Die Abendglocken
der Kapelle Sainte-Chapelle klangen verhalten zum Pont Neuf herüber. Der Tag
war heiss gewesen und die Touristen hatten sich müde und verschwitzt von einer
Sehenswürdigkeit zur anderen geschleppt. Jetzt im rötlichen Licht der
untergehenden Sonne hatten sich Wolken angesammelt und ein angenehmer Wind
machte die Luft kühl und erträglich. Auch ich war müde. Der Tag war nicht so
gut gelaufen wie sonst. Hatte mich stundenlang im Gare du Nord aufgehalten.
Doch die Ausbeute war gering gewesen. Nur wenige Touristen waren auf den Trick
hereingefallen:
-Können sie nicht
einem armen Landsmann aus der Klemme helfen. Habe mein Geld verloren und
brauche ein paar Euro, um meinen Koffer, der schon über der Zeit sich im
Schliessfach befindet, herauszubekommen.-
Die meisten gaben
vor, den Trick zu kennen. Andere wieder brauchten selbst ihr Geld. Bei den
Engländern war es nicht besser.
-No, I´m sorry.-
Schade, dass
keine Amerikaner heute da waren. Die waren lockerer und grosszügiger. An
Franzosen machte ich mich nicht heran. Man konnte nie wissen, ob man nicht an
einen Zivilbeamten landete. Ein Flic war meistens freundlich. Doch bei denen im
Zivil wussste man nie. Zum Glück hatte es für ein Essen beim ´Ali´ gereicht und
für eine Flasche Wein. Seit einigen Nächten brauchte ich nicht mehr draussen zu
schlafen. Derrek, ein alter Amerikaner, mit dem Aussehen und Fluchvokabular
eines Bukowski, und schon lange in Paris lebte, hatte einen leeren Kleinlaster
mit Plane ausfindig gemacht, der wohl schon längere Zeit ungenützt am Seineufer
stand. Wir liessen auch tagsüber unsere Schlafsäcke dort. Ein kleines Risiko,
das man eingehen musste. Ich hatte Derreck in der La Santé kennengelernt, und
wir wurden am selben Tag entlassen. Viele denken dabei übrigens an ein
Krankenhaus. Ich habe Derreck nie gefragt, warum er gesessen hatte. Und über
mich möchte ich nicht sprechen. Er kannte Paris ziemlich gut und wusste
Quellen, die man anzapfen konnte. Doch ich wollte lieber meine eigene Tour
drehen. Wir trafen uns meist nach getaner Arbeit hier am Pont Neuf. An diesem
Abend hatten sich ein paar Touristen eingefunden. Doch ich hatte keine Lust und
war auch zu müde, einige Opfer ausfindig zu machen. Eine noch ziemlich junge
Amerikanerin in Begleitung eines älteren Herrn, blickte öfters zu mir herüber.
Sie hätte mir gefallen. Doch ich wagte nichts zu unternehmen. Wegen ihrer
Begleitung und weil ich heute nicht gut roch. Ich wollte morgen am Gare du Nord
eine Dusche nehmen und das Unterzeug und Hemd wechseln. Den Koffer hatte ich
bei Ali untergestellt.
Es war schon zehn
Uhr, als Derrek kam. Die meisten Touristen waren schon gegangen und einige
Clochards hatten sich zum schlafen niedergelegt. Derrek war nicht alleine. Ein
junger Amerikaner, mit einer Guitarre über der Schulter befand sich in seiner
Begleitung, und der einen Platz für die Nacht suchte. Derreck stelle ihn mir
als John vor. Ich war nicht begeistert. Denn bald würden mehr Leute über dem
leeren Lastwagen wissen und die Gefahr einer Entdeckung war gross. Derreck
beruhigte mich.
-Nur für eine
Nacht.-
Er hatte zwei
Flaschen Wein mit sich. Ich hoffte, dass er nicht zuviel trank. Denn dann kam
meist der wahre Derreck zum Vorschein. Seine schmutzigen Witze und wildes
Fluchen. Doch vor allem seine Agrissivität. Auf einmal kam mir der Gedanke,
dass Derrek homosexuell sein könnte. Ich konnte das nicht so richtig begründen.
Mich hatte er nie belästigt. Allerdings ich hatte ihn noch nie mit einer Frau
gesehen. Und die Art, wie er John ansah und ihn manchmal berührte. Ich fasste
den Entschluss, mich von Derreck zu trennen. Zumal er mir in der letzten Zeit
sowieso auf die Nerven ging. Einfach zum Lastwagen gehen, den Schlafsack nehmen
und für die Nacht einen anderen Platz suchen. Ich stand auf und sagte nur, dass
ich gleich wiederkäme. Derrick nickte nur. Vielleicht ahnte er meinen
Entschluss, und war froh mit John alleine zu sein.
Als ich vom Pont
Neuf in den Quai de l´Horloge einbog, stand plötzlich die Amerikanerin vor mir.
Sie lächelte.
-Willst du mit
mir kommen, sagte sie nur. Und als ich schwieg, fügte sie hinzu.
-Ich bin nicht,
was du vielleicht denkst. Ich heisse übrigens Sarah.-
Ich dachte auch
nicht daran und es war mir auch egal. Sondern dachte daran, dass ich nur ein
paar Euro in der Tasche hatte und die Notreserven nicht anbrechen wollte. Und
dass ich neue Unterwäsche und ein anderes Hemd brauchte. Ich erklärte ihr meine
Situation. Sie lachte nur.
-In Ordnung.-
Nach einiger Zeit
konnten wir ein Taxi heranwinken und fuhren zum ´Ali´. Ich schätzte Sarah auf
dreissig Jahre. Sie war ziemlich schlank und hatte rote, kurz geschnittene
Haare. Ich tippte auf irische Vorfahren. Vielleicht war sie eine von den
Amerikanerinnen, die hier in Paris ihre geheimen Wünsch auslebten und zu daheim
wieder die gute Ehefrau und Mutter spielten. Oder auch nur die Tochter aus
reichem Hause, die mit Hilfe von Daddys Geld sich hier vergnügte. Auch das war
mir egal. Endlich ein weiches Bett für dies und das andere. Wir schwiegen im
Taxi und als wir beim ´Ali´ ankamen, sagte sie nur:
-Hol deinen
Koffer. Ich warte hier.-
Ali hatte Lust,
mit mir zu schwatzen, doch ich vertröstete ihn auf ein andermal. Ich nahm nur
schnell den Koffer und ging zum Taxi zurück. Wir fuhren zur Rue de la Huchette,
wo sie in einem kleinen Hotel untergebracht war. Sie sprach mit der Frau an der
Reception einige Worte, die nur lachte und uns bonne nuit wünschte.
Zwei Tage war ich
mit Sarah zusammen. Wir besuchten Museen und assen in guten Restaurants. Sie
bezahlte alles, weil sie das Geld hatte. Am dritten Tage sagte sie nur
lächelnd.
-Pack deine
Sachen. Die Party ist vorbei..-
Ich kannte solche
Situationen. Nahm meinen Koffer und fuhr zu Ali.
In der Zeitung
las ich, dass man die Leiche eines jungen Mannes in einem abgestellten Lastwagen
am Ufer der Seine gefunden hatte. Anscheinend zuerst missbraucht und dann
getötet.
Von Derreck habe
ich nie mehr etwas gehört.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.04.2006.
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