Bernhard Klockhaus

Ich bin multiple

Eins vorweg, ich bin kein einsamer Mensch, denn ich bin multiple.

In meiner realen Welt friste ich ein eher ödes Dasein. In meinem Job werde ich nicht allzu sehr gefordert. Ich sitze in einem Nebenraum einer alten abbruchreifen Lagerhalle und sortiere morgens 8er Schrauben und nachmittags 10er. Ab und an kommt ein kleiner dicker Mann - mein Chef - vorbei und schreit mich an. Ich solle doch schneller sortieren, aber das fällt mir sehr schwer. Denn gerade jetzt im Winter frieren in dem unbeheizten 4-Quadratmeter-Raum schnell die Hände ein und die Schrauben pappen dann an den Fingern fest. Aus dem Fenster gucken kann ich auch nicht, da sich mein Zimmerchen im Keller befindet.Freunde habe ich keine, einen Hund oder Goldfisch auch nicht. Zweimal in der Woche gehe ich zu einer Therapeutin. Sie ist sehr nett und es hilft mir, auf der Couch herumzulümmeln und einfach nur zu reden.
Es macht Spaß in der offenen Therapie zu sein. Es ist so eine Art Experiment, sagte man mir an dem Tag meiner Entlassung aus der Klinik. Bunte Pillen muss ich jeden Tag schlucken, schön sortiert. Morgens die Blauen, mittags die Gelben, abends die Roten und vor dem Schlafengehen eine hübsche Mischung aus allen. Dann bin ich ganz ruhig und entspannt und habe nicht wieder diese fürchterlichen Träume.
 
Damals haben wir etwas ganz Böses getan, haben sie uns gesagt. Aber das ist lange her. Wir können uns kaum daran erinnern.
Ich bin aber nicht Schuld daran, dass die nette Oma nun tot ist. Es war nicht meine Idee, ihren Rollator am Linienbus festzumachen. Warum hat sie ihn nicht losgelassen? Es war fürchterlich, manchmal habe ich noch dieses PlingPlopp-Geräusch in den Ohren. Wie sie da lag, ihr Schädel war zertrümmert und klemmte zwischen dem Fahrgestell ihrer Gehhilfe. Ihr ganzes Leben und die Erinnerungen an bessere Zeiten liefen in die Bordrinne. Beim Aufprall auf den Bus wurde ihr kleines Hundchen durch die Fensterscheibe geschleudert. Dabei wurden die Vorderbeine abgetrennt und landeten in der üppigen Auslage einer Blondine. Sie hat markerschütternd geschrien. Ich habe geweint und dich angeschrien, warum hast du das nur getan? Aber du hast nur gelacht und bist fortgelaufen. Ziemlich schnell haben sie uns ergriffen und uns in dieses schöne Heim am Rande der Stadt gebracht.
Aber wie gesagt, das ist alles sehr lange her und du sprichst seitdem nicht mehr mit mir.
 
Vielleicht ist es auch ganz gut so.

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Bernhard Klockhaus).
Der Beitrag wurde von Bernhard Klockhaus auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.07.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Bernhard Klockhaus als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

1979 Transit ins Ungewisse von Bernhard W. Rahe



Die Story spielt im Jahr 1979. In einem geheimen Forschungslabor an der Sowjetischen Grenze entwickelt ein genialer Wissenschaftler eine biologisch hochbrisante Substanz, die die Menschheit zu vernichten droht, sofern der “Stoff“ in falsche Hände gerät. Der besessene Virologe “Ramanowicz“ tauft seinen biologischen Kampfstoff auf den Namen “AGON XXI“. Die BRD ist darüber informiert!

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (3)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Skurriles" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Bernhard Klockhaus

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Nicht danach gelebt von Bernhard Klockhaus (Liebesgeschichten)
Der Liebesbeweis von Rainer Tiemann (Skurriles)
Mit seinem Namen leben von Norbert Wittke (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen