Rudolf Geiser
Herzlichen Glückwunsch! (6)
Heute: Er gratuliert seinem ehemaligen Sportlehrer zum 70. Geburtstag
Sehr verehrter Herr Jahn, verehrte Anwesende, liebe ehemalige Mitschüler!
Was hängt an einer Stange, sieht aus wie ein nasser Sack und stöhnt? Ein 13-jähriger Reckturner während des Sportunterrichts. Ich will nicht ausschließen - und es wäre angesichts der grinsenden Zeugen hier auch schwierig - dass es sich bei dem jungen Sportsfreund von damals um mich gehandelt haben könnte, zumal mir bis heute der Felgaufschwung ein ewiges Mysterium geblieben ist. Genauso wie der Barren übrigens, bei dessen Anblick ich mich stets gefragt habe, welch moribundem Hirn dieses Möbel entwichen sein mag; Barren, ein Wort, das vom Klang her bereits eine Zumutung ist.
Auch Böcke und Pferde sind mir nicht wirklich vertraut gewesen. Im Wald und auf der Weide gereichen sie zur Freude, in der Turnhalle hingegen niemals. Ich werde jetzt noch blass, wenn ich ans Grätschen denke, an all die zu flachen und zu kurzen Sprünge und den verstauchten Steiß, vom Gemächte ganz zu schweigen. Auf der Erde war mir wohler. Meine legendäre Bodenkür - Rolle vorwärts, Strecksprung, halbe Drehung, Rolle rückwärts in den Stand - löste noch in der Oberstufe Begeisterungsstürme aus und brachte mir neben der obligaten 4+ den Beinamen "Godfather of Purzelbaum" ein.
Am wohlsten fühlte ich mich jedoch in einer Disziplin, die meines Erachtens zu Unrecht auf einer Stufe mit dem Einparken des Mattenwagens, dem Justieren der Barrenholme und der rationellen Magnesia-Ausgabe gestellt wurde, ich meine die Hilfestellung. Selbstlos stellte ich mich immer und immer wieder dieser verantwortungsvollen Aufgabe, bewahrte die Ungeschickten und Wagemutigen unter den Mitschülern vor mancher Verletzung und gab wertvolle Tipps zur Perfektionierung einzelner Übungselemente.
Bei den Winter-Bundesjugendspielen, wo die Delinquenten namentlich ans Gerät gerufen wurden, waren diese Tugenden allerdings nicht gefragt. Spätestens da begann sich das Karitative ins Karikative zu wandeln, kurzum: Ich machte wahrscheinlich keine gute Figur, mit 13, am Barren, in der Turnhalle.
Hallenknäblein
Sah der Jahn ein Knäblein stehn,
Knäblein in der Hallen,
Sollte an den Barren gehn,
Eine Pirouette drehn
Und nicht runterfallen.
Knäblein, Knäblein, Knäblein, los!
Knäblein in der Hallen.
Lehrer Jahn sprach: Strecke dich,
Knäblein in der Hallen.
Knäblein dachte: Lecke mich,
Ist das alles fürchterlich,
Werd vom Barren knallen.
Knäblein, Knäblein, lass nicht los!
Knäblein in der Hallen.
Und das arme Knäblein brach,
s'Knäblein in der Hallen,
Volle Kanne, Weh und Ach,
Durch die Holme mit viel Krach.
Jahn hat's nicht gefallen.
Knäblein, Knäblein, was ist los?
Knäblein in der Hallen.
Zum Glück bestand der Sport nicht nur aus Turnen, so dass mir Herr Jahn und sein Unterricht durchaus in guter Erinnerung geblieben sind, und selbst das Turnen, diese bizarre Form der Körperertüchtigung, hat keine bleibenden Schäden bei mir hinterlassen. Herzlichen Glückwunsch, Herr Jahn. Und jetzt bringt mich zurück in die Anstalt.
Vorheriger TitelNächster Titel
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Rudolf Geiser).
Der Beitrag wurde von Rudolf Geiser auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.05.2006.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).