Jürgen Behr

Altar der Erkenntnis

Mein Leben ist ein stetes Suchen

 
 
Oft lebte ich in tiefer Einsamkeit und noch in größeren Tiefen der Erkenntnis. Bisher war ich mehr oder weniger ein Heros im Schweigen. Meine Anschauungen über Gott und Menschheit hab ich nur in einem schwarzen Leitzordner offen angesprochen. Eigentlich wollte ich den Inhalt des schwarzen Ordners erst nach meinem Tod öffentlich behandelt wissen. Die ersten Sätze sind ein Dank dem Schöpfer. Ich spürte, dass es in mir etwas gab, der Drang, den wahren Menschen zu leben. Aber mein wahres Leben lebte ich bisher nur im schwarzen Leitzordner.
Als ich damals geboren wurde begann ich aus voller Brust zu schreien. „Unbremsbare Entschlossenheit“, sagte damals Mutter. Mit dieser unbremsbaren Entschlossenheit sollte ich den Stürmen des Lebens vielleicht einmal begegnen. Aus tiefer Dunkelheit kroch ich hervor ans Licht und schrie. „Der wird schon irgendwie seinen Weg finden“, fügte Mutter noch hinzu. An diesem Tag schien besonders eindringlich die Sonne und stellte vieles in den Schatten. Glücklicherweise fiel meine Geburt in den achten Monat. Mittlerweile allerdings spüre ich, wie die Kraft meiner Glieder ein wenig nachlässt. Mein Leben entfaltete sich rege. Nachdenkliche Stirn. Doch die jetzigen Ereignisse machen mich erst richtig lebendig. Ein wenig nur hat die Kraft meiner Glieder nachgelassen, inzwischen gehe ich etwas gebückt, aber ich stehe immer noch fest auf dieser Erde.
 
Am Morgen.
 
Es wurde Tag. Immer höher stieg die Sonne auf, voller Kraft, Wille und Hoffnung. Neuerwachte Schaffenslust entstand. Ich verspürte wieder mal eine gewaltige Lebenskraft, einen starken Drang, etwas ganz Wesentliches zu tun. Einen kleinen Stein will ich ins Rollen bringen, vielleicht löst er eine gewaltige Lawine aus. Das klingt bedrohlich.
 
Nach einer kleinen Weile sagte ich zu mir: „Ich will nun den besagten Anfang machen und den kleinen Stein lostreten. Seit jeher ist Erschaffenes vergangen, um wieder Neues entstehen zu lassen“.
 
Und musste wieder an die damalige Freundschaft mit dem Schweizer Schriftsteller und Philosophen denken. Er schrieb immer wunderbare Briefe – sehr einfühlsame.
„Leben erscheint oft nur sinnlos, es ist es aber nicht, wenn man daran denkt, dass man durch sein Wesen andere beglücken kann. Und da nie völlig etwas vergeht, das einmal existent war, glaube ich an eine –mir zwar nicht klare und genau vorstellbare – Ewigkeit . Weder Du noch ich können je die Spuren unseres Gewesensseins auslöschen, und niemand anderer wird dies können. Und die Tatsache, dass man lieben konnte, wird vielleicht gar noch besondere Spuren geistiger Natur auf Menschen nach uns hinterlassen“. So wie ihm „vieles oft völlig zufällig aufs Papier kommt, wenn er frei zu schreiben anhebe“,  so läuft mir auch vieles aus der Feder, geführt anscheinend von einer unsichtbaren Hand.
 
Immer höher strebte der runde Ball. Mit jeder Wolke, die er glühend zerstäubte oder hinter sich ließ, entstand neuerwachte Schaffenslust. Jetzt sandte die Sonne ihren Strahlenglanz   über den nach oben hin merklich abgerundeten Hügel und stellte den mittlerweile von moosbewachsenen steinernen Altar ins helle Licht. Wichtige Einzelheiten, die einfach entschlüsselt und Fragen, die sinnvoll beantwortet werden mussten, drängten sich mir auf. Jenen kleinen Stein ins Rollen zu bringen, daran bestand nun kein Zweifel mehr.
 
Zielstrebig näherte ich mich dem Altar,  um mich dort mit den himmlischen Gewalten auszutauschen wie einst unsere Vorfahren es auch taten.  Viele verworrene Fragen, die im Laufe meiner Jahre in mir entstanden sind, drängten sich an diesem Morgen besonders auf, beantwortet zu werden. An diesem Platz suchte ich immer wieder die Fäden, die sich während langer Jahre durch vieles zu einem dichten Gewebe irgendwie zusammenliefen., zu entknoten.
Wie diesen Altar, so haben unsere Vorfahren besondere Spuren hinterlassen.
 

Der Faustkeil

 
Am Anfang tobte im Innern der Erde eine wilde Urwelt, deren Gewalten sie immer wieder sprengten und die Konturen von gerade Neuentstandenem  wieder verwischte und aus dem All prallten auf die noch weiche, biegsame Kruste Meteoren, so dass sie Hügel und Berge aufschüttete und  zahlreiche steile Schluchten, Täler und Felsspalten entstehen ließ. Nur langsam kam die Erde zur Ruhe,  und die Natur brachte fast bis zum Himmel hochwachsende  Bäume hervor und legte Grünflächen an und ließ Wasser durch die Versenkungen fließen, das sich  und in riesige Meere sammelte. Aus Bäumen wurden dichte Wälder und aus den Grünflächen saftige Wiesen und Weiden. Immer wieder ging gerade Entstandenes unter, um wieder neu zu entstehen. Es war ein stetes Wechselspiel zwischen Werden und Vergehen. Und auch heute noch sind einige Gewalten im Innern der Erde unruhig. Und auch unzählige übergroße Wesen, Drachen und Dinosaurier kämpften um ihren Lebensraum, der durch die bewegte Urwelt immer wieder knapp wurde. So ging es ständig weiter bis schließlich der Mensch auftrat mit so manchem Neuen, was vorher unbekannt war. Er wuchs unbestritten zur Krone der Schöpfung heran. Aber bis dahin mussten noch mannigfaltige Meilensteine gesetzt werden. Von Anfang an wurde er begleitet von Angst und Furcht. Er hatte Angst, dass ihm sein Ackerboden und seine Lebensgrundlage genommen wird, das, was ihm „heilig“, im ursprünglichen Sinne einzig war. Aber wie verflucht nahm im die unbändige Natur immer wieder die Lebensgrundlage und machte ihn heimatlos. Und er sah, dass es vielleicht eine Möglichkeit gibt unter dem Fluch zu leben. So baute er einen Altar, um in Klagegebeten und Opferung als abwehrende Reaktion auf Vertreibung und Verbannung aus seinem Paradies. Wenn sonst noch die Welt friedlich war. Vor dem Altar glaubte er sich in Hörweite der unbändigen Urwelt. Es gab nur eine eindeutige Sprache. Und auch der Tod war allgegenwärtig. Aber man verehrte ihn noch als etwas ganz Natürliches und legte den Verstorbenen in eine der zahlreichen Felsspalten ab und zu dessen Schutz einen Faustkeil in die Hand. Niemand sollte seine Totenruhe stören. Die Gemeinschaft der Menschen, der Brüder vor der unbändigen Urwelt wurde größer und sie fiel auseinander. Auseinandergefallen ist sie auch, wenn mal wieder ein Meteorengruß auf die Erde traf und Tod und Zerstörung mitbrachte. Tod und Zerstörung, Vertreibung und bedrängte Existenz  waren allgegenwärtig. Es reichte längst nicht mehr aus nur der unbändigen irdischen Urwelt ein Klagegebet und ein Opfer darzubringen im Land der Not. Weitere Altäre wurden nötig. In der Mannigfaltigkeit der Anbetung entstanden neue Sprachen.
 
Nach einer weiteren Erzählung erschlägt ein zorniger Bruder einen anderen Bruder mit einem Faustkeil. Den Faustkeil stahl der Brudermörder einem Toten, weil er der Meinung war, das der Tod unter dem Fluch der unbändigen Urwelt steht und daher keinen Schutz brauche.  Zwischen den beiden Brüdern kam es zu einem furchtbaren Streit. Niemals zuvor hatte ein Mensch einen anderen Menschen getötet. Unerklärbares ist passiert. Das friedliche Mit- und Nebeneinander, das geordnete und soziale Leben  ist tiefgreifend gestört. Viele schwören auf Rache.
 
Weitere Rivalitäten treten neu hinzu. Zwischen den verschieden Altären taucht ein bitterer Konkurrenzkampf auf. Nur die Stärkeren Götter überleben. Der Faustkeil war längst nicht mehr das Zeichen von Frieden und der Ruhe. Fortan herrschte Friedlosigkeit. Viele Altäre werden zum Freiwild. Diese Entwicklung wich der folgenden. Die erst Erschaffenen Altäre brachen ein, um in riesigen Tempelanlagen und Pyramiden wieder neu zu entstehen. Die in den Lüften kreisenden Vögel verfolgten von hoch oben, was zu ebener Erde geschah. Wie die herrschenden vierbeinigen Riesen, die das Land unter sich aufteilten, einer gegen den anderen kämpfend, so teilten sodann die Menschen gegen den anderen kämpfend das fruchtbare Land auf. In den neuen gewaltigen Grundmauern jener großen Tempelanlagen und Pyramiden spielte sich von nun an unser weiteres Geschick ab. Der Konkurrenzkampf ging auch da weiter als gewisse Hinterlassenschaft der Frühzeit. Dazu kam noch so manches Neue. Und darin liegt meiner Meinung nach etwas Besonderes.
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.04.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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