu kennen. Andere wieder brauchten selbst ihr Geld. Bei den Engländern war es nicht besser.

-No, I´m sorry.-

Schade, dass keine Amerikaner heute da waren. Die waren lockerer und grosszügiger. An Franzosen machte ich mich nicht heran. Man konnte nie wissen, ob man nicht an einen Zivilbeamten landete. Ein Flic war meistens freundlich. Doch bei denen im Zivil wussste man nie. Zum Glück hatte es für ein Essen beim ´Ali´ gereicht und für eine Flasche Wein. Seit einigen Nächten brauchte ich nicht mehr draussen zu schlafen. Derrek, ein alter Amerikaner, mit dem Aussehen und Fluchvokabular eines Bukowski, und schon lange in Paris lebte, hatte einen leeren Kleinlaster mit Plane ausfindig gemacht, der wohl schon längere Zeit ungenützt am Seineufer stand. Wir liessen auch tagsüber unsere Schlafsäcke dort. Ein kleines Risiko, das man eingehen musste. Ich hatte Derreck in der La Santé kennengelernt, und wir wurden am selben Tag entlassen. Viele denken dabei übrigens an ein Krankenhaus. Ich habe Derreck nie gefragt, warum er gesessen hatte. Und über mich möchte ich nicht sprechen. Er kannte Paris ziemlich gut und wusste Quellen, die man anzapfen konnte. Doch ich wollte lieber meine eigene Tour drehen. Wir trafen uns meist nach getaner Arbeit hier am Pont Neuf. An diesem Abend hatten sich ein paar Touristen eingefunden. Doch ich hatte keine Lust und war auch zu müde, einige Opfer ausfindig zu machen. Eine noch ziemlich junge Amerikanerin in Begleitung eines älteren Herrn, blickte öfters zu mir herüber. Sie hätte mir gefallen. Doch ich wagte nichts zu unternehmen. Wegen ihrer Begleitung und weil ich heute nicht gut roch. Ich wollte morgen am Gare du Nord eine Dusche nehmen und das Unterzeug und Hemd wechseln. Den Koffer hatte ich bei Ali untergestellt.

Es war schon zehn Uhr, als Derrek kam. Die meisten Touristen waren schon gegangen und einige Clochards hatten sich zum schlafen niedergelegt. Derrek war nicht alleine. Ein junger Amerikaner, mit einer Guitarre über der Schulter befand sich in seiner Begleitung, und der einen Platz für die Nacht suchte. Derreck stelle ihn mir als John vor. Ich war nicht begeistert. Denn bald würden mehr Leute über dem leeren Lastwagen wissen und die Gefahr einer Entdeckung war gross. Derreck beruhigte mich.

-Nur für eine Nacht.-

Er hatte zwei Flaschen Wein mit sich. Ich hoffte, dass er nicht zuviel trank. Denn dann kam meist der wahre Derreck zum Vorschein. Seine schmutzigen Witze und wildes Fluchen. Doch vor allem seine Agrissivität. Auf einmal kam mir der Gedanke, dass Derrek homosexuell sein könnte. Ich konnte das nicht so richtig begründen. Mich hatte er nie belästigt. Allerdings ich hatte ihn noch nie mit einer Frau gesehen. Und die Art, wie er John ansah und ihn manchmal berührte. Ich fasste den Entschluss, mich von Derreck zu trennen. Zumal er mir in der letzten Zeit sowieso auf die Nerven ging. Einfach zum Lastwagen gehen, den Schlafsack nehmen und für die Nacht einen anderen Platz suchen. Ich stand auf und sagte nur, dass ich gleich wiederkäme. Derrick nickte nur. Vielleicht ahnte er meinen Entschluss, und war froh mit John alleine zu sein.

Als ich vom Pont Neuf in den Quai de l´Horloge einbog, stand plötzlich die Amerikanerin vor mir. Sie lächelte.

-Willst du mit mir kommen, sagte sie nur. Und als ich schwieg, fügte sie hinzu.

-Ich bin nicht, was du vielleicht denkst. Ich heisse übrigens Sarah.-

Ich dachte auch nicht daran und es war mir auch egal. Sondern dachte daran, dass ich nur ein paar Euro in der Tasche hatte und die Notreserven nicht anbrechen wollte. Und dass ich neue Unterwäsche und ein anderes Hemd brauchte. Ich erklärte ihr meine Situation. Sie lachte nur.

-In Ordnung.-

Nach einiger Zeit konnten wir ein Taxi heranwinken und fuhren zum ´Ali´. Ich schätzte Sarah auf dreissig Jahre. Sie war ziemlich schlank und hatte rote, kurz geschnittene Haare. Ich tippte auf irische Vorfahren. Vielleicht war sie eine von den Amerikanerinnen, die hier in Paris ihre geheimen Wünsch auslebten und zu daheim wieder die gute Ehefrau und Mutter spielten. Oder auch nur die Tochter aus reichem Hause, die mit Hilfe von Daddys Geld sich hier vergnügte. Auch das war mir egal. Endlich ein weiches Bett für dies und das andere. Wir schwiegen im Taxi und als wir beim ´Ali´ ankamen, sagte sie nur:

-Hol deinen Koffer. Ich warte hier.-

Ali hatte Lust, mit mir zu schwatzen, doch ich vertröstete ihn auf ein andermal. Ich nahm nur schnell den Koffer und ging zum Taxi zurück. Wir fuhren zur Rue de la Huchette, wo sie in einem kleinen Hotel untergebracht war. Sie sprach mit der Frau an der Reception einige Worte, die nur lachte und uns bonne nuit wünschte.

Zwei Tage war ich mit Sarah zusammen. Wir besuchten Museen und assen in guten Restaurants. Sie bezahlte alles, weil sie das Geld hatte. Am dritten Tage sagte sie nur lächelnd.

-Pack deine Sachen. Die Party ist vorbei..-

Ich kannte solche Situationen. Nahm meinen Koffer und fuhr zu Ali.

In der Zeitung las ich, dass man die Leiche eines jungen Mannes in einem abgestellten Lastwagen am Ufer der Seine gefunden hatte. Anscheinend zuerst missbraucht und dann getötet.

Von Derreck habe ich nie mehr etwas gehört.

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Manfred Schröder).
Der Beitrag wurde von Manfred Schröder auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.04.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Manfred Schröder als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet. von Ronald Henss



Kurzgeschichten aus dem Internet. Eine Auswahl der besten Beiträge zum Kurzgeschichtenwettbewerb „Im Frisiersalon“ auf www.online-roman.de Eine bunte Mischung, die für jeden Geschmack etwas bereit hält: mal ernst, mal heiter, unterhaltsam, kritisch, sentimental, skurril, phantastisch... Liebesgeschichte, Humor, Krimi, Spannung, Alltag, Kindergeschichte, Nachdenkliches...

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Alltag" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Manfred Schröder

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Grossmutters Schätze von Manfred Schröder (Erinnerungen)
Der Kampf gegen die panische Angst von Michael Reißig (Alltag)
MANCHMAL GIBT ES NOCH KLEINE WUNDER von Christine Wolny (Sonstige)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen