Pierre-André Hentzien

Hauptsache man weiß, was gemeint ist

Hauptsache, man weiß was gemeint ist

Eine, nicht ganz ernst gemeinte, Spekulation über die weitere Entwicklung der deutschen Wortsprache -
eine Abhandlung für humorvolle Liebhaber der deutschen Sprache

Vorwort

Es liegt mir sehr am Herzen Ihnen mitzuteilen, daß ich ein großer Verfechter des deutschen Sprachgutes bin, einer, dem sich die Nackenhaare aufstellen, wenn er durch die offizielle Rechtschreibreform dazu genötigt wird Delphin ohne "ph" schreiben zu müssen, und diese beiden beseelten Buchstaben durch ein ganz profanes "f" zu ersetzen hat.
Wo bleibt da die Romantik, wo die Verwurzelung zu dem, was wir da dereinst Tradition und Werteerhalt nannten?
Nein, ich kann da gar keinen Sinn sehen, in dem, was von hochstudierten Herren (wird es sie bald nicht mehr geben? Werden es "Menner" sein?) und Damen (die jetzt wohl auch nur noch Frauen heißen, weil man sonst ja der Idee verfallen könnte, das Wort Dame sei in etwa so "Dahmee" zu schreiben - obwohl, auch "Pfrauhen" kann man ganz schön falsch schreiben!) in langen, kalten und dunklen Winternächten in einsamen Kämmerchen bei Kerzenschein, und einem Glas billigem Rotweines, erdacht wurde.
Was machten sie aus unserem geliebten Kuß? Wollen wir doch ehrlich sein: Sie entrissen ihm, ohne einen Anflug von Skrupel zu zeigen, das weiche, anschmiegsame "ß" und ersetzten es durch zwei harte, spitzkantige "ss" (war da nicht mal so ein Gerücht, man wollen nichts mehr mit dieser Zeit zu tun haben, und hatten nicht gerade deshalb die ehemaligen Strassen ein leibliches "ß" bekommen? Und dieses soll nun wieder alles verkehrt sein?).
Ebenso erging es unserem Fluß, der beliebten und allseits geschätzten Nuß, und auch unseren Fuß haben sie nicht ungeschoren gelassen.
Ich, der so verliebt in meine Geographie, Photographie und Delphine war, soll nun auch die Geografie (oder doch eher ohne "e" am Ende?), die Fotografie und den Delfin lieben lernen? Und wieso überhaupt "lernen", müßte (auch so ein neues "ss-Wort"!) es nicht viel eher "lehrnen" heißen (ja, ich weiß, mit "ss"), wo es doch, für jedermann (auch falsch geschrieben?) offensichtlich vom "Lehren" und "Lehrer" kommt; oder doch nicht?
Was wird uns wohl bleiben, wo wir jetzt doch auch irgend wann, irgend wie etc. zusammen schreiben sollen?
Und wo bitte ist die Höflichkeit, der Respekt und die Wertschätzung für unser Gegenüber geblieben, wenn man uns weiß machen will, daß die persönliche Anrede auch kleingeschrieben nicht an Ehrerbietung verliert?
Vielen Dank, nicht mit mir.
So wie ich die ganze Sache sehe, wird es, in etwa, wie folgt enden.(zum besseren Verständnis liegt dieser Abhandlung eine Übersetzung ins "alte Deutsch" bei!)

............................

Aphantlunk zuhr ummganksschbrachlich eksperiemäntällen Laudschrivd,
basiehränt auf där aktuällsdän Rächdschreiprevorm

Die schöne neuee Zaid isd entlich angebrochhän! Weck fom Klaingheisdigän, hinn zuhm Globaalän, zuhm alläs Uhmspannänden.
Wie wahr sie traurich, die Zaid in der wier, föllich wäldvrämt, nur unsähr aigenes Sübhjen kochden, dehm Patoss där aigenen Forstellunggen nachhiengän, und genslich unvehik schinen uns aals Wäldbürger zu betrachtän?
Aalles isd so fiel bessär gewordän, unt auch das Schraiben fellt uns jedsd sherr fiel laichtär, had mann unz doch fon ainär Mänge unsinniegär Rechdschraipregäln bevraid, unsären Gaisd führ die neue Wäld geöffnäd - auh wenn wier das in diesär Vorm fielaichd nich so gärne woltän.
Was brauchd där Ainzälne häute noch an Sbrachfärsdentnis, wenn doch aigändlich allees richdich, wenn auch richdich valdsch, geschriebän isd - Haubtdsachhe mann waiss, was gemaind isd!
Unt so isd ess auch mid diesär Laudschrivd, die sich rühmän kan das modärnsde Kint där neuhen Genärazjohn fon wäldbürgärlichhän Analfabeetän zu sain - ich vür mainän Tajel vinde das Klassee, waijel ich jedsd nieh wiedär Veelär machän wärde, wenn ich ergäntainär Inztitozjohn mahl wiedär ainige Zailän zukomhen lassän muss!
Schade nur, dass ich nichd mähr zur Schuhle gehä, sonzd wehre ich beschdimmd ainär der bäsden im Deudschän; auch wenn aigändlich allee glaich gud wehrän, waijel jahr alläs richdich und niks valdsch isd.
Wehre aigändlich ga nichd so fehrkärd, wenn man diese Forgehänzwaise auch auv die Mateematieg übärtragän würde; so wehre jedär rehlatif gud, wenn auch das Gandse totaal daneebän isd - abär wehn würde das dann noch intärässierän? Denn wenn alle alles glaich valdsch machän, dann wirt es schon irgäntwie unt irgäntwann richdich sein; hovve ich jedänfallz.
Im Grunde genommän vrage ich mich ja auch nur, wäshalp wir schdendich alles endärn wollän, auch wenn es aigändlich bissherr imer gands gud vungzionierd had, so wie es wahr? Das mährehreh Genärazionen von deudschsbrachigän Mändschän, die nich mähr in der Lage odär Willänz sint, die neuän Schraipwaisän zu ärlärnen, mid ainäm Mahle so ein Ard neuäs Analfabeetentuhm zwankswaise begründän müssän, schaind mir doch ein wenich Paradoks - nich nur, dass Unsumän für die Revormierunk där deudschän Wordschrivd ausgegebän wurdän, nin, mann fükd där deudschän Folgswirdschavd ainän zusedslichhen Schadän in immänseäm Ausmassee zu, da alle möklichän Beraiche däs öfendlichän Lebänz betrofvvän sint. Ich möchde hier nur auv die Nachschulunk där Beahmdän färwaisän, dänn es kann doch nichd angehän, dass unsäre Schulkindär ein bessäräs Däudsch schaipän, als es die Ädälkasde unsärär Schdadzbediendsdetän tun, odär?
Dehn Leerärn und Leerärinnän wirt dies indäs wänik nüdsän, dänn wänn sie auch die ärsdän sint, die in dehn Genuss odär die Kwahl, gands wie es sähän möchde, där, nännän wir es einmahl hövlig, Zvanksmodärnisierunk der däudschän Wordschbrache untär Berügsichdigunk däs rapiede sinkändän allgemain Ferschdandäs, kommän, dann wärdän sie sich schlußäntlig als "Leerkörpär" wiedärvindän - zumindäsd isd das vür mich das aindzich logiesche Resuhltad aus däm, was man alds angäplichä Ärlaichdärunk vür unsärä Kindär unt Jugäntlichän ersan.
Blaipd dännoch zu bezwaiväln, op die "neuän Däudschän" mid irär neuän däudschän Wordschbrache glüglich wärdän.
Was für ain Gepfühl muss äs für ainän jungän Mändschän sain, wenn är in ain par Jarän färsuchd den "Taugänicks" fon Aichändorv zu lesän; muss är sich da nichd totaal hintärgangän unt betrogän forkommän?
Ich sehä sie schon for mir, die tausänt unt abertausänt jungär Pänneleer, die ferzwaiväld und kobvschütdälnt durch die Pausängengä ihrär Schulän schlaichän, und all die wundärschönän Graviehtis nichd mähr endzifvärn könnän.
Posd wirt es dann wohl auch kaine mähr gebän, wo doch gerade die Posdbediendstetän noch immär untär ihräm Rauhswurv aus där Schdaadlichkaid zu laidän habän unt auch irgäntwie sauher auv alle unt jedän sint - isd doch auch klah, schlisslich bekommd vasd jedär Posd und da gipd äs so ainigäs zu beachtän! Äs isd nuhn nichd mähr damid getahn die korägte Posdleidzaal härraus zu suchän, nain, mann muss jädzt auch sainän "Rächdschreiprevormtransleetär" zu Rate ziehän, damid mann die Schdrasennamän nur ja nichd faldsch schraipd.wenn doch: Anschrivd unbekannd, zurüg an dähn Apsändär!
Unt das isd genau das, was wir auch mid där Rechdschreiprevorm machän soltän - abär auf mich hörd ja onähin kainär.
......................

Abhandlung zur umgangssprachlich experimentellen Lautschrift,
basierend auf der aktuellsten Rechtschreibreform

Die schöne neue Zeit ist endlich angebrochen! Weg vom Kleingeistigen, hin zum Globalen, zum alles Umspannenden.
Wie war sie traurig, die Zeit in der wir, völlig weltfremd, nur unser eigenes Süppchen kochten, dem Pathos der eigenen Vorstellungen nachhingen, und gänzlich unfähig schienen uns als Weltbürger zu betrachten?
Alles ist so viel besser geworden, und auch das Schreiben fällt uns jetzt sehr viel leichter, hat man uns doch von einer Menge unsinniger Rechtschreibregeln befreit, unseren Geist für die neue Welt geöffnet - auch wenn wir das in dieser Form vielleicht nicht so gerne wollten.
Was braucht der Einzelne heute noch an Sprachverständnis, wenn doch eigentlich alles richtig, wenn auch richtig falsch, geschrieben ist - Hauptsache man weiß, was gemeint ist!
Und so ist es auch mit dieser Lautschrift, die sich rühmen kann das modernste Kind der neuen Generation von weltbürgerlichen Analphabeten zu sein - ich für meinen Teil finde das Klasse, weil ich jetzt nie wieder Fehler machen werde, wenn ich irgendeiner Institution mal wieder einige Zeilen zukommen lassen muß!
Schade nur, daß ich nicht mehr zur Schule gehe, sonst wäre ich bestimmt einer der Besten im Deutschen; auch wenn eigentlich alle gleich gut wären, weil ja alles richtig und nichts falsch ist.
Wäre eigentlich gar nicht so verkehrt, wenn man diese Vorgehensweise auch auf die Mathematik übertragen würde; so wäre jeder relativ gut, wenn auch das Ganze total daneben ist - aber wen würde das dann noch interessieren? Denn wenn alle alles gleich falsch machen, dann wird es schon irgendwie und irgendwann richtig sein; hoffe ich jedenfalls.
Im Grunde genommen frage ich mich ja auch nur, weshalb wir ständig alles ändern wollen, auch wenn es eigentlich bisher immer ganz gut funktioniert hat, so wie es war? Daß mehrere Generationen von deutschsprachigen Menschen, die nicht mehr in der Lage oder Willens sind, die neuen Schreibweisen zu erlernen, mit einem Male so ein Art neues Analphabetentum zwangsweise begründen müssen, scheint mir doch ein wenig Paradox - nicht nur, daß Unsummen für die Reformierung der deutschen Wortschrift ausgegeben wurden, nein, man fügt der deutschen Volkswirtschaft einen zusätzlichen Schaden im immensen Ausmaße zu, da alle möglichen Bereiche des öffentlichen Lebens betroffen sind. Ich möchte hier nur auf die Nachschulung der Beamten verweisen. Es kann doch wohl nicht angehen, daß unsere Schulkinder ein besseres Deutsch schreiben, als es die Edelkaste unserer Staatsbediensteten tun, oder?
Den Lehrern und Lehrerinnen wird dies indes wenig nützen, denn wenn sie auch die Ersten sind, die in den Genuß oder die Qual, ganz wie man es sehen möchte, der, nennen wir es einmal höflich, Zwangsmodernisierung der deutschen Wortsprache unter Berücksichtigung des rapide sinkenden Allgemeinverstandes, kommen, dann werden sie sich schlußendlich als "Leerkörper" wiederfinden - zumindest ist das für mich das einzig logische Resultat aus dem, was man als angebliche Erleichterung für unsere Kinder und Jugendlichen ersann.
Bleibt dennoch zu bezweifeln, ob die "neuen Deutschen" mit ihrer neuen deutschen Wortsprache glücklich werden.
Was für ein Gefühl muß es für einen jungen Menschen sein, wenn er in ein paar Jahren versucht den "Taugenichts" von Eichendorff zu lesen; muß er sich da nicht total hintergangen und betrogen vorkommen - oder werden jetzt überhaupt alle Bücher umgeschrieben?
Ich sehe sie schon vor mir, die tausend und abertausend junger Pennäler, die verzweifelt und kopfschüttelnd durch die Pausengänge ihrer Schulen schleichen, und all die wunderschönen Graffitis nicht mehr entziffern können.
Post wird es dann wohl auch keine mehr geben, wo doch gerade die Postbediensteten noch immer unter ihrem Rauswurf aus der Staatlichkeit zu leiden haben und auch irgendwie sauer auf alle und jeden sind - ist doch auch klar, schließlich bekommt fast jeder Post und da gibt es so einiges zu beachten! Es ist nun nicht mehr damit getan die korrekte Postleitzahl heraus zu suchen, nein, man muß jetzt auch seinen "Rechtschreibreformtranslater" zu Rate ziehen, damit man die Strassennamen nur ja nicht falsch schreibt.wenn doch: Anschrift unbekannt, zurück an den Absender!
Und das ist genau das, was wir auch mit der Rechtschreibreform machen sollten - aber auf mich hört ja ohnehin keiner.

© Copyright 25.02.1999 Pierre-André Hentzien. Alle Rechte vorbehalten! Verwendung des Textes, auch Auszugweise, nur mit Zustimmung des Autoren!
PAHPub Hauptsache man weiß, was gemeint ist 01782322718

Man verschone mich bitte mit Benotungen, ohne eine entsprechende Kritik abzugeben (egal ob positiv oder negativ!).
Ich finde es feige eine 6 zu vergeben, nur weil man einer persönlichen Abneigung zuspricht, aber nicht den "Arsch in der Hose hat", derlei auch kurz zu begründen!
Und für all jene, die dies' dennoch so handhaben: Arm, wer ein Gesicht hat, das der Courage nicht erlaubt sich zu zeigen!
Pierre-André Hentzien, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.07.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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