Karl-Heinz Fricke

Manitoba - dritter Teil - Thompson

Der 4.Januar 1962 bedeutete für mich ein Neubeginn in unserer neuen Heimat Kanada. Ich hätte mir es mir nie träumen lassen, dass mich das Schicksal nach einigen Jahren in den kalten, fast unbewohnten und unwirtlichen Norden Manitobas verschlagen würde. Ich war nun ein Mitglied einer Polizeitruppe, die nicht mit anderen Sicherheitsorganisationen zu vergleichen ist. Über meine neuen Kollegen und deren Aktionen habe ich schon etwas verlauten lassen, was nicht immer meine Zustimmung fand. Allerdings musste ich einige Abstriche machen, denn die Verhältnisse in dem großen Lager konnte man schwerlich als zivilisiert bezeichnen. Außerdem war ich zu der Zeit noch deutscher Staatsbürger, weswegen ich nicht von den Lagerinsassen vor Begeisterung auf die Schulter geklopft wurde. Im Gegenteil, ich hörte böse Bemerkungen wie Gestapo, bloody German und schlimmere Worte, die nicht im englischen Wörterbuch verzeichnet sind. Im Gegensatz zu einigen Kollegen war es immer mein Bestreben, möglichst nicht mit Gewalt vorzugehen, was dann auch nach einigen Monaten meiner Betätigung von den Arbeitern und von der Führung des Nickelwerkes anerkannt wurde. Somit war ich ein Mitglied einer 18-köpfigen Gruppe, die nach Angaben des Werkes gewisse Aufgaben übernommen hatte, die strikt ausgeführt werden sollten und auch wurden. Wie nun einmal die Menschen verschieden sind, so sind auch die Dienst-Ausführungen und Auslegungen Einzelner unterschiedlich. Ich hatte meistens großen Erfolg mit meiner Methode mit Worten zu überzeugen, was ein Großteil meiner Kollegen nur mit den Fäusten, teils aus Rauflust und teils aus Unfähigkeit erreichen konnte.

Zwei Kollegen, ein früherer Staatspolizist, der dem Alkohol verfallen war, und ein junger, vierschrötiger Rauflustiger , waren wie siamesische Zwillinge immer zusammen, nur dass sie nicht zusammengewachsen waren. Sie hießen Gordon und Harry. Sie liebten Nachtdienst, weil sie neben ihren Runden durchs Lager ein wenig schlafen konnten, denn tagsüber saßen sie zusammen und tranken. Gordon war dafür bekannt, jeden Tag eine Flasche Whiskey zu verkonsumieren, aber nur an seinen Augen konnte man die ständige Trunkenheit erkennen. Jede Runde dauerte eine Stunde, dann hatte man bis zur nächsten Streife eine Stunde frei, in der die Beiden ihre Augen schlossen und laut schnarchten. Auf fast jeder Streife durch das Lager und auch durch die Baracken gab es für sie immer Gelegenheit Lagerinsassen zu provozieren, und wenn diese nicht stillschweigend das Feld räumten, wurden sie jämmerlich zusammengehauen.

Die Werksleitung verlangte, dass ein Tagesbericht mit Zeitangaben aller Ereignisse im Lager wahrheitsgemäss vorgelegt wurde. Es war nun mehr als auffällig, dass Gordon und Harry den Hauptteil dieser Berichte schrieben und es schien, dass nur sie ihre Pflicht taten, und wir anderen wohl fünf gerade sein ließen. Viele ihrer in die Maschine getippten Berichte, entbehrten das wirkliche Geschehen und oftmals waren es aufgebauschte Lügen, die ihre aggressiven Handlungen rechtfertigen sollten. Diese trug dazu bei, dass Dutzende von Lagerinsassen kurzerhand aus dem Lager gewiesen wurden und somit auch ihre Arbeitsstelle verloren hatten. Der Krug geht allerdings nur so lange zu Wasser bis er bricht, und als der Personalchef des Werkes verlangte, die beiden voneinander zu trennen, und in verschiedenen Schichten einzusetzen, da war es mit ihrer aggressiven Dienstausführung vorbei. Gordon, der Trinker, zog es vor, den Dienst augenblicklich zu quittieren. Harry durfte auch nicht mehr im Lager eingesetzt werden, und musste auch Tagdienst verrichten. Das gefiel ihm gar nicht. Es war vorauszusehen, dass er auch kurz über lang das Handtuch werfen würde, was er auch einige Monate später tat. Bis dahin wurde er hauptsächlich an den beiden Kontrollpunkten eingesetzt, deren Notwendigkeit ich hiermit beschreibe:

Kontrollpunkt 1, das kleine Pförtnerhäuschen am Eingang zum Werk, wurde immer von zwei Leuten besetzt. Die Hauptaufgabe war nur Befugten Eintritt zu gewähren. Das galt in erster Linie den Arbeitern, die auf Schicht gingen. Das Vorzeigen ihrer Metallmarke mit ihrer Beschäftigungsnummer darauf war Bedingung, durchgelassen zu werden. Bei der Vielzahl der Arbeiter und dem ständigen Kommen und Gehen, war es jedoch nie eine hundertprozentige Kontrolle, da ein Abzeichen auch von Unbefugten benutzt werden konnte, was allerdings nicht oft vorkam.

Wir hatten sehr darauf zu achten, dass kein Betrunkener seine Schicht antrat. Solchen Leute mussten wir den Zutritt verweigern, was nicht immer deren Zustimmung traf und zu unangenehmen Auftritten führte. Trotzdem gelang es immer wieder einigen im betrunkenem Zustand die Schicht zu beginnen, was dann dazu führte, dass wir den Betrunkenen von seinem Arbeitsplatz abholen mussten. Beim Verlassen des Werksgeländes wurden täglich etliche Arbeiter aufgefordert Kleiderbündel, Frühstücksbehälter usw. vorzuzeigen, da Werkseigentum laufend gestohlen wurde. Bei einem Bergmann fanden wir sogar Dynamitpatronen. Er beteuerte, dass er damit daheim auf seiner Farm Baumstümpfe zu entfernen beabsichtigte. Das große eiserne Tor musste immer geschlossen sein. Bei Fahrzeugen, die berechtigt waren ins Werksgelände zu fahren zu, musste sich der Fahrer mittels seiner Kennkarte ausweisen. Fahrzeuge, die das Werksgelände verließen, wurden ebenfalls auf Werkseigentum kontrolliert.

Der 2. Kontrollpunkt war am Anfang der Zugangsstraße zum Werk, etwa einen Kilometer entfernt. Unmittelbar darüber befand sich die Bahnlinie, die vom Werk zum Bahnhof führt und auf der das fertige Nickel in den Süden befördert wird. Hier galt es alle Personen, die zum Werk wollten, zu überprüfen. Wiederum die Beschäftigungs-Erkennungsmarke, oder ein Ausweis waren vorzuzeigen. Andere Personen, die angemeldet waren, durften ebenfalls passieren. Bei den 2500 Lagerinsassen die Bar und Bierhalle im Ort Thompson täglich besuchten, war es ein ewiges Rein und Raus. Auf dem Wege zum Ort wurden kaum Kontrollen gemacht, dagegen wurden Fahrzeuge, die das Lager und Werk anstrebten auf alkoholische Getränke, die im Lager nicht erlaubt waren, untersucht.

An diesem Kontrollpunkt machte ich an einem Sonnabend Nachtdienst mit Harry. Da lernte ich an ihm auch eine andere Seite kennen. Er konnte nicht nur brutal, sondern auch jovial und ein Spaßvogel sein. Allerdings überließ er mir meistens die Arbeit mit den Kontrollen, während er lang auf der Bank lag und schnarchte. Besonders an den Wochenenden war der Verkehr bis Mitternacht fast pausenlos. Die 20 Wagen der Taxikompanie waren im ständigen Einsatz. Privatautos gab es nur vereinzelt, weil noch keine Straße aus Thompson herausführte. Viele zogen es auch vor zu Fuss zu gehen, was bei grimmiger Kälte im Winter kein Vergnügen war. Nach Mitternacht wurde es dann sehr still, weil die Taxis keine Fahrten mehr machten.

Harry schnarchte immer noch und ich saß auf dem Hocker beim Fenster und starrte sinnend ins Dunkel. Plötzlich sah ich eine Gestalt, die sich torkelnd unserer Bude näherte. Ich trat vor die Tür und stand einem Indianer gegenüber. Da das Werk zu der Zeit keine Eingeborenen beschäftigte, wusste ich gleich, einen Unbefugten vor mir zu haben. Harry musste wohl etwas gehört haben und er übernahm sofort die Unterhaltung. Die stark betrunkene Rothaut wusste nicht, wie ihr geschah, als Harry sie mit "Willkommen mein roter Bruder", anredete. "Du bist sicher durchgefroren, tritt ein und wärme dich auf!" Im Laufe des abends hatte ich etliche Spirituosen jeglicher Art vorläufig beschlagnahmt, die mit dem Namen der Besitzer auf dem Fußboden in Reihe und Glied standen. Einige Flaschen waren schon angebrochen und andere waren noch versiegelt. Die Eigentümer des Alkohols waren berechtigt, ihre Flaschen innerhalb von 24 Stunden zurückzuverlangen, sie mussten sie allerdings außerhalb des Werksgeländes austrinken. Die Augen des Indianers waren auf die Flaschen fixiert und er fragte, warum sie da ständen. Harry hatte die Antwort bereit und sagte, das sei unsere Ration für diese Schicht. Da meinte der Rote, wir hätten aber einen guten Job, und seine nächste Frage war, ob er wohl bei uns anheuern könne. Harry sagte, er müsse gut trinken können, sonst wäre er nicht geeignet. Damit hätte er kein Problem, sagte der Indianer. Na, das wollen wir mal sehen, sagte Harry und reichte dem Indianer eine halbvolle Flasche mit Rum. Er setzte sie an den Mund, und wenn Harry nicht Einhalt geboten hätte, wäre die Flasche leer gewesen. Daraufhin bestätigte Harry der Rothaut seine Eignung. Nun wollte der Indianer wissen, wo er die Uniform bekommen würde. Er dachte, er wäre mit dem Trinktest bereits eingestellt. Er wurde auf die Bahnstrecke, die ins Werk führte, verwiesen, dieser bis ins Werk zu folgen. Am Ende der breiten Werksstraße befände sich unser Kontrollpunkt und dort müsse er sich melden. Sogleich setze sich der Rote auf den Schwellen in Marsch. Ich hatte meine Bedenken, denn es herrschten immerhin mindestens -35̊ C und betrunkene Indianer wurden oft Opfer der Kälte. Harry meinte, Besorgnis sei nicht angebracht, denn noch immer gälte der Spruch: "Ein guter Indianer ist ein toter Indianer". Das war wieder Harry’s Schattenseite. Er hatte seinen Spass mit dem Kerl gehabt und was nun weiter mit ihm geschah, störte ihn nicht. Als wir morgens jedoch den Tagesbericht lasen, hielten wir uns den Bauch vor Lachen. Der Indianer hatte es tatsächlich geschafft den Kontrollpunkt zu erreichen. Der Bericht las sich ungefähr so: Um 5:30 Uhr kam eine männliche Person aus dem Werk zum Kontrollpunkt. Es war unerklärlicher Weise ein Indianer, der stark betrunken lallte, er wolle eine Uniform haben. Weiter war aus dem Mann nichts herauszukommen. Ende des Reports. Glücklicherweise war der Rote zu betrunken, um sich auf uns zu berufen.

Auch andere Indianer aus den umliegenden Reservaten hatten Thompson entdeckt. Sie marschierten meilenweit durch den Busch, um an die "Tränke" im Ort zu gelangen. Man sah sie in den Sommermonaten überall betrunken herumliegen. Auch Frauen, die Squaws, waren darunter, die sich den sexhungrigen Männern des Lagers für einen Drink hingaben.

Während ich an einem Sommertage am Außenposten Dienst machte, hörte ich plötzlich Trommelgeräusche. Dann kam eine Schar von etwa dreißig Indianern in Sicht. Frauen und Kinder waren darunter. Ich machte schnell das große Eisentor zu. Ein vierschrötiger Mann, der Führer zu sein schien, verlangte von mir das Tor zu öffnen. Als ich ihn nach dem Grund fragte, sagte er, sie wollten im Werk arbeiten und mit ihren Familien im Lager wohnen. Darauf sagte ich ihm, ich muss darüber mit dem großen weißen Chief vom Werk sprechen. Ich eilte zum Telefon und sprach mit dem Personalchef, dem wir unterstellt waren. Er befahl mir, auf keinen Fall das Tor zu öffnen. Ich erklärte ihm, dass sich auf beiden Seiten des Tores bereits Verkehr angesammelt hatte. Es war ein Dilemma. Öffnete ich das Tor, marschierten die Rothäute durch, aber der Verkehr wurde nicht aufgehalten. Der Personalchef sagte darauf, er würde die Polizei anrufen, die die Indianer zurückführen würden. Zwei Beamte der Royal Canadian Mounted Police erschienen kurz darauf

und sprachen zu dem Führer der Schar. Ich sah nur immer Kopfnicken und schließlich kam ein Polizist zu mir und erklärte, ich könne das Tor getrost öffnen, die Indianer würden nicht weiter Einlass begehren, weil sie sich dann wegen unbefugten Betretens strafbar machten. Sie hätten aber das Recht neben dem Tor ihr Lager aufzuschlagen. Das Problem war, dass es sich um Reservat Indianer handelte, die von der Provinzregierung mit allem versorgt wurden, solange sie im Reservat blieben. Wenn sie jedoch den Wunsch hegten, das Reservat zu verlassen, dann mussten sie dieses beantragen, und dann konnten sie anhand eines Ausweises Arbeit suchen. Allerdings hörte von dem Moment an jegliche Unterstützung auf. Diese Indianer waren nicht im Besitz eines solchen Ausweises und deshalb war es Arbeitgebern bei Strafe verboten, Indianer zu beschäftigen.

Inzwischen wurde ein großes Zelt errichtet, die Frauen und Kinder hatten Holz gesammelt und ein Lagerfeuer gemacht. Sie bildeten einen Kreis um das Feuer und begannen einen Singsang, der nie zu enden schien. Erst gegen Mitternacht, wie mir die Nachtschicht erzählte, wären die Erwachsenen endlich in das Zelt gegangen. Das ging zwei volle Tage so. Am dritten Tage erschienen Regierungsbeamte aus Winnipeg. Zuerst verhandelten sie mit dem Werk, das sich bisher geweigert hatte, auch Indianer mit Ausweisen einzustellen. Der Grund dafür war ihr vieles Trinken und ihre sprichwörtliche Unzuverlässigkeit. Es gelang den Regierungsbeauftragten jedoch die Kompanie zu bewegen, wenigstens einige der Männer einzustellen. Die Bedingung des Werkes war, dass die restlichen Mitglieder der Gruppe unverzüglich das Feld räumten und zum Reservat zurückkehrten. Dieses wurde befolgt und acht der Indianer wurden beschäftigt. Nachdem sie den ersten Lohn erhalten hatten, kamen sie nicht zur Arbeit. Erst als sie das Geld im Ort vertrunken hatten, wollten sie ihre Beschäftigung fortsetzen. Das war für das Werk die Gelegenheit, die Leute zu feuern, und wir hatten das Problem, sie gewaltsam aus dem Lager herauszubringen. Damit möchte ich dieses Kapitel beenden. Die Fortsetzung erfolgt im August.

Karl-Heinz Fricke 10.07.2006

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Der 4.Januar 1962 bedeutete für mich ein Neubeginn in unserer neuen Heimat Kanada. Ich hätte mir es mir nie träumen lassen, dass mich das Schicksal nach einigen Jahren in den kalten, fast unbewohnten und unwirtlichen Norden Manitobas verschlagen würde. Ich war nun ein Mitglied einer Polizeitruppe, die nicht mit anderen Sicherheitsorganisationen zu vergleichen ist. Über meine neuen Kollegen und deren Aktionen habe ich schon etwas verlauten lassen, was nicht immer meine Zustimmung fand. Allerdings musste ich einige Abstriche machen, denn die Verhältnisse in dem großen Lager konnte man schwerlich als zivilisiert bezeichnen. Außerdem war ich zu der Zeit noch deutscher Staatsbürger, weswegen ich nicht von den Lagerinsassen vor Begeisterung auf die Schulter geklopft wurde. Im Gegenteil, ich hörte böse Bemerkungen wie Gestapo, bloody German und schlimmere Worte, die nicht im englischen Wörterbuch verzeichnet sind. Im Gegensatz zu einigen Kollegen war es immer mein Bestreben, möglichst nicht mit Gewalt vorzugehen, was dann auch nach einigen Monaten meiner Betätigung von den Arbeitern und von der Führung des Nickelwerkes anerkannt wurde. Somit war ich ein Mitglied einer 18-köpfigen Gruppe, die nach Angaben des Werkes gewisse Aufgaben übernommen hatte, die strikt ausgeführt werden sollten und auch wurden. Wie nun einmal die Menschen verschieden sind, so sind auch die Dienst-Ausführungen und Auslegungen Einzelner unterschiedlich. Ich hatte meistens großen Erfolg mit meiner Methode mit Worten zu überzeugen, was ein Großteil meiner Kollegen nur mit den Fäusten, teils aus Rauflust und teils aus Unfähigkeit erreichen konnte.

Zwei Kollegen, ein früherer Staatspolizist, der dem Alkohol verfallen war, und ein junger, vierschrötiger Rauflustiger , waren wie siamesische Zwillinge immer zusammen, nur dass sie nicht zusammengewachsen waren. Sie hießen Gordon und Harry. Sie liebten Nachtdienst, weil sie neben ihren Runden durchs Lager ein wenig schlafen konnten, denn tagsüber saßen sie zusammen und tranken. Gordon war dafür bekannt, jeden Tag eine Flasche Whiskey zu verkonsumieren, aber nur an seinen Augen konnte man die ständige Trunkenheit erkennen. Jede Runde dauerte eine Stunde, dann hatte man bis zur nächsten Streife eine Stunde frei, in der die Beiden ihre Augen schlossen und laut schnarchten. Auf fast jeder Streife durch das Lager und auch durch die Baracken gab es für sie immer Gelegenheit Lagerinsassen zu provozieren, und wenn diese nicht stillschweigend das Feld räumten, wurden sie jämmerlich zusammengehauen.

Die Werksleitung verlangte, dass ein Tagesbericht mit Zeitangaben aller Ereignisse im Lager wahrheitsgemäss vorgelegt wurde. Es war nun mehr als auffällig, dass Gordon und Harry den Hauptteil dieser Berichte schrieben und es schien, dass nur sie ihre Pflicht taten, und wir anderen wohl fünf gerade sein ließen. Viele ihrer in die Maschine getippten Berichte, entbehrten das wirkliche Geschehen und oftmals waren es aufgebauschte Lügen, die ihre aggressiven Handlungen rechtfertigen sollten. Diese trug dazu bei, dass Dutzende von Lagerinsassen kurzerhand aus dem Lager gewiesen wurden und somit auch ihre Arbeitsstelle verloren hatten. Der Krug geht allerdings nur so lange zu Wasser bis er bricht, und als der Personalchef des Werkes verlangte, die beiden voneinander zu trennen, und in verschiedenen Schichten einzusetzen, da war es mit ihrer aggressiven Dienstausführung vorbei. Gordon, der Trinker, zog es vor, den Dienst augenblicklich zu quittieren. Harry durfte auch nicht mehr im Lager eingesetzt werden, und musste auch Tagdienst verrichten. Das gefiel ihm gar nicht. Es war vorauszusehen, dass er auch kurz über lang das Handtuch werfen würde, was er auch einige Monate später tat. Bis dahin wurde er hauptsächlich an den beiden Kontrollpunkten eingesetzt, deren Notwendigkeit ich hiermit beschreibe:

Kontrollpunkt 1, das kleine Pförtnerhäuschen am Eingang zum Werk, wurde immer von zwei Leuten besetzt. Die Hauptaufgabe war nur Befugten Eintritt zu gewähren. Das galt in erster Linie den Arbeitern, die auf Schicht gingen. Das Vorzeigen ihrer Metallmarke mit ihrer Beschäftigungsnummer darauf war Bedingung, durchgelassen zu werden. Bei der Vielzahl der Arbeiter und dem ständigen Kommen und Gehen, war es jedoch nie eine hundertprozentige Kontrolle, da ein Abzeichen auch von Unbefugten benutzt werden konnte, was allerdings nicht oft vorkam.

Wir hatten sehr darauf zu achten, dass kein Betrunkener seine Schicht antrat. Solchen Leute mussten wir den Zutritt verweigern, was nicht immer deren Zustimmung traf und zu unangenehmen Auftritten führte. Trotzdem gelang es immer wieder einigen im betrunkenem Zustand die Schicht zu beginnen, was dann dazu führte, dass wir den Betrunkenen von seinem Arbeitsplatz abholen mussten. Beim Verlassen des Werksgeländes wurden täglich etliche Arbeiter aufgefordert Kleiderbündel, Frühstücksbehälter usw. vorzuzeigen, da Werkseigentum laufend gestohlen wurde. Bei einem Bergmann fanden wir sogar Dynamitpatronen. Er beteuerte, dass er damit daheim auf seiner Farm Baumstümpfe zu entfernen beabsichtigte. Das große eiserne Tor musste immer geschlossen sein. Bei Fahrzeugen, die berechtigt waren ins Werksgelände zu fahren zu, musste sich der Fahrer mittels seiner Kennkarte ausweisen. Fahrzeuge, die das Werksgelände verließen, wurden ebenfalls auf Werkseigentum kontrolliert.

Der 2. Kontrollpunkt war am Anfang der Zugangsstraße zum Werk, etwa einen Kilometer entfernt. Unmittelbar darüber befand sich die Bahnlinie, die vom Werk zum Bahnhof führt und auf der das fertige Nickel in den Süden befördert wird. Hier galt es alle Personen, die zum Werk wollten, zu überprüfen. Wiederum die Beschäftigungs-Erkennungsmarke, oder ein Ausweis waren vorzuzeigen. Andere Personen, die angemeldet waren, durften ebenfalls passieren. Bei den 2500 Lagerinsassen die Bar und Bierhalle im Ort Thompson täglich besuchten, war es ein ewiges Rein und Raus. Auf dem Wege zum Ort wurden kaum Kontrollen gemacht, dagegen wurden Fahrzeuge, die das Lager und Werk anstrebten auf alkoholische Getränke, die im Lager nicht erlaubt waren, untersucht.

An diesem Kontrollpunkt machte ich an einem Sonnabend Nachtdienst mit Harry. Da lernte ich an ihm auch eine andere Seite kennen. Er konnte nicht nur brutal, sondern auch jovial und ein Spaßvogel sein. Allerdings überließ er mir meistens die Arbeit mit den Kontrollen, während er lang auf der Bank lag und schnarchte. Besonders an den Wochenenden war der Verkehr bis Mitternacht fast pausenlos. Die 20 Wagen der Taxikompanie waren im ständigen Einsatz. Privatautos gab es nur vereinzelt, weil noch keine Straße aus Thompson herausführte. Viele zogen es auch vor zu Fuss zu gehen, was bei grimmiger Kälte im Winter kein Vergnügen war. Nach Mitternacht wurde es dann sehr still, weil die Taxis keine Fahrten mehr machten.

Harry schnarchte immer noch und ich saß auf dem Hocker beim Fenster und starrte sinnend ins Dunkel. Plötzlich sah ich eine Gestalt, die sich torkelnd unserer Bude näherte. Ich trat vor die Tür und stand einem Indianer gegenüber. Da das Werk zu der Zeit keine Eingeborenen beschäftigte, wusste ich gleich, einen Unbefugten vor mir zu haben. Harry musste wohl etwas gehört haben und er übernahm sofort die Unterhaltung. Die stark betrunkene Rothaut wusste nicht, wie ihr geschah, als Harry sie mit "Willkommen mein roter Bruder", anredete. "Du bist sicher durchgefroren, tritt ein und wärme dich auf!" Im Laufe des abends hatte ich etliche Spirituosen jeglicher Art vorläufig beschlagnahmt, die mit dem Namen der Besitzer auf dem Fußboden in Reihe und Glied standen. Einige Flaschen waren schon angebrochen und andere waren noch versiegelt. Die Eigentümer des Alkohols waren berechtigt, ihre Flaschen innerhalb von 24 Stunden zurückzuverlangen, sie mussten sie allerdings außerhalb des Werksgeländes austrinken. Die Augen des Indianers waren auf die Flaschen fixiert und er fragte, warum sie da ständen. Harry hatte die Antwort bereit und sagte, das sei unsere Ration für diese Schicht. Da meinte der Rote, wir hätten aber einen guten Job, und seine nächste Frage war, ob er wohl bei uns anheuern könne. Harry sagte, er müsse gut trinken können, sonst wäre er nicht geeignet. Damit hätte er kein Problem, sagte der Indianer. Na, das wollen wir mal sehen, sagte Harry und reichte dem Indianer eine halbvolle Flasche mit Rum. Er setzte sie an den Mund, und wenn Harry nicht Einhalt geboten hätte, wäre die Flasche leer gewesen. Daraufhin bestätigte Harry der Rothaut seine Eignung. Nun wollte der Indianer wissen, wo er die Uniform bekommen würde. Er dachte, er wäre mit dem Trinktest bereits eingestellt. Er wurde auf die Bahnstrecke, die ins Werk führte, verwiesen, dieser bis ins Werk zu folgen. Am Ende der breiten Werksstraße befände sich unser Kontrollpunkt und dort müsse er sich melden. Sogleich setze sich der Rote auf den Schwellen in Marsch. Ich hatte meine Bedenken, denn es herrschten immerhin mindestens -35̊ C und betrunkene Indianer wurden oft Opfer der Kälte. Harry meinte, Besorgnis sei nicht angebracht, denn noch immer gälte der Spruch: "Ein guter Indianer ist ein toter Indianer". Das war wieder Harry’s Schattenseite. Er hatte seinen Spass mit dem Kerl gehabt und was nun weiter mit ihm geschah, störte ihn nicht. Als wir morgens jedoch den Tagesbericht lasen, hielten wir uns den Bauch vor Lachen. Der Indianer hatte es tatsächlich geschafft den Kontrollpunkt zu erreichen. Der Bericht las sich ungefähr so: Um 5:30 Uhr kam eine männliche Person aus dem Werk zum Kontrollpunkt. Es war unerklärlicher Weise ein Indianer, der stark betrunken lallte, er wolle eine Uniform haben. Weiter war aus dem Mann nichts herauszukommen. Ende des Reports. Glücklicherweise war der Rote zu betrunken, um sich auf uns zu berufen.

Auch andere Indianer aus den umliegenden Reservaten hatten Thompson entdeckt. Sie marschierten meilenweit durch den Busch, um an die "Tränke" im Ort zu gelangen. Man sah sie in den Sommermonaten überall betrunken herumliegen. Auch Frauen, die Squaws, waren darunter, die sich den sexhungrigen Männern des Lagers für einen Drink hingaben.

Während ich an einem Sommertage am Außenposten Dienst machte, hörte ich plötzlich Trommelgeräusche. Dann kam eine Schar von etwa dreißig Indianern in Sicht. Frauen und Kinder waren darunter. Ich machte schnell das große Eisentor zu. Ein vierschrötiger Mann, der der Führer zu sein schien, verlangte von mir das Tor zu öffnen. Als ich ihn nach dem Grund fragte, sagte er, sie wollten im Werk arbeiten und mit ihren Familien im Lager wohnen. Darauf sagte ich ihm, ich muss darüber mit dem großen weißen Chief vom Werk sprechen. Ich eilte zum Telefon und sprach mit dem Personalchef, dem wir unterstellt waren. Er befahl mir, auf keinen Fall das Tor zu öffnen. Ich erklärte ihm, dass sich auf beiden Seiten des Tores bereits Verkehr angesammelt hatte. Es war ein Dilemma. Öffnete ich das Tor, marschierten die Rothäute durch, aber der Verkehr wurde nicht aufgehalten. Der Personalchef sagte darauf, er würde die Polizei anrufen, die die Indianer zurückführen würden. Zwei Beamte der Royal Canadian Mounted Police erschienen kurz darauf

und sprachen zu dem Führer der Schar. Ich sah nur immer Kopfnicken und schließlich kam ein Polizist zu mir und erklärte, ich könne das Tor getrost öffnen, die Indianer würden nicht weiter Einlass begehren, weil sie sich dann wegen unbefugten Betretens strafbar machten. Sie hätten aber das Recht neben dem Tor ihr Lager aufzuschlagen. Das Problem war, dass es sich um Reservat Indianer handelte, die von der Provinzregierung mit allem versorgt wurden, solange sie im Reservat blieben.Wenn sie jedoch den Wunsch hegten, das Reservat zu verlassen, dann mussten sie dieses beantragen, und dann konnten sie anhand eines Ausweises Arbeit suchen. Allerdings hörte von dem Moment an jegliche Unterstützung auf. Diese Indianer waren nicht im Besitz eines solchen Ausweises und deshalb war es Arbeitsgebern bei Strafe verboten, Indianer zu beschäftigen.

Inzwischen wurde ein großes Zelt errichtet, die Frauen und Kinder hatten Holz gesammelt und ein Lagerfeuer gemacht. Sie bildeten einen Kreis um das Feuer und begannen einen Singsang, der nie zu enden schien. Erst gegen Mitternacht, wie mir die Nachtschicht erzählte, wären die Erwachsenen endlich in das Zelt gegangen. Das ging zwei volle Tage so. Am dritten Tage erschienen Regierungsbeamte aus Winnipeg. Zuerst verhandelten sie mit dem Werk, das sich bisher geweigert hatte, auch Indianer mit Ausweisen einzustellen. Der Grund dafür war ihr vieles Trinken und ihre sprichwörtliche Unzuverlässigkeit. Es gelang den Regierungsbeauftragten jedoch die Kompanie zu bewegen, wenigstens einige der Männer einzustellen. Die Bedingung des Werkes war, dass die restlichen Mitglieder der Gruppe unverzüglich das Feld räumten und zum Reservat zurückkehrten. Dieses wurde befolgt und acht der Indianer wurden beschäftigt. Nachdem sie den ersten Lohn erhalten hatten, kamen sie nicht zur Arbeit. Erst als sie das Geld im Ort vertrunken hatten, wollten sie ihre Beschäftigung fortsetzen. Das war für das Werk die Gelegenheit, die Leute zu feuern, und wir hatten das Problem, sie gewaltsam aus dem Lager herauszubringen. Damit möchte ich dieses Kapitel beenden. Die Fortsetzung erfolgt im August.

 

Karl-Heinz Fricke 10.07.2006

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.07.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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