Jörg Schönenberger

Kein Ticket für Schöllmann

 
In diesem Jahr fanden die Olympischen Winterspiele und die Fußballweltmeisterschaften statt.
Welch ein Spektakel für die Sportsüchtigen auf der ganzen Welt. Auch Schöllmann zählt dazu, hat er doch in seiner Jugend aktiv für den SV Oberklatschbach Radball gespielt.
Die Misere begann, als sich Schöllmann auf den Weg machte, ein Ticket für irgendeine Sportveranstaltung käuflich zu erwerben.
Etwas blauäugig setzte er sich in den Nachtzug nach Turin, in festem Glauben, die Skistars einmal live erleben zu dürfen, wie sie sich todesmutig die fast senkrechten Steilwände hinunterstürzen.
In der Olympiastadt angekommen teilte ihm der Ticketverkäufer jedoch auf sehr charmante Art mit: (So wie es nur von Italienern beherrscht wird. Daumen und Zeigefinger fest aneinander gepresst, dabei die Hand vor- und zurückschwingend.)
"Signore, gibte keine Karte mehr für die Fahre mit die Ski!"
Wie sich herausstellen sollte gab es, bis auf den "Paarlauf der Herren", auch für die anderen Disziplinen keine Karten mehr.
Auch der berühmte italienische Schwarzmarkt hatte während der Zeit der Spiele seine Pforten geschlossen.
Enttäuscht und übermüdet blieb Schöllmann nichts anderes übrig, als den Nachhauseweg anzutreten.
Auch die kurze Freude, wenigstens ein Ticket für die Zugfahrt bekommen zu haben, steigerte seine allgemeine Stimmung nicht übermäßig.
Zu Hause angekommen, blieb Schöllmann nichts anderes übrig, als den Fernseher anzuschalten, um von dort aus die Wettkämpfe mitzuverfolgen.
Aber da sollte er ihn spüren. Den olympischen Geist. Das also ist er, der Geist von Olympia:
Die besten Athleten der Welt kämpfen in halbleeren Sportstadien um Sieg und Niederlage. Um Ruhm und Ehre. Bejubelt von ihren Verwandten und ein paar Funktionären.
Daher also das olympische Motto: "Dabei sein ist alles! Aber ohne Ticket ist alles nichts."
Es gab zwar keine Tickets, dafür aber auch fast keine Zuschauer. Eigentlich eine Zwangsläufigkeit.
Mit dem Wissen, den Kreis olympischer Logik geschlossen zu haben, schaltete Schöllmann den Fernseher wieder ab und fiel in einen, von Alpträumen geplagten Dämmerschlaf :
Schlußfeier der olympischen Winterspiele von Turin. Nachdem der IOC-Präsident seine Schlußrede gehalten hatte, trat der charmante, italienische Ticketverkäufer an das olympische Feuer heran und warf die letzten 300.000 Tickets hinein. Nachdem sie verbrannt waren, erlosch es.
 
Mit schweißnasser Stirn und einem irgendwie unguten Gefühl erwachte Schöllmann am anderen Morgen.
Sicher, Olympia war vorbei, der Schrecken vergessen und verdrängt. Wenn da nur nicht dieses ungute Gefühl wäre.
Wer kennt das nicht, diese Vorahnungen: "Ich sollte heute lieber den Regenschirm mitnehmen." Und tatsächlich, an diesem Tag herrscht strahlender Sonnenschein.
 
Das wirklich wahre, sportliche Großereignis stand vor der Tür. Die Fußballweltmeisterschaften im eigenen Land. Wann hatte es das zuletzt gegeben ? Natürlich, 1974 als Deutschland durch ein packendes 2:1 gegen die Niederlande im Endspiel den Titel errang.
Der Vorverkauf hatte begonnen und für Schöllmann war klar, "hier will ich einmal dabei sein, einmal als Zuschauer die WM-Atmosphäre in einem der riesigen Stadien genießen."
Schöllmann machte sich auf den Weg zu einer der zahlreichen Vorverkaufsstellen, in der sich folgender Dialog entspann:
"Guten Tag, ich hätte gerne eine Eintrittskarte zu einem der Vorrundenspiele."
"Bitte gern, zeigen Sie mir Ihre Bewerbungsunterlagen, Ihre Einladung oder Ihren Gewinngutschein !"
"Ich möchte eigentlich nur eine Karte kaufen!"
"Guter Mann, Sie können hier nicht einfach hereinschneien und nach einer Eintrittskarte verlangen. Die gibt es nicht. Was glauben Sie, wenn das jeder so machen würde ? Also entweder Sie bewerben sich mit den üblichen Unterlagen: handschriftlicher Lebenslauf, Grund des Erwerbs der Eintrittskarte, Schulzeugnisse und Berufsausbildung, oder Sie zeigen mir Ihre Einladung oder den Gewinngutschein."
Zu diesem Zeitpunkt verspürte Schöllmann einen leichten Schwindel:
"Bewerbung, Einladung, Gewinn, wie meinen ....?"
"Na ja, nun schaun Sie. Es gibt insgesamt 3 Mio. Tickets für alle Spiele des Turniers. Die reichen bei weitem nicht aus, jeden Fußballfan damit zu versorgen. Darüberhinaus mußte von vorneherein ein kleiner Teil, so ca. 90% des Ticketkontingents, für staatliche Organe und freie Wirtschaft reserviert werden. Deswegen das Bewerbungsverfahren für die frei zu erwerbenden Karten."
"Aber dann habe ich als Normalsterblicher ja keine Chance ein Ticket zu bekommen."
"Moment, da muß ich Ihnen aber ganz entschieden rechtgeben. Sie haben keine Chance. Es sei denn, Sie sind leitender Beamter z.B. der Umweltbehörde und bekommen vom örtlichen Energieversorger Karten geschenkt. Auch als Zollamtsvorsteher, sieht es nicht schlecht aus, von der Exportabteilung einer Automobilfirma bedacht zu werden.
Umgekehrt haben Sie als Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied eines Großkonzerns durchaus auch die Chance, vom Ministerpräsidenten oder einem ranghohen Politiker eingeladen zu werden."
Zum stärker werdenden Schwindel bekam Schöllmann jetzt auch eine Art Tunnelblick:
"Also kann ich nur noch auf ein Ticket hoffen, wenn ich eines gewinne ?"
"Vollkommen richtig. Jede Tageszeitung, jeder Radio- und Fernsehsender, aber auch jede Bau- oder Supermarktkette hat eine bestimmte Zahl an Karten zu vergeben. Dies geschieht hauptsächlich durch Preisausschreiben oder spektakuläre Aktionen. Für eine Karte den Fernseher durchs geschlossene Fenster werfen oder das Auto von einem Kampfpanzer plattmachen zu lassen, zählen dabei zu den beliebtesten Events."
 
Wie schon vor ein paar Wochen trat Schöllmann entkräftet den Nachhauseweg an. Einige Tränen kullerten seine Wangen hinab.
Ein paar Tage später schaute er sich das Endspiel im Fernsehen (wo auch sonst ?) an.
Herrliche Bilder von den Tribünen des Stadions wurden gezeigt. Eine jubelnde Bundesregierung, zusammen mit den Ministerpräsidenten der Länder und ihren großen Familien, umrahmt von den führenden Beamten von Bund, Ländern und Gemeinden. Daneben die Prominenz aus Film, Funk, Fernsehen und der Industrie.
Und alle zusammen übten sie die La-Ola-Welle. Herrliche Bilder und Dokumente für die Ewigkeit .
Schöllmann saß in seinem Sessel und dachte: "Da kann man mal sehen..."

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.05.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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