Mein Leben ist ein stetes Suchen
Oft lebte ich in tiefer Einsamkeit und noch in größeren
Tiefen der Erkenntnis. Bisher war ich mehr oder weniger ein Heros im Schweigen.
Meine Anschauungen über Gott und Menschheit hab ich nur in einem schwarzen
Leitzordner offen angesprochen. Eigentlich wollte ich den Inhalt des schwarzen
Ordners erst nach meinem Tod öffentlich behandelt wissen. Die ersten Sätze sind
ein Dank dem Schöpfer. Ich spürte, dass es in mir etwas gab, der Drang, den
wahren Menschen zu leben. Aber mein wahres Leben lebte ich bisher nur im
schwarzen Leitzordner.
Als ich damals geboren wurde begann ich aus voller Brust zu
schreien. „Unbremsbare Entschlossenheit“, sagte damals Mutter. Mit dieser
unbremsbaren Entschlossenheit sollte ich den Stürmen des Lebens vielleicht
einmal begegnen. Aus tiefer Dunkelheit kroch ich hervor ans Licht und schrie.
„Der wird schon irgendwie seinen Weg finden“, fügte Mutter noch hinzu. An
diesem Tag schien besonders eindringlich die Sonne und stellte vieles in den
Schatten. Glücklicherweise fiel meine Geburt in den achten Monat. Mittlerweile
allerdings spüre ich, wie die Kraft meiner Glieder ein wenig nachlässt. Mein
Leben entfaltete sich rege. Nachdenkliche Stirn. Doch die jetzigen Ereignisse
machen mich erst richtig lebendig. Ein wenig nur hat die Kraft meiner Glieder
nachgelassen, inzwischen gehe ich etwas gebückt, aber ich stehe immer noch fest
auf dieser Erde.
Am Morgen.
Es wurde Tag. Immer höher stieg die Sonne auf, voller Kraft,
Wille und Hoffnung. Neuerwachte Schaffenslust entstand. Ich verspürte wieder
mal eine gewaltige Lebenskraft, einen starken Drang, etwas ganz Wesentliches zu
tun. Einen kleinen Stein will ich ins Rollen bringen, vielleicht löst er eine
gewaltige Lawine aus. Das klingt bedrohlich.
Nach einer kleinen Weile sagte ich zu mir: „Ich will nun den
besagten Anfang machen und den kleinen Stein lostreten. Seit jeher ist
Erschaffenes vergangen, um wieder Neues entstehen zu lassen“.
Und musste wieder an die damalige Freundschaft mit dem
Schweizer Schriftsteller und Philosophen denken. Er schrieb immer wunderbare
Briefe – sehr einfühlsame.
„Leben erscheint oft nur sinnlos, es ist es aber nicht, wenn
man daran denkt, dass man durch sein Wesen andere beglücken kann. Und da nie
völlig etwas vergeht, das einmal existent war, glaube ich an eine –mir zwar
nicht klare und genau vorstellbare – Ewigkeit . Weder Du noch ich können je die
Spuren unseres Gewesensseins auslöschen, und niemand anderer wird dies können.
Und die Tatsache, dass man lieben konnte, wird vielleicht gar noch besondere
Spuren geistiger Natur auf Menschen nach uns hinterlassen“. So wie ihm „vieles
oft völlig zufällig aufs Papier kommt, wenn er frei zu schreiben anhebe“, so läuft mir auch vieles aus der Feder,
geführt anscheinend von einer unsichtbaren Hand.
Immer höher strebte der runde Ball. Mit jeder Wolke, die er
glühend zerstäubte oder hinter sich ließ, entstand neuerwachte Schaffenslust.
Jetzt sandte die Sonne ihren Strahlenglanz
über den nach oben hin merklich abgerundeten Hügel und stellte den
mittlerweile von moosbewachsenen steinernen Altar ins helle Licht. Wichtige
Einzelheiten, die einfach entschlüsselt und Fragen, die sinnvoll beantwortet
werden mussten, drängten sich mir auf. Jenen kleinen Stein ins Rollen zu
bringen, daran bestand nun kein Zweifel mehr.
Zielstrebig näherte ich mich dem Altar, um mich dort mit den himmlischen
Gewalten auszutauschen wie einst
unsere Vorfahren es auch taten. Viele
verworrene Fragen, die im Laufe meiner Jahre in mir entstanden sind, drängten
sich an diesem Morgen besonders auf, beantwortet zu werden. An diesem Platz suchte
ich immer wieder die Fäden, die sich während langer Jahre durch vieles zu einem
dichten Gewebe irgendwie zusammenliefen., zu entknoten.
Wie diesen Altar, so haben unsere Vorfahren besondere Spuren
hinterlassen.
Der Faustkeil
Am Anfang tobte im Innern der Erde
eine wilde Urwelt, deren Gewalten sie immer wieder sprengten und die Konturen
von gerade Neuentstandenem wieder
verwischte und aus dem All prallten auf die noch weiche, biegsame Kruste
Meteoren, so dass sie Hügel und Berge aufschüttete und zahlreiche steile Schluchten, Täler und
Felsspalten entstehen ließ. Nur langsam kam die Erde zur Ruhe, und die Natur brachte fast bis zum Himmel
hochwachsende Bäume hervor und legte
Grünflächen an und ließ Wasser durch die Versenkungen fließen, das sich und in riesige Meere sammelte. Aus Bäumen
wurden dichte Wälder und aus den Grünflächen saftige Wiesen und Weiden. Immer
wieder ging gerade Entstandenes unter, um wieder neu zu entstehen. Es war ein
stetes Wechselspiel zwischen Werden und Vergehen. Und auch heute noch sind
einige Gewalten im Innern der Erde unruhig. Und auch unzählige übergroße Wesen,
Drachen und Dinosaurier kämpften um ihren Lebensraum, der durch die bewegte
Urwelt immer wieder knapp wurde. So ging es ständig weiter bis schließlich der
Mensch auftrat mit so manchem Neuen, was vorher unbekannt war. Er wuchs
unbestritten zur Krone der Schöpfung heran. Aber bis dahin mussten noch
mannigfaltige Meilensteine gesetzt werden. Von Anfang an wurde er begleitet von
Angst und Furcht. Er hatte Angst, dass ihm sein Ackerboden und seine
Lebensgrundlage genommen wird, das, was ihm „heilig“, im ursprünglichen Sinne
einzig war. Aber wie verflucht nahm im die unbändige Natur immer wieder die
Lebensgrundlage und machte ihn heimatlos. Und er sah, dass es vielleicht eine
Möglichkeit gibt unter dem Fluch zu leben. So baute er einen Altar, um in
Klagegebeten und Opferung als abwehrende Reaktion auf Vertreibung und
Verbannung aus seinem Paradies. Wenn sonst noch die Welt friedlich war. Vor dem
Altar glaubte er sich in Hörweite der unbändigen Urwelt. Es gab nur eine
eindeutige Sprache. Und auch der Tod war allgegenwärtig. Aber man verehrte ihn
noch als etwas ganz Natürliches und legte den Verstorbenen in eine der
zahlreichen Felsspalten ab und zu dessen Schutz einen Faustkeil in die Hand.
Niemand sollte seine Totenruhe stören. Die Gemeinschaft der Menschen, der
Brüder vor der unbändigen Urwelt wurde größer und sie fiel auseinander.
Auseinandergefallen ist sie auch, wenn mal wieder ein Meteorengruß auf die Erde
traf und Tod und Zerstörung mitbrachte. Tod und Zerstörung, Vertreibung und
bedrängte Existenz waren
allgegenwärtig. Es reichte längst nicht mehr aus nur der unbändigen irdischen
Urwelt ein Klagegebet und ein Opfer darzubringen im Land der Not. Weitere
Altäre wurden nötig. In der Mannigfaltigkeit der Anbetung entstanden neue
Sprachen.
Nach einer weiteren Erzählung
erschlägt ein zorniger Bruder einen anderen Bruder mit einem Faustkeil. Den
Faustkeil stahl der Brudermörder einem Toten, weil er der Meinung war, das der
Tod unter dem Fluch der unbändigen Urwelt steht und daher keinen Schutz
brauche. Zwischen den beiden Brüdern
kam es zu einem furchtbaren Streit. Niemals zuvor hatte ein Mensch einen
anderen Menschen getötet. Unerklärbares ist passiert. Das friedliche Mit- und
Nebeneinander, das geordnete und soziale Leben
ist tiefgreifend gestört. Viele schwören auf Rache.
Weitere Rivalitäten treten neu
hinzu. Zwischen den verschieden Altären taucht ein bitterer Konkurrenzkampf
auf. Nur die Stärkeren Götter überleben. Der Faustkeil war längst nicht mehr
das Zeichen von Frieden und der Ruhe. Fortan herrschte Friedlosigkeit. Viele
Altäre werden zum Freiwild. Diese Entwicklung wich der folgenden. Die erst
Erschaffenen Altäre brachen ein, um in riesigen Tempelanlagen und Pyramiden
wieder neu zu entstehen. Die in den Lüften kreisenden Vögel verfolgten von hoch
oben, was zu ebener Erde geschah. Wie die herrschenden vierbeinigen Riesen, die
das Land unter sich aufteilten, einer gegen den anderen kämpfend, so teilten
sodann die Menschen gegen den anderen kämpfend das fruchtbare Land auf. In den
neuen gewaltigen Grundmauern jener großen Tempelanlagen und Pyramiden spielte
sich von nun an unser weiteres Geschick ab. Der Konkurrenzkampf ging auch da
weiter als gewisse Hinterlassenschaft der Frühzeit. Dazu kam noch so manches
Neue. Und darin liegt meiner Meinung nach etwas Besonderes.