Annie Krug

gleich hinterm Dorf liegt Babylon

Das kleine Waldstückchen, welches meine Freundin Ritschi, die beiden gleichaltrigen Jungs, sowie ich selber als Platz für unsere geplante "Blockhütte" ausgesucht hatten, lag in wohltuender Entfernung zur restlichen Welt - womit in erster Linie allzu interessierte Augen und Ohren gemeint waren - man hatte schließlich Bedarf an Privatsphäre.
 
Hier konnte die Unterhaltung unbesorgt in normaler Lautstärke geführt werden. Beruhigend war, dass das Wäldchen sich trotzdem immer noch in Rufnähe zum Dorf befand. Das war ein sehr wichtiger Aspekt, denn allzu lange Wege dürften auf Dauer recht schnell lästig werden. Und natürlich auch die Geduld der Eltern strapazieren, die ihren kleineren und größeren Aufgaben ja immer möglichst prompt von unsereins erledigt haben wollten. Unnötige Verzögerungen konnten durchaus dazu führen, dass die Freuden des Trapperlebens empfindlich geschmälert würden.
Erfreulicherweise gehörte das erwählte Fleckchen Erde dem Vater eines der Buben. Somit war auch schon die rechtliche Lage geklärt. Keine Willkür irgendeines mißgünstigen Bauern könnte uns von dort vertreiben. Und Ärger wegen zertrampelten Grases würde es in dem Fall auch keinen geben, denn eine tief eingefahrene Wagenspur führte im Halbrund durch einen kleinen Hohlweg auf der Nordseite daran vorbei. Wir brauchten mit unseren Fahrrädern lediglich den Laastn (Räderspuren) zu folgen und hinterließen auf diese Weise nicht einmal eine verräterische Bahn auf der Wiese. Es war bloß eine Geschicklichkeitsfrage, in den schmalen Rillen nicht unfreiwillig abzusteigen. Eine Landung zwischen stacheligen Bromberrranken wäre nämlich ein bißchen unerfreulich gewesen.
 
Unter dem vielversprechenden Kornapfel-Baum am Rande des Wäldchens warteten Walze, Pflug, Egge und hin und wieder auch eine Sämaschine oder ein Kartoffelroder auf ihren nächsten Arbeitseinsatz. Aber diese verschwiegene Nachbarschaft störte ja nicht.
 Beinahe unsichtbar führte ein fußbreiter Trampelpfad durch den ausladenden Schutzwall aus wüstem Hartriegelgesträuch und Schlehdorn ins "Landesinnere".
 
Auf der Südseite erhob sich zwischen schlanken Buchenstämmen efeuberankt ein turmartiger Felsen, der sich bequem wie eine Burgzinne ersteigen ließ. Von dort aus war die Gegend in weitem Umkreis zu überblicken. Besonders das Dorf, das auf leichter Anhöhe im Gegenlicht vor uns lag, und das schmale Sträßchen, das von dort hierher führte. Falls nötig, hatte man also alles unter Kontrolle.
 
Als wir an unserem künftigen Lagerplatz das dichte Gebüsch entfernten, stießen wir auf Spuren, aus denen sich schließen ließ, daß auch schon Ältere vor uns dieses verschwiegene "Eckerla" gekannt und für ihre Zwecke zu nutzen gewußt haben mochten.  
 
 Nun benötigten wir vor allem geeignetes Baumaterial und zweckmäßige Einrichtungsgegenstände, damit aus unseren kühnen Plänen auch wirklich was "Gscheit´s" wurde.
 
Einiges Brauchbare fand sich direkt an Ort und Stelle.
 Ein hübscher Schlambm Doochbabb (Stück Teerpappe) beispielsweise, ein kleiner Stoß roher Bretter, ein paar Pfähle - das stammte noch von einem längst abgetragenen Holzlagerplatz. Die Abfallgrube, die wir hinter dem großen Felsen ausmachten, war leider weniger ergiebig. Bis auf eine stockfleckige Matratze war da nichts, was man noch hätte verwenden können. Aber so hatten wir wenigstens schon mal ein Polster zum Ausruhen von der schweren Arbeit, die wir zu erledigen gedachten. Tja - das sollte bloß keiner meinen, daß wir nicht vorausschauend planten!  
 
Vieles "organisierten" wir kurzerhand daheim. Ein jeder schleifte aus Haus und Hof davon, was nicht niet- und nagelfest war...
 Mein ältester Bruder ließ sich nicht lange bitten, bereitwillig schraubte er die Sitze aus der alten Schrottkarre und verfolgte hinter seinem Bart hervorgrinsend unsere Bemühungen beim Abtransport. 
 
Auch das dreibeinige Nachtkästchen, von einem der Buben stolzgeschwellt angeschleppt, war uns hochwillkommen. Ritschi brachte neben diversen Werkzeugen einen dicken Packen Plastik-Kunstdüngersäcke für die "Eindeckung" des Daches mit. Und ein halbvolles Päckchen Zigaretten für die Entspannung zwischendurch... Unschwer zu erraten, daß letzteres den geheimen Beständen ihrer großen Schwester entstammte und mit Sicherheit keine freiwillige Spende war. 
 
Der zweite Knabe in unserem "Bautrupp" hatte es wesentlich schwerer, irgendwelche Werkstoffe von daheim herauszuschmuggeln. Im Gegensatz zu uns restlichen dreien, die wir sozusagen an der "Peripherie" der Ortschaft beheimatet waren, von wo man sich doch immer wieder auf irgendeinem Schleichweg verdrücken konnte, wohnte er mitten im Dorf. Sein elterlicher Hof lag, für Ortsfremde beinahe unauffindbar, eingekeilt zwischen angrenzenden Wohnhäusern, Ställen und Scheunen. Größeres Material ungesehen von Nachbarn oder den eigenen Leuten beiseite zu schaffen war für ihn nicht drin. Aber ein paar schöne Handvoll langer Stahlstifte aus der Werkzeugkiste - und was sich sonst noch so alles an Kleinkram dezent in den Tiefen seiner Hosentaschen versenken ließ, war schließlich auch nicht zu verachten.
 
Aus den Trümmern eines Abbruchhauses wühlten wir mit wachsender Begeisterung unermeßlich Wertvolles hervor. Man durfte halt bloß nicht so wählerisch sein. Neben einer kleinen Stalltür, unzähligen Brettern und Latten, samt den darin enthaltenen Nägeln fand auch ein Gitterrost unser Wohlwollen. Dieser war als unser künftiger Grill ausersehen. Zwar konnte nicht wirklich zweifelsfrei ausgeschlossen werden, daß das gute Stück bei seinem Vorbesitzer eventuell als Fußabstreifer im Dienst gestanden haben könnte, aber wir glaubten alle ganz fest an die "reinigende Kraft des Feuers"!
 
Das sperrige Gut transportierten wir mit Hilfe von Milchkarren und unseren Rädern in heimlichen Nacht-und-Nebel-Aktionen hinunter zu unserem Bauplatz. Nun konnte endlich begonnen werden!
 
Halt - nein, es fehlten doch noch ein paar stabile Eckpfeiler, die das Dach tragen sollten. Um unseren Grundbesitzer nicht zu vergrätzen, verzichteten wir wohlweislich darauf, der Einfachheit halber an Ort und Stelle einen Baum zu schlagen. Aber kein Problem, sowas gibt´s ja im Wald - und davon war hier ringsum weißgott genug vorhanden. Es galt eben bloß, wie so oft, auch diesmal das elfte Gebot, "Du sollst dich nicht erwischen lassen!
 "Also, auf ins Gehölz!"
 
Gegen alle sonstige Gewohnheit konnten wir auch mucksmäuschenstill sein - wenn´s sein mußte. Nicht der geringste Laut war von uns zu vernehmen. Allein schon das Bewußtsein dieses nicht unbedingt astreinen Vorhabens ließ uns wachsam nach allen Seiten wittern und verschworen tuscheln, obwohl in Wirklichkeit weit und breit keine Menschenseele in der Nähe war, der die ruchlosen Pläne hätte belauschen können. Selbst da, wo wir völlig unbeachtet geblieben wären, schlichen wir geduckt wie das personifizierte schlechte Gewissen den Feldweg entlang.
 
Erst an einer Stelle, tief in der benachbarten Waldung, wo nur noch ganz vereinzelte schräge Sonnenstrahlen den dichten Flor aus Immergrün und Sauerklee streiften, der den steilen Südhang vor uns bedeckte, fühlten wir uns sicher und unbeobachtet genug. Die erhaben rauschenden Baumkronen schienen spöttisch zu flüstern, "ihr werdet doch wohl nicht feige sein?"
 
Entschlossen wurde die Säge aus der Jacke gewickelt, in die wir sie in weiser Voraussicht eingeschlagen hatten.
 Rasch war die Auswahl getroffen, das schlanke Stämmchen durchgeschnitten, entastet und auf das mitgeführte Fahrrad verfrachtet, das zum Abtransport der "illegalen Ware" bereitstand. (Es war übrigens meines.)
 Da der zurückbleibende Stumpf doch recht anklagend aus dem dunklen Nadelteppich hervorstach, schmierte ich hurtig eine Handvoll des humusschwarzen Waldbodens auf das helle Holz und häufte zusammengerafftes Laub darüber – nur so für alle Fälle.
 Die Tarnung war perfekt, jetzt galt es bloß noch, ungesehen wieder zurückzugelangen. Angstschwitzend zog die Karawane weiter....
  
Das Glück war uns hold gewesen, keiner hatte was gesehen.
 Also konnte es jetzt ohne weitere Verzögerrung an die Umsetzung unserer Pläne, sprich ans große Werk gehen. Mit viel Geschrei und erbittertem Herumgezänke - weil jeder was anderes wollte.
 Tagelang wurde an allen vier Ecken zugleich gesägt, gehämmert, gemessen, geflucht, um´s Werkzeug gestritten, krumme Nägel gerade- und Fingernägel blau geklopft. Und begleitend dazu die unterschiedlichsten Architekturformen und Mordarten in Erwägung gezogen....
 "Ein Turm!  - Wir müssen einen Wachturm haben!" forderten die Buben. "Blödsinn!" opponierte die holde Weiblichkeit, "Seid ihr vielleicht Zeugen Jehovas?
 Und schon waren die Gemüter wieder in Wallung.
"Ihr depperten Gaaß´n, (doofen Ziegen) wie soll man denn sonst Wache halten? Glaubt ihr vielleicht, wir setzen uns im Regen da draußen auf den Stein? Nein, wir wollen einen Aussichtsturm, der über eine Leiter vom Hüttenraum aus zu besteigen ist.
 "Bää, das zieht dann ja wie blöd herein - da könnt ihr euch hernach schön sauber alleine hierherhocken und euch gegenseitig bewachen!"  Wir gaben keinen Fingerbreit nach. "Des tät´da amend scho su´a Mausfalln werrn!" (das wird doch ein totaler Murks!)
 "Pah, na vielleicht, wenn ihr das macht! Aber wir wissen, wie man sowas anpackt - wir sind schließlich Männer!" - Kam uns irgendwie bekannt vor...
 Aber an unrühmliche Begebenheiten aus der Vergangenheit wollten die Knaben natürlich nur äußerst ungern erinnert werden und wir Mädels zogen´s denn auch vor, lieber nicht weiter auf diesem brisanten Thema herumzureiten. Wenn wir den Bogen überspannten, ließen die beiden uns am Ende noch samt dem Bretterhaufen sitzen. Und sie hatten nun mal unbestritten das technische "Know-How", das uns fehlte. So lästig  Mannsbilder auch waren - es leuchtete uns ein - irgendwie brauchte man sie halt doch.
 Statt dessen rückten wir nun unsererseits mit den Wünschen und Anträgen heraus. "Ein flaches, begehbares Dach mit einem Geländer drumherum!
Das wäre sinnvoll - und von da aus kann man schließlich auch prima die Gegend überwachen!"
 "Geht nicht!" Unsere Herren waren nun schon aus Prinzip dagegen, "..Das bricht uns doch glatt ein unter dem Gewicht!"
"Ha, dann friss halt nicht soviel!"
 "Und was sollen wir überhaupt auf´m Dach, wenn wir die Hütte zum Reinsetzen haben?  Wollt ihr da droben Kaffeekränzchen veranstalten, oder was?" höhnten die Buben.
 "Na, ihr könnt unseretwegen auch an allen vier Ecken noo´brunzn, (runterpinkeln) wenn´s euch Spaß macht!" fauchten wir wütend dagegen.  
 Und so ging die fachliche Diskussion lebhaft hin und her, in deren Verlauf sich erst die Männer- mit der Damenwelt verkrachte und schließlich auch noch alle vier untereinander sich keilten.
 Am Ende geriet ich ob des himmelschreienden Unverständnisses meiner drei Mitstreiter derart in Harnisch, daß ich wutschnaubend abrückte und diese Ignoranten samt "Rohbau" ihrem Schicksal überließ. Pah, sollten die doch sehen, wie sie OHNE MICH zurechtkamen! Sogar mein Rad vergaß ich vor Ärger mitzunehmen.
 
Als aber Ritschi mir anderntags vorschwärmte, was ihnen noch alles Sensationelles eingefallen wäre, war ich längst schon wieder vom Tatendrang angesteckt und außerdem auch viel zu neugierig auf die gemachten Fortschritte, um noch länger zu bocken.
 
Trotz aller Kontroversen wuchs unser Prachtbau zusehends.
Er bestach vor allem durch sein schlichtes Ambiente und die naturnahe Ausführung...
 "Holzrahmenbauweise“ – „einfacher offener Grundriss“ – „ca. 6 qm Wohnfläche mit ausgelagertem Küchenbereich und Freiland-Sanitärobjekten“. Ein „energieeffizient kleinflächig gehaltenes Westfenster und das kostengünstige, landschaftsfreundliche Pultdach“ rundeten das rustikale Bild ab.
 
Tja - Schlußendlich hatten eben doch die begrenzten Mittel das letzte Wort behalten und zur Entscheidung beigetragen, was Größe und sonstige bautechnische Extras betraf. (Dürfte versierten Häuslebauern gewiß bekannt vorkommen.)

Dennoch platzten wir beinahe vor Stolz!

Seit ich lesen konnte, liebte ich es, selber zu formulieren, auszuschmücken, meine Beobachtungen in Worte zu fassen. Zum Niederschreiben hats aber leider selten gereicht, ich war viel zu wepsig, und ungeduldig dafür und bekam auch immer sehr schnell einen Schreibkrampf. (vielleicht, wenns damals schon PC und Tastatur gegeben hätte...)
Daß ich ein Buch über meine Kinderzeit in dem romantisch verschlafenen kleinen Juradörfchen schreiben wollte, war mir schon klar, als ich 16 war.
Bis ich mich dann aber tatsächlich an einen ernsthaften Anfang machte, (noch mit Bleistift auf tausenderlei Schmierblättern) dauerte es nochmals an die 2o Jahre. Es war herrlich und schrecklich zugleich, in die Vergangenheit abzutauchen, erstaunlich, wieviel einem wieder einfällt, wenn man erstmal damit angefangen hat.
Der Titel lautet "Früchtla" und das besagt alles..grins.
Jetzt mit 47 bin ich aber noch immer nicht damit zufrieden, bin ständig am herumfeilen, kürzen, hinzufügen. Ich glaub, ich werd nie ganz damit fertig werden.... (vielleicht, weil ein Teil von mir sich standhaft weigert, erwachsen zu werden.

Einen kurzen Auszug möchte ich hier vorstellen... ich wünsche gutes Schmunzeln..

Annie
Annie Krug, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.04.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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