Andreas Huskey

Der Beobachter


Hauptkommissar Behrens war sich von Anfang an darüber im klaren, dass sie es diesmal mit einem besonders kaltblütigen Täter zu tun hatten.
Während seinen Assistenten Weber fahren lies sammelte er in Gedanken die ersten Informationen, die über den Fall vorlagen.
Ein Vorgang, der um Vier Uhr morgens etwas schwerer fiel.
Vor etwa einer halben Stunde ging ein anonymer Anruf ein, in dem der Polizei eine Leiche
auf einem Feld, nördlich der Stadt gemeldet wurde.
Ein Streifenwagen war recht schnell an dem angegebenen Ort und fand auch tatsächlich eine
männliche Leiche.
Es handle sich mit höchster Wahrscheinlichkeit um ein Morddelikt, da der vorgefundene Tote enthauptet und der Kopf bisher nicht auffindbar sei, formulierte es der Kollege über Funk.
Während Weber auf einen holprigen Feldweg abbog machte sich Behrens Gedanken über den anonymen Anrufer.
Die Chancen standen gut, dass es sich um den Täter selbst handelte.
Vor ihnen kam der Leichenfundort in Sicht.
Ein Streifenwagen und ein Polizeikombi standen am Rand des Feldweges. Mehrere Beamte gingen die Umgebung ab und wedelten mit den Lichtkegeln ihrer Taschenlampen durch die dunkle Neumondnacht.
Die Scheinwerfer der Fahrzeuge trafen sich bei der gefundenen Leiche.
Weber stellte den Wagen hinter dem Kombi ab.
Beim Aussteigen machte sich Behrens einen Eindruck von dem weiteren Umland.
Etwa acht Kilometer südlich waren die spärlichen Lichter eines schlafenden Dorfes zu sehen.
Ansonsten nur Felder und Waldstücke. Das nächste Waldstück, ein paar hundert Meter entfernt erstreckte sich im Norden. Als Behrens seinen Blick darüber schweifen lies fühlte er sich für einen kurzen Moment beobachtet.
Er verwarf dieses Gefühl schnell wieder. In einer solch unheimlichen Umgebung konnte einem der Verstand schnell einen Streich spielen.
Sie gingen zu dem beleuchteten Mordopfer und Behrens nahm sich vor sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Schließlich war er der alte Fuchs mit der längsten Berufserfahrung.
Der Tote trug gepflegte Kleidung: Hose, Sakko und eine teure Armbanduhr.
Gestohlen wurde ihm also auf den ersten Blick nichts, außer dem Kopf natürlich.
Ein recht nervöser uniformierter Kollege berichtete ihm das die Spurensicherung verständigt worden sei und das die Kollegen Vorort gründlichst nach dem vermissten Körperteil suchen würden.
Brav gemacht, dachte sich Behrens und hoffte, das er es nicht laut aussprach.
Da war wieder dieses Gefühl beobachtet zu werden!
Während er den suchenden Beamten nachsah hatte er für einen kurzen Moment das Gefühl in
dem Waldstück etwas erkannt zu haben. Etwas, was dort nicht hingehörte.
Ach was. Weber zog sich Latexhandschuhe an, um vorsichtig die Taschen des Toten zu durchsuchen.
Sie brauchten möglichst bald Anhaltspunkte zu seiner Identität.
Zwei jüngere Beamte kamen von der vorerst erfolglosen Suche zurück und kicherten leise auf
ihrem Weg.
Anscheinend lösten sie ihre Anspannung indem sie über die Situation witzelten.
Behrens verstand nur Wortbrocken und unter anderem “Sleepy Hollow”.
Er hatte dafür Verständnis, wenn es ihnen half das Gesehene besser zu verarbeiten, bitte sehr.
Jetzt war er sich sicher im Unterholz ein Gesicht gesehen zu haben.
Eine blasse Fratze, die zu ihnen hinüber starrte.
Behrens wollte nicht zu auffällig hinschauen, den Beobachter nicht verschrecken.
Wenn er alarmiert worden wäre hätte er sich längst in den stockdunklen Wald verzogen, bis sie die mehreren hundert Meter bis dorthin zurückgelegt hätten.
Weber kauerte neben dem Toten und zog eine Brieftasche aus dessen Hose.
“Günther schau mal, wir haben ein Foto von dem Toten.”
Er streckte ihm einen Personalausweis entgegen.
Behrens kam näher und drehte das Dokument so, dass er es im Scheinwerferlicht besser sehen konnte.
Der Tote hieß Stefan Märtehns, war 42 Jahre alt und wohnte in München.
Nach dem Bild hatte er Schwarzes langes Haar kantige Gesichtszüge und einen strengen Blick.
Der Hauptkommissar ging in Gedanken sein visuelles Personengedächtnis durch.
Spontan würde er sagen dieses Gesicht hatte er erst vor kurzem gesehen, ohne wichtige Ereignisse damit zu verbinden.
Aber im Moment war ihm etwas anderes wichtiger.
“Schau jetzt nicht hin, aber ich bin mir sicher, das da jemand am Waltrand steht und uns beobachtet”.
Weber sah gekonnt unauffällig in die angedeutete Richtung und lies einen Moment verstreichen.
“Sehe nichts. Ganz schön dunkel. Ganz schön weit weg. Bist du sicher?”
“Ziemlich.”
Sein Blick sagte: Absolut!
“Wir haben doch noch einen Streifenwagen in der Nähe.
Ich funke die an sie sollen ihren Wagen ein Stück weiter weg abstellen und sich von hinten anschleichen. Okay?”
“Okay. Wenn wir Glück haben ist das der Täter, der uns beobachtet und sich daran aufgeilt.”
Webers Gesicht zeigte das ihm klarwunde wie nahe sie eventuell an der Festnahme eines Verdächtigen sein konnten.
Er ging zurück zum Wagen, um den Streifenwagen zu informieren.
Behrens wandte sich, weg von der Leiche in Richtung zu dem Waldstück und streckte ein wenig seine Glieder. Dabei suchte er den Teil des Unterholzes ab, in dem er den Beobachter gesehen hatte.
Zu seiner Verwunderung fand er das Gesicht diesmal recht schnell wieder.
Der Kerl stand noch an der gleichen stelle, hatte sich nicht vom Fleck gerührt.
Er musste dunkle Kleidung tragen, nur das Gesicht war zu sehen.
Vermutlich dachte er das er durch seine dunkle Kleidung gar nicht zu erkennen war.
Böser Fehler!
Hätte er nur sein Gesicht geschwärzt, wäre er nur einen Schritt zurück in die Dunkelheit gestanden.
Behrens wandte sich wieder ab als plötzlich sein Diensthandy in der Brusttasche vibrierte.
Kein bekannter Anrufer.
Behrens ahnte etwas, würde er gleich mit dem Mann aus dem Waldstück sprechen?
“Ja, Behrens.”
“Guten Morgen Herr Kommissar, ich habe erfahren, das sie die Ermittlungen in meinem Fall leiten.”
Hauptkommissar, aber egal.
Vor der Abfahrt zum Tatort hatte sich Behrens den anonymen Anruf,
der sie hierher führte, vorspielen lassen. Es war die selbe Stimme.
“Wir haben alles so vorgefunden, wie sie es beschrieben hatten.
Aber aus welchem Grund haben sie den Kopf abgetrennt?
Und wo befindet er sich jetzt?”
Den Anruf zurück zu verfolgen war sinnlos. Behrens war sich sicher, dass er mit dem Beobachter sprach. Jemand, der so in seine Tat verliebt war, dass er den Ermittler am Tatort anrufen musste, würde sich das Ganze auch noch aus vermeintlich sicherer Distanz ansehen.
“Den Kopf werde ich ihnen nicht vorenthalten, Herr Kommissar, dazu später.
Aber fragen sie sich denn gar nicht, warum ich ihm den hässlichen Pickel auf seinem Hals entfernt habe?”
Ein Mörder, der sein Opfer verhöhnte brachte Behrens schon in vielen Verhören zur Raserei.
Aber jetzt hieß es ruhig bleiben und ihn reden lassen, während sich die
Streifenpolizisten anschlichen.
“Was hat Herr Märtens getan, das sie ihn dafür geköpft haben?”
“Er war zu neugierig, steckte seine Nase in Dinge, die ihn nichts angingen.”
Weber kam vom Wagen zurück.
Behrens deutete auf das Handy an seinem Ohr und auf den Wald.
Weber nickte kurz, zog seinen Notizblock heraus und schrieb eilig.
Dann zeigte er es ihm: Hinhalten! Zugriff in wenigen Sekunden.
“Märtens hat sie also bei einem Verbrechen beobachtet und musste dafür sterben?”
“Bei einem Verbrechen... ja.
Und der Kerl hat doch glatt versucht mich zu erpressen.
Er wollte Schweigegeld und ich verabredete mich mit ihm hier um ihm das Geld zu geben.”
Weber hatte ebenfalls ein Handy am Ohr, er war mit der Streife verbunden und würde informiert, wenn sie zuschlagen.
Nun hieß es noch eine kurze Zeit den verdammten Kerl abzulenken.
“Mit was haben sie Märtens eigentlich geköpft,” fragte Behrens und hoffte, das ihn seine Nervosität nicht verriet.
Einen Moment war es ruhig in der Leitung.
Aber schließlich wollte der Mörder seine Geschichte doch weitererzählen.
“Ich hatte zwei von meinen Männern im Wagen versteckt, die ihn überwältigten.
Dann zeigte ich ihm das frisch geschliffene japanische Schwert und lies seinen Kopf nach unten drücken.
Ein Hieb... Jede Menge Blut...
Aber das besondere, Herr Kommissar, war sein Gesichtsausdruck, als ich mir den abgetrennten Kopf genauer ansah.”
Weber hob den Arm, gleich würde das Schwein geschnappt werden.
“Ich schwöre ihnen, er schielte hinunter auf seinen Körper und begriff was er da sah. Der neugierige Spanner beobachtete bis in seinen Tod etwas, das ihn Interessierte. Und diese Freude wollte ich ihm nicht nehmen.”
“Zugriff,” schrie Weber.
Die Gestalt am Waldrand wurde nach hinten gezogen. Die Dunkelheit verschlang sie völlig.
Alles rannte auf den Wald zu.
Behrens hatte das Handy weggesteckt, er würde mit dem Mistkerl gleich persönlich reden.
Als sie den Wald fast erreichten kam einer der Polizisten aus dem Dickicht.
Er sah nicht sehr begeistert aus.
“Habt ihr ihn,“ rief Behrens.
“Nicht ganz.”
Er deutete auf den zweiten Polizisten, der nun auch ans Licht kam.
Er trug den vermissten Kopf des Opfers vor sich her.
“Der war in eine Astgabel geklemmt.”
Für einen Moment herrschte betroffene Stille.
Diese wurde plötzlich von leisem hallenden Gelächter gestört.
Das Handy war noch an, der Mörder noch verbunden.
Und er schien die Situation mitverfolgt zu haben.
Behrens zerrte das Handy aus der Manteltasche.
“Nun, Herr Kommissar, jetzt können sie sich ein eigenes Bild machen.
Ich habe ihn so auf die Fundstelle ausgerichtet, das ihm nichts entgeht.
Schauen sie ihm in die Augen. Erkennt er sie noch? Beobachtet er sie noch?”
Behrens konnte nicht wiederstehen. Er sah dem Opfer in die Augen.
Dieser Starre Blick, der aus der Ferne so eindringlich und beobachtend wirkte,
schien aus der Nähe kalt und leblos.
Diese Augen nahmen mit Sicherheit nichts mehr wahr,
aber seit wann genau kann wohl niemand sagen.
ENDE
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.04.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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