Birgit Seitz

Der Duft der Vergangenheit

Neulich habe ich ihn wiedergesehen.

So ganz zufällig, als ich grade beim Kaufhof mein neues Parfüm bezahlte. Bezahlt per Eurocard, natürlich mit Paybackpunkten und Prozenten.

 
Ansonsten wäre das Zeugs unbezahlbar.

Was heißt unbezahlbar?

Ein Parfum unbezahlbar? Nein, natürlich wäre es nicht unbezahlbar gewesen, immerhin verdiene ich Geld, weil ich arbeite. Aber ich überlege natürlich trotzdem, was nötig ist und was nicht. Manchmal werden dann, wenn ich die Notwendigkeit einer Anschaffung bedenke, Dinge bezahlbar oder eben nicht.

Die Notwendigkeit dieser Anschaffung war ganz einfach. Mein Liebling liebt diesen Duft an mir. Das allein schon rechtfertigt die Anschaffung.

Außerdem rechtfertigt diese Anschaffung die Tatsache, dass ich eine Frau bin. Ich hülle mich gerne in Düfte, schminke mich gerne und ziehe mich sogar manchmal gerne schick an.

Nicht immer, weil ich Zweckmäßigkeit mindestens ebenso gerne habe, wie Luxus. Luxus ist schlicht teurer als Zweckmäßigkeit. Und deshalb überlege ich schon, was ich zweckmäßig oder notwendig oder einfach zu teuer finde.

 
Die Tatsache, dass ich eine Frau bin, rechtfertigt also die Anschaffung eines sündhaft teuren Parfums. Diesen Duft liebe ich. Und ich liebe mich. Und ich liebe es, wenn mein Mann mich liebt. Und natürlich liebe ich Komplimente. Und ich liebe Blicke. Ich liebe es, wenn mein Mann tief einatmet, mich im Arm, und kurz vor einem Kuss mir leise, fast unhörbar zuhaucht – ich liebe dich. Und verdammt – du duftest so wunderbar, mein Liebling.
 
Ach – fragen sie doch nicht so blöd! Was maßen sie sich an, mir zu unterstellen, ich könnte Genuss nicht von Liebe unterscheiden. Natürlich liebe ich diese Momente nicht. Ich genieße sie aber. Ich liebe meinen Mann und ich liebe mein Kind. Und natürlich kann ich sehr wohl zwischen Liebe und Wohlgefühl unterscheiden. Aber haben Sie nicht selbst schon manchmal behauptet, sie würden ein Bild lieben, eine Momentaufnahme, ein Gefühl, eine Situation, ....eben „etwas“?
 
Na also. Dann stehen Sie dazu und tun Sie bitte nicht so, als ob es verwerflich wäre, ein Gefühl mit einer solchen Intensität gern zu haben, dass es Liebe gleich käme.
 
Unterstellen Sie mir meinetwegen Dekadenz. Damit kann ich leben. Aber unterstellen Sie mir nicht, ich könnte nicht unterscheiden.
 
Diesen Duft wollte ich.

Für mich, für meinen Mann, für mein gutes Gefühl. Und für sein gutes Gefühl.

Es ist gut, mich im Arm zu halten und schöne Worte zu sprechen.

Leise und schmeichelnd.

Auch daran ist nicht verwerfliches. Finde ich. Es gehört dazu, sich selbst in eine angenehme Position zu stellen, um angenehm auf die Menschen zu wirken, die man selbst als sehr angenehm empfindet. Die man liebt.

 
Aber ich schweife ab.
 
Ich wollte Ihnen doch erzählen, dass ich ihn in diesem Augenblick wiedersah.
 
Gerade in dem Moment, in dem ich mich umdrehte, sah ich ihn auf der Rolltreppe ins Untergeschoss fahren.

Ich hatte immer geglaubt, eine Begegnung mit ihm würde mich aus meiner, damals mühsam wiedererlangten Fassung bringen. Was hatte ich gelitten. Wie sehr hatte er mir wehgetan.

Glaubte ich damals zumindest. Ich glaubte wirklich, er hätte den aktiven Part übernommen, mich aus seinem Leben zu kicken, mit seiner Art, alles in Beziehungen sehr einfach zu betrachten und sich so wenig wie möglich festzulegen. Damals meinte ich, nicht ohne ihn sein zu können. Wollte ihm beweisen, dass es nichts besseres für ihn geben konnte, als mich selbst. Kindlicher Glaube – wie wenig erwachsen ich doch damals war.

 
Die Einsicht, dass sich nichts ändern würde und die Einsicht, dass schon seine anderen Partnerschaften so geendet hatten, zwangen mich zum Handeln. Also handelte ich. Änderte mich, wurde wieder ich. Parfüm kaufend, Abende planend, mich amüsierend – ohne ihn. Mein Leid war selbstgemacht, schmerzliche Einsicht, aber heilsam.
 
Wie ein zart aufgesprühter Hauch eines liebgewonnenen Duftes legte sich neue Zufriedenheit über Augenblicke, die ich früher selbst meinem persönlich empfundenen Missmut reserviert zu haben schien.

Es gibt sie tatsächlich, diese Partnerschaften, in denen jemand auserkoren ist, zu leiden. Und der andere vorgibt zu lieben, sich aber nur selbst liebt. Ohne böse Absichten, sicherlich. Und beide Parts sind aktiv – der eine lebt, der andere leidet.

Ich hatte mich daran gewöhnt, aktiv zu leiden, verlernt den Wohlgeruch vom Dunst zu unterscheiden. Verlernt, klar zu sehen, dass ich - und nur ich – für mein eigenes gutes Gefühl Sorge tragen musste.

 
Nun rollte er also abwärts. Und es traf mich nicht wie ein Hammerschlag.

Ich spürte kein innerliches Ziehen in der Herzgegend, fühlte mich nicht schlecht, mein Magen rebellierte nicht und ich hatte keinen Kloß im Hals.

 
Bemerkenswert, dachte ich.

Wie ein Parfüm, das nicht die vermutete Intensität hat, die man sich selbst eingeredet hatte.

Fortgewedelt – mit einer einzigen Handbewegung vor der Nase, wie um ein lästiges Insekt zu vertreiben.

 
In meiner Vorstellung sah ich mich selbst, wie ich einen angestaubten Parfumflakon aus dem Badezimmerregal nahm um ihn in den Mülleimer zu befördern. Halbvoll, die Flüssigkeit in ihm nicht einmal mehr darauf zu prüfen, ob sie noch duftete. Wieso auch?

Passte dieser Duft doch sowieso nicht zu mir. Dinge, die nicht dem Wohlgefühl zuträglich sind, verdienen es nicht, wie ein wertvolles Parfüm mit Behutsamkeit behandelt zu werden. Die Notwendigkeit des Besitzes dieser Flasche war überflüssig geworden. Sie war ja schon in Vergessenheit geraten. Nichts rechtfertigte mehr, Platz dafür aufzuheben. Nichts rechtfertigte mehr, diesem Duft noch Belang zu verschaffen.

 
Die eigene Überraschung über diese plötzliche Einsicht ließ mich schmunzeln. Längst war er auf der Rolltreppe meinem Blick entschwunden. Die kleine Kaufhaus-Papiertüte baumelte in meiner Hand.

Einer Eingebung folgend nahm ich die kleine hübsche Schachtel, die ich soeben gekauft hatte aus der Tüte, entfernte das Cellophanpapier und öffnete die Verpackung.

Die Kassiererin beobachtete mich, hatte sie meine Blicke gesehen und meine Gedanken erraten?

Lächelnd fragte sie, ob sie die Verpackung gleich hier im Geschäft behalten sollte?

Ja, sagte ich, das wäre sehr nett. Und lächelte zurück.

Ich lege es gleich an. Wissen Sie, ich liebe diesen Duft. Er ist kostbar. Und er passt so gut zu mir.

 
 
 
 

 

© Birgit Seitz 30.05.04

"Nur" eine Erzählung.Birgit Seitz, Anmerkung zur Geschichte

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Birgit Seitz).
Der Beitrag wurde von Birgit Seitz auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.06.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Birgit Seitz als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Trug und Wahrhaftigkeit: Eine Liebesgeschichte von Christiane Mielck-Retzdorff



Zum wiederholten Mal muss sich die Gymnasiastin Lisa-Marie in einer neuen Schule zurechtfinden. Dabei fällt sie allein durch ihre bescheidene Kleidung und Zurückhaltung auf. Schon bei der ersten Begegnung fühlt sie sich zu ihrem jungen, attraktiven Lehrer, Hendrik von Auental, der einem alten Adelsgeschlecht entstammt, hingezogen. Aber das geht nicht ihr allein so.
Die junge Frau muss gegen Ablehnung und Misstrauen kämpfen. Doch auch der Lehrer sieht sich plötzlich einer bösartigen Anschuldigung ausgesetzt. Trotzdem kommt es zwischen beiden zu einer zarten Annäherung. Dann treibt ein Schicksalsschlag den Mann zurück auf das elterliche Gut, wo ihn nicht nur neue Aufgaben erwarten sondern auch Familientraditionen, die ihn in Ketten legen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Sonstige" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Birgit Seitz

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Das Buch von Birgit Seitz (Lebensgeschichten & Schicksale)
autobiographisch...mein Freund Peter von Rüdiger Nazar (Sonstige)
Die Zeit von Norbert Wittke (Gedanken)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen