Annie Krug

Johannisfeuer (Kanzfeuerla)


Der Höhepunkt eines jeden Sommers war bei uns seit jeher das "Kanzfeuerla". Das wurde am  24 Juni, also an "Johanni" angezündet.
Plötzlich horchten wir alle voll gespannter Aufmerksamkeit auf den Wetterbericht, was ansonsten überhaupt nicht unsere Art war. Aber wenn´s ums Johannisfeuer ging, konnte man schon auch durchaus mal um schöne Witterung beten.
Eine verregnete Mittsommernacht - das wäre ja wie Ostern ohne Eier, Kerwa ohne Zuckerstand, oder Weihnachten ohne Christbaum.
Schon Tage vorher stöberte jeder in Schupfm und Storl (Schuppen und Scheune) nach Brennbarem. Unsere Mütter machten derweil in den Rumpelkammern Razzia und schoben schiefgelagerte Kastenmatratzen und durchgesessene Sofas zum Abtransport hinaus auf den Gang.
Döörnreisi     (Dorngestrüpp) und angemodertes Bauholz wurde ebenso freudig zusammengetragen, wie glattgefahrene Reifen und leere Spritzmittelbehälter. Da war´s halt entweder noch nicht verboten, solche Materialien zu verbrennen, oder aber es scherte sich keiner darum. Im Gegenteil, jeder Altreifen wurde mit Jubel begrüßt, - was würde der doch prächtig brennen.
(Und die schwarzgekohlten Drähte, die hinterher noch davon übrig blieben, gaben einwandfreie Stolperdrähte ab, die man in´s "Gärstla" (ein schmaler Pfad zwischen den Gärten) spannen konnte, wie ich wenige Tage später feststellen sollte...
Wer auf diesen genialen Einfall gekommen war, habe ich nie herausbekommen. Ich hatte ja den großen Bruder meiner Freundin Ritschi ziemlich stark unter Verdacht; der war nämlich schon so ein gewisser Spezialist, aber es ist nie rausgekommen)
 
Wenn sich die Gelegenheit ergab, zerrten wir schnell und heimlich einen ansehnlichen Prügel aus einem der zahlreichen Holzstöße,  die rund um die Scheunen aufgeschichtet waren, aber dabei durfte man sich nicht erwischen lassen. Sonst bekäme man von seinen Namenskollegen gleich welche umsonst dazu.
 Irgendwie plagte uns eben immer die Sorge, das Brennmaterial würde am Ende nicht ausreichen zu einem anständigen Feuerchen und die Nachbarortschaft  könnte uns dabei womöglich übertrumpfen.
Ein mickriges Sonnwendfeuer - was für eine Schmach - das ganze Jahr über müßte man sich da in der Schule den Spott der anderen anhören.
 
Als es dann am späten Nachmittag ans Zusammenfahren und Aufladen des kostbaren Gutes ging, gab es für uns kein Halten mehr. Wer nicht auf dem Wagen Platz fand, rannte schwitzend und aufgeregt herumschreiend daneben her und überschlug sich fast vor Eifer. Ritschi und ich durften in diesem Jahr erstmals mitfahren und platzten schier vor Wichtigkeit. Der "Chef"  (Ritschis Vater) hatte uns erlaubt, einen toten Baum aus dem Gehölz zu holen. Ächzend und schwitzend wuchteten wir mit vereinten Kräften den schweren Stamm auf die Ladefläche. Wen juckte da schon ein aufgeschrammtes Schienbein oder ein zerrissenes Hemd. Hätte diesen Einsatz bloß sonst mal einer von uns verlangt...
Übermütig johlend feuerten wir Ritschis Bruder, der den Traktor steuerte, an, noch mehr Gas zu geben. Kreischend vor Lachen hockten wir auf dem Baumstamm und hielten uns an den Ästen fest, während das Gefährt in rasender Geschwindigkeit über Stock und Stein holperte. Daß wir am nächsten Tag den Allerwertesten voller grüner und blauer Flecke haben würden, interessierte uns bei diesem triumphalen Einzug in´s Dorf nur herzlich wenig.
Hier wurden die krakeelende Fuhre mit anerkennenden Zurufen begrüßt, dann wieselte alles wieder in jäh erwachter Geschäftigkeit seinen vernachlässigten Pflichten nach, um noch rechtzeitig zum Anzünden des "Kanzfeuerlas" fertig zu  sein.
Inzwischen bobberte (tuckerte)  die Jugend samt Wagenladung  die schmale Fuhrt entlang zum "Ulls-Gnuug" - einer erhöhten Stelle auserhalb des Dorfes, von wo aus unser Feuerchen auch schön weit im Umkreis sehen wäre. Zu unserer Befriedigung kam denn doch noch ein ganz respektabler Brennholzstapel zusammen, wenn man es fachgerecht aufeinanderschlichtete - wir waren tüchtig zufrieden!
Nun kamen auch die restlichen Dorfbewohner herbeigeströmt - einer Wallfahrt gleich kamen sie hintereinander den engen Fuhrweg zwischen Äckern und Wiesen entlangmarschiert. Die Mannsbilder hemdsärmlig, noch erhitzt von der Stallarbeit, danach die Frauen in einem schnatternden, vergnügt lachenden Knäuel. Und als Nachhut die Großmütter mit den jüngsten Enkelchen an der einen Hand, unter den anderen Arm fürsorglich mitgebrachte Jacken und Decken geklemmt.
Nun mußte es nur noch dunkel werden...Und die Sonne wollte und wollte nicht untergehen. Wie um uns zu martern, ließ sie sich Zeit, versank rotglühend zwischen durchscheinenden Wolken und schien hier drin hängenzubleiben.
"Da  wirds morgen wieder schön!", erfreuten wir uns an dem glutvollen Farbenspiel,  aber trotzdem sollte es so langsam einmal finster werden.

Aber endlich - endlich war´s dann schließlich doch soweit. Nach dem althergebrachten Brauch durfte das Feuer nur von jemandem angezündet werden, der Hans, sprich Johannes hieß.
Kurz, bevor wir entgültig verzappelten, loderten eilig die hellen Flammen stolz  in die Höhe, es knackte und knisterte und als die Reifen Feuer fingen, prasselte es, daß es nur so eine Lust war.   
Der Rauch, oder besser schon, - Qualm wälzte sich in dichten funkenglühenden, stetig drehenden Schwaden herrlich stinkend durch die lauschige Nachtluft. 
Sprachlos andächtig stand ich Arm in Arm mit Ritschi und ließ den gewaltigen Anblick auf mich wirken. Ein seltener Moment der Stille zwischen uns. (Nicht einmal die historischste Kulturstätte des alten Roms sollte mich in meinem späteren Leben derart beeindrucken, wie dieses, mit allen Sinnen erlebte Sonnwendfeuer.)
 Die jüngeren Kinder stoben mit frenetischem Geschrei wie entfesselt um die Flammen herum; allen mütterlichen Mahnungen zum Trotz.
Irgendwer drückte uns auf einmal Limonadenflaschen in die Hand, auf die wir uns begierig stürzten - in der ganzen Aufregung hatte keine von uns den Nachmittag und Abend über einen Schluck zu sich genommen - jetzt erst wurde uns bewußt, wie durstig wir eigentlich waren. Ritschi und ich wanderten rund um den Hügel, um nach den Feuerchen der umliegenden Ortschaften Ausschau zu halten. Man konnte herrlich weit sehen von hier aus und wir zählten begeistert all die flammenden Lichter in der Dunkelheit.
Später stocherten die Halbstarken mit langen Stöcken die brennenden Reifen aus dem flackernden Glost und ließen sie zu unserem Entzücken den Abhang hinunterrollen.
Hüpfend und feuersprühend zogen sie ihre Bahnen durch das Nachtdunkel, bis sie weit unten im flachen Feld umkippten und als leuchtende Kreise langsam verglühten.
 
Neben uns hockte ein Trüppchen Studenten aus der Stadt  auf dem thymianduftenden Trockenrasen. Sie hatten unweit des Feuerplatzes ihre Zelte auf einer Waldlichtung aufgeschlagen, sich mit Eiern, Milch und sonstiger Verpflegung aus der Ortschaft versorgt und ließen es sich ausgesprochen wohl sein.
Die wilden Camper genossen genau wie wir das abendliche
Schauspiel, sie hatten dem Stadtleben mit Freude für ein paar Wochen abgeschworen und ließen in ausgelassener Laune die Weinflasche kreisen. Ungeniert knutschten die jungen Pärchen miteinander. Hier bei uns war ja von der legendären 69-er Generation nicht viel zu merken, daher stachelte uns dieser ungewohnte Anblick zu wahren Kicherkrämpfen an.
Und ein bisschen beneideten wir sie auch ob ihrer Selbstsicherheit und Unabhängigkeit – aber das hätten wir natürlich nie zugegeben.
 
 Dann war das Feuer unwiderruflich heruntergebrannt und wurde von den Großen abgelöscht, damit kein nächtlicher Windhauch einen Funken aus der Asche hinüber in den Wald tragen konnte.
 
Es wurde höchste Zeit für´s Bett.
So aufgedreht und übermütig quiekend wir den Heimweg durch die warme, sternenklare Nacht auch angetreten hatten - zuhause taumelte jede nur noch total erschöpft und schmutzig zerzaust in die Federn.
Oh je - Jetzt bloß nicht dran denken, daß am nächsten Tag Schule war...!  

Gerade heute war ich wieder einmal beim Johannisfeuerchen...
und habe festgestellt, daß die Kinder noch immer den gleichen Spaß daran haben, wie wir damals.

Schön, daß manche Dinge sich nie ändern!
Annie Krug, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.06.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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