Rudolf Geiser

Herzlichen Glückwunsch!

Heute: Er gratuliert einem Pferdezüchter und passioniertem Reiter zum 55. Geburtstag.
 
 
Sehr verehrter Herr Sattler, meine Damen und Herren!
 
Als ich gebeten wurde, ein paar Worte zu Ihrem 55. Geburtstag zu sprechen, fühlte ich mich zunächst geehrt und geschmeichelt und habe spontan zugesagt. Später kamen mir Zweifel, ob ich, der ich zu Pferden, ja nicht einmal zu Pferdefleisch, auch nur die geringste Affinität habe, tatsächlich berufen bin, eine Rede vor einer illustren Schar hippophiler Experten zu halten.
 
Ausgerechnet denen soll ich was vom Pferd erzählen, hörte ich mich fragen, womöglich noch ein Referat halten, das beim Urpferdchen, dem gerade mal fuchsgroßen Eohippus beginnt, welches vor 50 Millionen Jahren durch die Wälder huschte und dies, jetzt halten Sie sich fest, mit jeweils vier Zehen an den Vorderfüßen, drei Zehen an den Hinterfüßen und einem gebogenen Rücken? Soll ich die Entwicklung zum Einhufer aufzeigen, die über Meso-, Mery- und Pliohippus vonstatten ging? Kann ich Fluss- und Seepferd vernachlässigen und stattdessen über Nikolai M. Przewalski berichten, dessen Sternstunde 1878 in der Mongolei schlug? Ist es wahrscheinlich, dass mir an dieser Stelle überhaupt noch jemand zuhört?
 
Vielleicht sollte ich lieber dem Pferd im Sprichwort nachspüren, dem geflügelten Pferd sozusagen, und von geschenkten Gäulen und Mäulern, Pferden und Apotheken, Pferdefüßen und -küssen sowie von Pferden am Stecken und an der Aller erzählen. Halt, warten Sie, reiten Sie nicht weg, was halten Sie von Pferden in der deutschen Lyrik? Ich meine jetzt nicht solche, auf denen eilige Väter mit debilen Söhnen den Hof mit Mühe und Not erreichen, auch nicht den berühmten Gaul vom Tischler Bartels, der beim Professor Stein läutet, nein, ich meine jene unbekannten Pferdeverseschmiede, die am Wegesrand der hehren Poesie ihrer Entdeckung harren.
 
Zum Beispiel Walther von der Vogelwiese, der seinem Eohippus ein Denkmal setzte: Ich saz ûf eime pferde / die beine ûf der erde. Oder Gottwald Benn: Mann und Frau gehen durch das Landgestüt. Und Matthias Clausewitz: Das Stroh ist ausgegangen. Vor allem aber meine ich Thea Sturm, die in Husum wohnte und ihrem Nachbarn ein Gedicht schenkte, das dieser später zu einer grauslichen Novelle verwursten sollte. Ich möchte Ihnen zum Abschluss das Original vortragen und mich schon jetzt für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit herzlich bedanken.
 
 
Der Schimmelreiter
 
Am Zügel seinen weißen Schimmel,
so steht der Deichgraf auf dem Deich
und schaut verträumt hinauf zum Himmel,
bis seine Frau ruft: "Kommst du?" "Gleich."
 
"Nee nee, sofort!" Oh diese Frauen,
knurrt er und denkt: Lass mich in Ruh.
Ich werde heute Heike hauen.
Der weiße Schimmel nickt dazu.
 
Der Deichgraf lenkt nun, fest entschlossen,
den Schritt zu seinem Hause hin,
am Zügel seinen weißen Zossen.
Die Deichgräfin erwartet ihn.
 
"Du willst mich hauen?" fragt sie heiter,
"dir werd ich zeigen, wer wen haut,
du lächerlicher Schimmelreiter."
Der weiße Schimmel wiehert laut.
 
Man sagt: Wer Wind sät, erntet Storm,
und das Ergebnis war enorm:
Der Deich kaputt, das Pferd verschimmelt,
und auch der Deichgraf, abgehimmelt.
 
Was blieb war die
Tautologie.
 
 
Dem Geburtstagskind, unserem sehr verehrten Horst Sattler, ein dreifaches Hotte: hü, Hotte: hü, Hotte: hü! Dankeschön.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.04.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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