Wolfgang Hermsen

Lehrer Wolf

Am kleinen Bach, der in Windungen durch den Wald fließt, ist es so friedlich. Die Sonne schimmert durch die Blätter und wirft helle Flecken auf den Waldboden. Sie glitzert im Wasser. Doch wo sind die Tiere geblieben? Die Vögel schweigen und die Fische haben sich versteckt. Da plötzlich ist ein Platschen zu hören. Es ist Mick, der junge Fischotter und die Neugier in Person. Er untersucht alles und jedes und ist äu­ßerst vorwitzig. Etwas hat ihn erschreckt, denn er schwimmt rasend schnell durch den Bach zum Bau. Aus sicherem Versteck beobachtet er, was vorgeht. Etwas Graues auf vier Beinen geht langsam durch den Wald. Was ist denn das für ein Tier? Jetzt kommt es zum Trinken an den Bach, fast direkt gegenüber von Micks Versteck. In sicherer Entfernung geht er an Land und möchte verschwinden, doch seine Neu­gier ist stärker als seine Angst. Durch den Bach schwimmt er auf das Wesen zu und fragt es, wer und was es wäre. Mit freundlicher Stimme antwortete es: „Hab keine Angst, ich bin Klaus, der Wolf, ich esse nur Beeren und Kräuter. Ich liebe meine Mit­geschöpfe. Einen langen Weg habe ich hinter mir und viele Erfahrungen gesammelt sowie große Herausforderungen bewältigt. Ich fühle mich wohl hier und überall habe ich Freunde gewonnen. Du bist also der Mick.“ „Woher kennst du meinen Namen?“ „Ich kann Gedanken lesen und du fürchtest dich vor mir, aber deine Neugier hat dich zu mir getrieben.“ Verblüfft schaut Mick ihn an. Ein Wolf, der Beeren aß? War das normal? Klaus lächelte ihn an: „Ich bin normal, aber anders, als du ‚normal’ verstehst. Du meinst, dass das Normale das ist, was die Masse der Wesen macht. Daher bin ich ver-rückt, anders gesagt, ich habe die Wahrheit entdeckt und nur die ist für mich gültig. Das erschreckt viele Wesen und sie sagen, dass ich nicht richtig sein kann, wenn ich mich verhalte, wie ich glaube, dass es recht ist.“ Mick staunt nur noch, seine Angst ist völlig verflogen und er verlässt das Wasser. Ein Wolf, der das Nor­male als verrückt bezeichnet, ist harmlos. Klaus schaut ihn an: „Stimmt, ich bin harmlos. Aber das Normale ist verrückt und meine Ver-rücktheit ist normal. Ich bin der sogenannten Normalität abgerückt und habe erkannt, das ich so am besten le­ben kann.“


Ein Knacken, Brechen und Johlen ertönt. Mick rast zurück in den Bach und taucht ganz schnell unter. Kinder laufen lautstark durch den Wald und sehen Klaus am Bach trinken. Sie rufen: „Seht mal diesen schönen Hund. Den streicheln wir mal.“ Wie scheinbar zutraulich kommt Klaus an und ließ sich streicheln. Er liebt diese Mo­mente, wenn er mit einem Hund verwechselt wird und genießt die Streicheleinheiten. Bald darauf lassen die Kinder von ihm ab und er geht seines Weges.


Tage später kommen wieder Menschen in den Wald und sehen Klaus. Sofort wollen die beiden Kinder auf ihn zu und ihn streicheln: „Mama, Papa, da ist ein lieber Hund, den sehen wir uns an.“ Blitzartig rennen sie los und sind im Nu bei Klaus, der sich streicheln lässt. Vor Schreck ganz starr sehen die Eltern, dass Klaus ein Wolf ist. Sie machen langsame Bewegungen auf einen großen Stock zu. Gleichzeitig nehmen sie im Kopf eine Stimme wahr: „Wovor habt ihr Angst? Ein Stock ist unnötig, ich liebe alle Wesen. Kommt auch her zu mir.“ Sie schütteln den Kopf. Woher kommt diese Stimme? Haben sie einen Sonnenstich? „Ja, ich bin es. Dieser ach so gefährliche Wolf kann Gedanken lesen und auch mit anderen Wesen über Gedanken Kontakt aufnehmen. Glaubt es ruhig, so unwahrscheinlich es auch ist.“ Entschlossen laufen sie auf den Wolf zu. Da nimmt er die Kinder bei den Jacken und zerrt sie weg. Sofort sind die Eltern hinter ihm her. Da kracht es und ein Baum fällt auf die Stelle, wo sie gerade noch gestanden haben. Klaus hat die Kinder sofort losgelassen, als er die Eltern in Sicherheit weiß. Dieser Schock ist zuviel für sie und sie setzen sich erst einmal. Zu den Kindern sagt Klaus in Gedanken: „Geht zu euren Eltern, sie brauchen euch dringend.“ Schnell kommen sie seiner Aufforderung nach und umarmen ihre Eltern. Die Mutter sagt: „Das glaubt uns kein Mensch. Zuerst ein Wolf, der Gedanken liest, danach unsere Rettung und er schickt uns unsere Kinder, die uns umarmen. Das ist doch verrückt.“ „Stimmt und ich weiß, dass ihr genau das gebraucht habt. Soll ich euch mal einige Reime vortragen?“ Fassungslos schauen alle auf Klaus. Noch mehr Wahnsinn? Aber was soll es? Soll er vortragen, was er will. „Ich danke euch, dass ihr mir zuhört besser gesagt, meinen Gedanken folgt. Also:


Menschen bekommen Kinder, wie sie sagen: aus Liebe.

sie versorgen die Kinder und versetzen damit deren Seele schwere Hiebe.

Füttern, wickeln, baden, erziehen und kleiden, welch ein Leiden für die Kleinen.

Stehen sie eines Tags auf , wie Mensch sagt, eigenen Beinen,

so fühlt die einst reine kindliche Seele Freiheit aus dem Inneren heraneilen.

doch meist lässt er sie kaum in sich verweilen.

Schade um das reine Wesen,

das er einst gewesen.

Eindrücke von außen verwirren

und lassen die Wesen irren.

Hauptsache von außen stimmt das Bild,

auch wenn von innen 'Warnung' steht auf einem mahnenden Schild.

So scheint die Menschheit von heute halt zu sein,

jeder wahrt den äußeren Schein,

leben in einer 3D-Utopie

scheinbar endet sie wohl nie!


Was meint ihr dazu?“


Die Eltern scheuen sich, was zu sagen. Das war doch unmöglich. Die Kinder rufen: „Wie schön. Bitte mehr davon.“ Schon trägt Klaus noch Weiteres vor:


Meine Seele rein wie der Strahl der Sonne,

welch eine Wonne.

Meine Worte rein und klar wie das Himmelszelt,

wäre es doch wunderschön, wäre es so auf der ganzen Welt.

Krankheit und Kriege gehören zu Gestern und nicht zu Heute.

Das wäre schön, ruft die ganze Meute.

Menschen wünschen sich das Leben wäre zeitlebens schön und angenehm.

Doch sie spüren kaum, dass sie es sich selber unangenehm dreh'n.

Im Ursprung haben Menschen das Paradies auf Erden,

doch der Mensch baute es sich um und ließ es zu seiner eigenen Hölle werden.

Der Mensch ist dabei, dies zurück zu dreh’n, wie schön!

Doch kaum einer möchte es wirklich seh’n,

aus Angst in eine ungewohnt schöne Zukunft zu sehen.

Für Menschen ist anders als gewohnt meist schlecht,

doch dies zu beurteilen: Wer gibt ihnen dazu das RECHT???


Den Eltern rollen die Tränen über die Wangen. Warum berühren diese Worte sie nur so tief? Die Kinder geben unbewusst die Antwort: „Mama und Papa, das Paradies möchten wir auch haben. Wann bekommen wir es?“


Klaus gibt noch mehr Weisheiten von sich:

Menschen haben Gefühle, die Unwohlsein verursachen. Gefühle sind innerlich, wieso sucht Mensch äußerlich nach Wohlsein???

Wohlsein wie auch das Gegenteil sind in uns SELBST. Unser Selbst ist wie eine Waage. Körper auf der einen Seite, Seele/Wesen auf der anderen. Dies gehört in Einklang und ergibt unser Selbst = Wohlsein.


Wie gebannt lauschen sie dem letzten Gedicht von Klaus:

Als kleine Menschen lieben wir alles und jeden,

wer spricht uns das ab und auch dagegen?

Nichts und niemand würden die meisten sagen

in diesen Tagen.

Und doch ist es so mit uns geschehen,

wie das anfing, lasst es uns näher ansehen.

Erfahrungen nennen Menschen das, was sie erleben

und bei denen sie danach streben,

dass bloß alles geht normgerecht und nie daneben.

doch niemals eine Norm ist für alle Menschen gemacht,

deswegen werden unwohle Erfahrungen von viel zu vielen Menschen gemacht.

Verständnis fehlt wofür sie leben,

existieren rein für normgerechtes Streben,

doch dies geht daneben.

Nach Wurzeln des Unwohls wird geforscht,

dauert zu lang, der Mensch wird dadurch morsch.

Doch möchte jeder seines Kindes Bestes

also schützen wir sie vor schmerzen.

Gute Erfahrungen braucht es, keine schlechten

also halten wir schützend die Hand

bevor sie in Berührung kommen mit dunklen Mächten.“


Die Eltern sind vollkommen sprachlos. Wie kann ein Wolf so etwas wissen? Ihr Welt­bild ist total erschüttert. Nur die Kinder umarmen Klaus und sind traurig, als er sie verlassen möchte. „Tragt diese Weisheit in die Welt und sie wird sich ändern. Sie wird zum Paradies für alle Wesen auf ihr. Wenn ihr mich braucht, ich bin in eurer Nähe. Ein Gedanke an mich und ich bin bei euch.“


Mit diesen im Kopf sich formenden Worten läuft Klaus fort und verschwindet lautlos im tiefen Wald. Nur die Sonne hat gesehen, wohin er gegangen ist.

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Wolfgang Hermsen).
Der Beitrag wurde von Wolfgang Hermsen auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.07.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Wolfgang Hermsen als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Die goldene Bahre der Inkas von Peter Splitt



Eigentlich beabsichtigte Roger Peters, Inhaber einer Reiseagentur für Abenteuerreisen, ein paar ruhige Tage in Lima mit seiner peruanischen Freundin Liliana zu verbringen, bevor er zu abgelegenen Andenregionen zwecks Erkundigung neuer Reiserouten aufbrechen wollte. Das Auftauchen wertvoller antiker Kulturobjekte und das gleichzeitige mysteriöse Verschwinden eines befreundeten Kunsthändlers aus der Antikszene, stürzen Roger Peters jedoch in unvorhergesehene Abenteuer. Er begibt sich mit seinen Freunden auf die Suche nach alten Inkaschätzen und sieht sich schon bald mit einer international operierenden Hehlerbande für antike Kulturgüter konfrontiert

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Sonstige" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Wolfgang Hermsen

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Abenteuer des kleinen Max von Wolfgang Hermsen (Fabeln)
MANCHMAL GIBT ES NOCH KLEINE WUNDER von Christine Wolny (Sonstige)
Das dunkelbraune Poesiealbum von Ingrid Drewing (Wahre Geschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen