Marc Hecht

Sinatras Tod

Seine Augen wurden jetzt so wässerig, er stand vor dem Spiegel im Schlafzimmer, ging noch einen Schritt heran an den Spiegel, besah sein Gesicht und fuhr sich dabei durchs Haar.

 

Grau, fast weiß war sein Haar jetzt - auch ein bisschen zu lang – doch es fiel nicht aus, immerhin. Er nickte zufrieden in sein Spiegelbild.

 

Aber das Kinn! Ein fulminantes Doppelkinn - und die Nase - rot geädert - überhaupt rot.

 

Nicht schön, dachte er, und bestrich jetzt seine Nase.... und nun kamen auch noch die wässrigen Augen dazu, das machte ihn so stumpf, so müde... so alt.

 

Endlich ließ er die Arme fallen, resigniert: ...so ist das nun mal – ich bin ja alt.

 

Der Hauch von Resignation verflog jedoch, er öffnete die Schranktür und holte eine Anzughose hervor. Im weißen Unterhemd, in Unterhose und Strümpfen stand er da und hielt die Hose in der Hand. Dabei sah er noch mal in den Spiegel: Ein käsiger Koloss! – empört, fast erschrocken blickte er jetzt an sich hinunter: Sein Bauch ging ins Gigantische, selbst das riesige Unterhemd spannte. Er wurde jetzt viel zu dick. Übermäßig dick, peinlich, aufsehenerregend dick.

 

Im nächsten Jahr wurde er 70, bis dahin musste etwas geschehen, unbedingt. Sie hatten ihm – ernsthaft – vor ein paar  Wochen im Restaurant eine kleine Tischdecke gebracht – statt einer Serviette. Das war übertrieben – zugegeben – aber sie hatten sich nicht anders zu helfen gewusst – die Serviette war für ihn ein Witz.

 

Und – seine fleischigen schlaffen Beine, seine dicken Arme, sein gesamter wabbeliger Körper war auch noch bleich, weiß fast - furchtbar häßlich.

 

„Man sollte sich so halbnackt nicht mehr ansehen“, dachte er, trotzig, und starrte doch weiter in den Spiegel.  

 

Endlich drehte er sich weg, mit der Hose in der Hand: „Adonis geht auf Tour!“, murmelte er, sarkastisch, und freute sich doch insgeheim am eigenen Ausspruch. Dann setzte er sich aufs Bett, versenkte seine dicken Beine in der Hose, keuchte dabei ein wenig und stand umständlich wieder auf.

 

Die Hose war eng, eigentlich zu eng. Missmutig blickte er wieder an sich hinunter, konnte von der Hose jedoch nichts erkennen....und schließlich packte ihn vollends der Trotz: Denn es war ja nun so, dass er diese Hose schon seit Ewigkeiten nicht mehr getragen hatte, seit Ewigkeiten!

 

Und jetzt musste er sie plötzlich wieder hervorholen!

 

Das war aber auch ein Tag, heute! 

 

Er besann sich, hielt die Luft an, um die Hose zu schließen. Nein, nahm er sich vor - er wollte nicht klagen, keinesfalls. Er war soweit gesund - der Blutdruck, ok,...das war irgendwann so gekommen.  Aber im Grunde war es harmlos, dagegen gab’s Tabletten. Und die Rente reichte. Alles bestens.

 

Und jetzt kam sogar unverhofft noch ein bisschen Geld rein. Ganz abgesehen von der Ehre, ein toller Tag!

 

Was war geschehen? Nichts weniger als dies: Frank Sinatra war gestorben. Der große Frank Sinatra.

 

In der Redaktion hatten sie sich erinnert - dass er als junger Reporter mit Sinatra zu tun gehabt hatte. Zwei Interviews... zwei große Interviews waren das damals... und jetzt sollte er – der Mann, der Sinatra zweimal begegnet war – auch den Abgesang schreiben!

 

Er setzte sich noch einmal aufs Bett, knöpfte das Hemd zu und sah zu Boden: ...ja, das war lange her... Seine Lokale hatte er damals gehabt, seine Stammplätze,... sogar seine Flaschen – mit einem kleinen Namensschild daran, in vielen Städten...

 

Er versank in der Erinnerung, auf dem Bett sitzend, halb angezogen. Damals hatte er angefangen, sich Marotten zuzulegen – regelrechte Spleens – einmal hatte er von seinem Verleger einen grünen Schreibtisch gefordert und ein anderes Mal einen Jaguar als Dienstwagen. Und alle fanden es chic –  Marotten gehörten damals dazu.

 

Er nickte... und es war so einfach gewesen, so dermaßen einfach... damals hatte er sich diesen amerikanischen Stil angewöhnt, knapp und lapidar... als einer der ersten in Deutschland. Ein bisschen Hemingway, ein bisschen Fitzgerald, ein bisschen sarkastisch und derb – ... verdammt hatte er oft in seinen Reportagen geschrieben, oder verflucht: diese verdammte Sonne ...  der verfluchte Regen... 

 

Das war nun lange her - und später ging’s dann mächtig bergab...

Unwillig sah er hoch, stand umständlich vom Bett auf und wischte das weg: „Hör’ auf!“, schalt er sich.

 

Er war – imgrunde – mit sich im Reinen. Viel zu dick zwar, ein bisschen verwahrlost,  69-jährig und allein lebend – mit sich im Reinen.

 

Natürlich – ein paar hunderttausend hatte er sicherlich verprasst. Auch ein paar Frauen waren ihm weggelaufen. Und er war Alkoholiker.

 

Doch auch damit war er stets gelassen umgegangen: „Sind wir nicht alle Alkoholiker?“, hatte er häufig gefragt, vergnügt, in großer Runde. „Irgendwie zumindest...die unterscheiden das ja... alpha, beta...delta... ich bin noch alpha    – aber dafür schon lange!“

 

Und alle hatten geprostet, gelacht - das war eine schöne Zeit.

 

...Aber gut - jetzt also Frank Sinatra. Er besann sich und nahm die dunkelblaue Krawatte von der Stuhllehne. Tot ist der! Himmel noch mal...

 

Damals, vor 40 Jahren in Kalifornien, war er selbst noch jung gewesen – und Sinatra immerhin noch nicht alt. Das war was, damals.

 

Ava Gardner war dabei. Betrunken. Als Sinatra einmal den Raum verließ, hatte sie ihm zugezischt: „Write it: He’s hung like a horse“ ...er ist bestückt wie ein Pferd...

 

Natürlich hatte er das nicht geschrieben – aber die Gardner war schon verrückt.

 

Er trat jetzt aus dem Schlafzimmer in den Flur und nahm ein graues Sakko von der Garderobe, aufgeräumt: Man traf sich - im Restaurant. Er - und der Chefredakteur! Das war doch was - und etwas Geld kam auch rein.

 

Zufrieden ging er aus der Wohnung und schloss die Tür.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.04.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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