Ralf Heim

Goodbye

Es ist nun schon über fünf Stunden her, seitdem ein Geräusch an sein Ohr gedrungen ist. Seine Glieder regen sich wieder und langsam kehrt sein Kopf in die Realität zurück. Auch wenn seine Augen die ganze Zeit über weit geöffnet waren, fühlte es sich an als würden sie gerade erst wieder fähig sein, seine Umgebung wahr zu nehmen. Sein Körper erwacht aus seinem latenten, regungslosen Zustand und obwohl er eine Jeans trug, fühlte es sich an als wäre sein Hintern auf dem alten, halb antiken roten Ledersessel festgeklebt. Schleppend legt er die Arme auf die ohnehin schon brüchigen Lehnen und stützt sich ab. Der Sessel ächzte unter dem Gewicht des Mannes. Langsam stand er auf und sah sich um. Zu seiner Verwunderung schien die Sonne immer noch matt durch die verdreckten Fenster seiner Einzimmerwohnung. Trotzdem ließ er die Schalousinen herunter. Es war nicht so dass man von der Strasse aus in den neunten Stock des alten Hauses gucken konnte, nein, es war vielmehr ein Ritual der Sicherheit. Er drehte sich um und noch während der Bewegung vernahm er ein lautes Klirren. Augenscheinlich hatte er eine leere Bierflasche umgeworfen. Diese lag nun in Einzelteilen vor seinen Füßen. Trotzdem schien ihn das nicht weiter zu stören.Nachdem er die Quelle des Geräusches resigniert hatte, ging er zu dem anderen Fenster und liess auch dort die Schalousinen herunter. Der Boden vor dem zweiten Fenster war übersäht mit Müllsäcken, so dass er sich ein wenig strecken musste um den Flaschenzug zu erreichen. Erneut vernahm er ein Geräusch. Dieses Mal war es etwas flüssiges, irgendein Tropfen der zu Boden gefallen ist. Ohne sich weiter um das Geräusch zu kümmern, ging er weiter in gebeugtem Gang in Richtung Bett, wobei er beinahe über einen zusammengerollten Teppich stolperte. In dem jetzigen Zustand wirkte der alte 5€ Teppich noch größer und klobiger als er es ohnehin schon tat. Mit beiden Füßen wieder auf dem klebrigen Boden, stützte er sich am Regal ab um nicht wieder ins Straucheln zu kommen. Noch 2 Schritte und dann ließ er sich mi! t seinem ganzen Gewicht in sein Bett fallen.
Das Bett knarrte laut und es war schwer zu sagen wie viele Latten dem Gewicht Tribut zollen mussten. Zwar war er kein dicker Mann, dennoch brachten ihn seine 1,90 meter und sein breites Kreuz auf gute 100 Kilogramm auf die Waage. Langsam raffte er seinen Kopf auf und griff mit den Händen in Richtung Nachtschränkchen. Es klebte und war übersäht mit Flecken, die sich bis über den Boden erstreckten. Er ertaste den Griff der obersten Schublade, öffnete sie und nahm ein paar halb zerissene Papiere heraus. Trotz seiner ganzen Leidenschaft ist er nie ein Romantiker gewesen, doch in diesem Moment bewegte ihn ein inneres Verlangen dazu die Briefe zu lesen. Sie waren ordentlich und mit schöner Schrift geschrieben. Umgeben von ihrem Duft, der für eine kurze Zeit den penetranten Gestank seiner Wohnung überdeckte. Sie waren halb zerrissen und von den Rädern war schier gar nichts mehr übrig. Er fing an zu lesen:“….sagen, dass die letzten Monate die schönsten meines Lebens waren. Du erfüllst mich mit Gefühlen die ich vor dir noch nicht einmal erahnen konnte. Du bist der Leuchtturm, der mir die Dinge zeigt die zuvor in tiefen Schatten verhüllt waren. Du bist mein Prometheus, denn du gabst mir das Feuer der Leidenschaft. Du bist der Fels an den ich mich selbst im Sturm klammern kann. Es ist schwer dir zu sagen wie viel du mir bedeutest, denn kein Wort in keiner Sprache vermag es zu beschreiben. Ich werde dich“ An dieser Stelle ist der Brief zerrissen. „nie wieder ziehen lassen“ murmelte der Mann vor sich hin.
Er wäre gar nicht erst auf die Idee gekommen, davon ziehen zu wollen. Sie hatte ihn verstossen. Allein sie war es. Sie war es, die er im Bett seines Bruders fand. Sie war es, die ihn trotz allen Flehens dann auch noch verlassen hatte. Und das, obwohl er alles für sie getan hätte. Er hätte sein Leben für sie gegeben. Doch nun kam es doch anders. „Denk nicht weiter an sie“ sprach eine Stimme aus dem Fernseher. Er guckte auf den Fernseher. Bugs Bunny wurde mal wieder quer durchs Mittelalter gejagt. Er stellte ihn eigentlich meistens aus, wenn sie vorbeikam. Auch wenn sie nur kam um ihre Sachen abzuholen. Er hatte sie extra vorher in Müllsäcke gepackt um ihren Aufenthalt so kurz wie möglich zu machen. Ihre Anwesenheit, ohne dass er sie berühren durfte, zerriss ihn innerlich. Jeden Moment wünschte er sich, seine Arme um sie zu legen, mit der Hand über ihren Rücken zu streichen, während er auf seiner Brust den leichten Druck ihres Busens verspürte. Wie sie vor ihm stand: Es schien fast als hätte sie sich für diesen letzten Schlag noch einmal herausgeputzt. Ihre blonden langen Haare waren offen. Sie waren sonst fast nie offen. Sie empfand es als ’’bequemer“ mit einem Zopf herum zu laufen. Wie oft hatte er sich von ihr gewünscht dass sie ihre Haare frei lassen sollte. Und das Oberteil. Sie wusste ganz genau dass es ihm so sehr gefällt. Es ließ viel Spielraum für die Fantasie ohne zu viel zu zeigen. Dezent betonte es ihren üppigen Busen und lieferte einen zarten Übergang von Stoff zu Haut. Er konnte ihre Schultern sehen. Es hatte ihn schon immer fasziniert wie die Furche zwischen Schlüsselbein und Schulterblatt ihren perfekten Körper weiterhin akzentuierte. Sie trug nicht mal eine Kontaktlinse. Eigentlich müsste sie eine tragen. Sie ist bestimmt mit dem Taxi zu ihm gekommen. Nein, sie musste ihm noch einmal ihre tiefen blauen Augen präsentieren. Augen denen kaum ein Mann widerstehen konnte. Jede Linie in ihnen verlief optisch perfekt und führte den Blick direkt in die Mitte dieser tiefen Augen. Er konnte sie stun! denlang ansehen und er hatte das Gefühl immer tiefer in ihr zu versinken und immer näher an das wahre Innere ihrer Seele zu gelangen. Er bemerkte nur noch wie seine Hand sich zu ihrer Wange bewegte. doch sie wies ihn zurück.
 
Behutsam legte er die Briefe wieder zurück in die Schublade und schloss sie. Er stand wieder auf und ging in Richtung Küche. Seine Wohnung ähnelte einem Parcours. Der Boden war übersäht mit kleinen Pfützen, leeren Flaschen und Müllbeuteln. Seitdem sie ihn vor drei Tagen verließ hatte er keine Kraft gefunden aufzuräumen. Die Küche wirkte ebenfalls wie ein Schlachtfeld, was eigentlich verwunderlich war, da er seit der Trennung kaum noch einen Bissen gegessen hatte. Und auch dieses Mal nahm er sich nur ein Stück Brot von dem Tisch auf dem sie sich einst auch geliebt hatten. Es hatte bereits erste weiße Flecken, aber das störte ihn nicht. Er ging wieder ins Zimmer. Noch mitten in der Bewegung merkte er die Rose unter seinen Füßen. Er vollendete den Schritt trotzdem. Die Rose brauchte er nun nicht mehr. Sie hatte ihn einiges an Geld und den gesamten Rest seines Stolzes gekostet. Ihre Antwort war ein kühles: „Nein. Ich liebe ihn. Akzeptier es“. Noch nie zuvor hatte er eine solche Gleichgültigkeit in ihrer Stimme gehört. Er war es gewohnt dass er nicht die Aufmerksamkeit bekam, die alle seinem Bruder nur so hinterher warfen, aber dass der Mann den auch er so bewunderte, ihm das antun konnte war für ihn fast genauso schlimm wie der Verlust seiner großen Liebe. Aber nicht er war der Dieb. Er wurde nur befallen. Befallen von einem Parasit, der sich einen Mann krallt, ihn aussaugt und wenn ein besserer in Reichweite ist den toten Körper zurück lässt. Genau das war es. Sie war eine Krankheit, sie hatte ihn befallen, doch er lebt noch. Es war Zeit nach vorne zu blicken. Langsam, mit zunehmender Geschwindigkeit begann er aufzuräumen. Er brachte die Müllsäcke nach unten und wischte die Flächen sauber. Er konnte von Glück reden dass noch nicht viel geronnen ist sonst wäre er den Geruch wahrscheinlich nie losgeworden. Nachdem die Wohnung halbwegs ordentlich war beschloss er sich von dem Teppich zu trennen. Er war schwer und da sein Haus keinen Fahrstuhl hatte erwies es sich als wahre Kraftprobe den Teppich bis nach unten! zu trag en. Doch es war geschafft und mit letzter Kraft warf er das alte Teil in den Restmüllcontainer.
Die Polizei würde am nächsten Morgen nicht schlecht staunen, wenn sie den alten Teppich finden. Wenn ihr Blut seine weissen Fasern überdeckt und ihr Arm aus der Rolle hinaus guckte. Er musste lächeln. Er war kein guter Mörder. Aber was solls. Er war auch kein guter Liebhaber. Diese Talente sind für andere bestimmt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.06.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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