Christian Sommer

Fast Ein Dreier

 

Wie ich auf diese Seite der Strasse kam weiß ich eigentlich nicht. Eben stand ich noch da drüben am Eingang der Dorfdisco. Im linken Arm hatte ich Jana, im Rechten Katja. Wir hatten uns richtig einen gegeben mit Cola-Whisky und knutschten hemmungslos mit- und durcheinander.

 

„Du sabberst!“ meinte Katja und ich dachte mir: Na und? Was meinst Du, was Du Dir zu Recht speicheln würdest, bei einer solchen Dauerstimmulanz?

 

„Nee, das ist der Regen.“ sagte ich. Eigentlich regnete es gar nicht. Es war mehr ein Nieseln. Das reichte aber aus, um Janas Bluse durchsichtig werden zu lassen.

 

„Cabman, du alte Wildsau“ empörte sich künstlich Tobi, der sich an uns vorbei in die Disco schob. Ich wollte ihm noch irgendetwas Witziges hinterher rufen, ließ es aber, weil mir nichts einfiel.

 

Als ich mich wieder umdrehte, um noch ein bisschen zu knutschen, stand eine Horde Rocker vor mir. Also noch nicht so richtig ausgewachsene, aber immerhin schon mit Lederhosen, langen Haaren und dem ganzen Primborium.

 

Ihr Anführer, leicht daran zu erkennen, dass er als einziger so ein absolut albernes Oberlippenbärtchen trug, macht einen Schritt auf uns zu:

 

„Was haben wir denn hier, ein Gruftischwein mit zwei heißen Dingern. Hört mal Mädels, wenn ihr mal einen richtigen Kerl wollt, solltet ihr jetzt mit uns rein kommen.“

 

Na ja, was soll ich sagen? Da ich erstens ein Gentlemen und zweitens angstfrei bin, konnte ich das so natürlich nicht akzeptieren. Ich löste mich von Katja und Jana, machte einen wackeligen Schritt auf Bärtchen zu und fragte höflich, was denn sein Problem wäre. Und dann ging der ganze Ärger los und meine Lichter aus.

 

Und nun stand ich also hier. Vor mir der Hordenchef, der mit hämischer Fresse fragte, ob ich endlich genug hätte. Hatte ich, würde ich aber nie zugeben! Mir tat alles weh. Wirklich alles, Schienbein, Rippen, Magen, Gesicht, einfach alles. Ich sah an mir runter. Meine Hose war völlig durchnässt und dreckig. Mein Pullover war am Kragen zerrissen und mein einst weißes Hemd hatte irgendwie eine andere Farbe angenommen. Ich blutete aus der Nase, meine Lippen waren zerschlagen und geschwollen, die Augen sowieso. Zwischenzeitlich hatte sich eine Schar Schaulustiger um uns versammelt. Ich konnte aber keine Gesichter erkennen. Alle verschwammen zu einer undefinierbaren einheitlichen Masse. Vereinzelt hörte ich Stimmen. Einige von ihnen forderten, ihn endlich fertig zu machen, wobei ich ja schon fertig war. Na schön, dachte ich mir. Konzentrier Dich. Ich erinnerte mich, dass Ingo, der erfahrene Dorfschläger, mal gesagt hatte, man solle den dritten Hemdknopf von oben abzählen und auf diese Stelle schlagen. Da sitzt der Solar Plexus und wenn man den trifft, geht jeder in die Knie. Das Problem war nur, das Bärtchen kein Hemd anhatte. “Aber wenigstens ne Jeansweste“, dachte ich mir und holte aus. `Und leg Deinen Körper rein`, hörte ich noch meinen Exvater sagen und dann explodierten mein Kinn und vor meinem inneren Auge tausend silberne Sterne und dann war plötzlich schlagartig Stille. Es war sehr still und sehr behaglich.

 

Als ich meine Augen wieder aufmachte, blickte ich auf eine Granitwand, die sich als Bordsteinkante herausstellte. Ich lag auf der Strasse und umarmte den Gehweg. Der Nieselregen war in Dauerregen übergegangen. Ich lag in einem Sturzbach abfließenden Regenwassers und neben mir hockte Jana. „Schön, dass Du noch da bist“, freute ich mich ehrlich, sie zu sehen. „Das war total süß von Dir, dass  Du unsere Ehre so verteidigt hast.“ Und damit beugte sie sich zu mir und strich mir die Haare aus dem Gesicht. „Jederzeit wieder.“ stammelte ich, nicht wegen der Schmerzen, sondern wegen des Gefühls, dass mich mit einmal für Jana überrollte. Ich fühlte mich wirklich gut.

 

Dann kamen irgendwann die Jungs, die das irgendwie ja gar nicht mitbekommen hätten, dann kamen der Bus und mit ihm die lange Zeit der Genesung. Natürlich mit liebevoller Pflege von Jana;-)

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Christian Sommer).
Der Beitrag wurde von Christian Sommer auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.04.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Christian Sommer als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Klares Bild: Gedankengänge eines Fernfahrers in Versform von Wilhelm Braisch



"Fünf bis sechs mal die Woche bis zu zehn Stunden auf der Autobahn, da hat man sehr viel Zeit den eigenen Gedanken nachzugehen ..." Der Autor war viele Jahre "on the Road" - und hat einige seiner Gedanken in Versform festgehalten.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Wie das Leben so spielt" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Christian Sommer

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Warum ich das Rauchen unterbrach von Christian Sommer (Wie das Leben so spielt)
Warum können Männer nicht so sein wie wir? von Eva-Maria Herrmann (Wie das Leben so spielt)
FC St. Pauli wird 100 von Karl-Heinz Fricke (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen