In meinem Arbeitszimmer steht ein Karton mit Erinnerungsstücken an einprägsame berufliche Ereignisse. Eigentlich ist es die falsche Aufbewahrungsstelle, denn es sind längst private Angelegenheiten geworden.
Damals glaubte ich, es würde immer so weiter gehen und bei einer Prophezeiung, dass ich wenigstens einen jener Tage herbeisehnen könnte, hätte ich sicher ungläubig gelacht.
Zuerst war ich Textil-Designerin und danach wurde ich Lehrerin. Als solche radelte ich alltäglich durch die britische Siedlung, die auf dem Weg zu meiner Schule lag. Dort wohnten auch Lehrer der Gesamtschule, an der ich gerne im Austausch unterrichtet hätte. So schrieb ich an die britische Behörde und bekam eine Absage. Deutschen Lehrern sei das nicht gestattet.
Eines Tages reichte man mir in der Siedlung Zettel mit Namen und Telefonnummer des Rektors meiner favorisierten Schule über einen Gartenzaun. Nun ging es plötzlich doch! Gegenseitige Besuche ebneten den Weg zum Austausch, zuerst mit Clifford und dann mit Christopher, dem Fachleiter für Deutsch. Fußballturniere und Schülerbesuche wurden organisiert.
Am schönsten aber waren die Feste, zum Beispiel die „Roman Night“, wir waren als „Römer“ alle in weiße Tücher gehüllt! Sommerfeste, Theateraufführungen und das obligatorische Glas Guinness freitags nach dem Unterricht, an der schuleigenen Bar, werden mir unvergesslich bleiben.
Mit Daniele, einer Französin, freundete ich mich an und wir unternahmen viel. Ihr Mann war „Head of Lower School“.
Julian, Fachleiter für Englisch, wollte die Sprache seines Gastgeberlandes lernen, so begannen wir mit Deutschsstunden im gemütlichen Reihenhaus, in dem er mit Rose und den Kindern, Tür an Tür mit Daniele, lebte. Die Reihenhäuser fand ich viel verspielter als die gewohnten und ich wurde dort immer mit herzlicher Gastfreundschaft empfangen.
Das Kollegium bestand aus ca. 50 Lehrkräften und viele von ihnen wuchsen mir mehr ans Herz als ich jemals vermutet hätte.“Du bist eine von uns“ sagte Chris, als ich einmal „aufkreuzte“. Das tat ich immer, wenn ich die Gelegenheit dazu hatte.
Dann wurde alles ganz anders. Viele strebten das Umziehen an. John, der Rektor, nahm eine Schulleiterstelle bei der Kimberley School in England an, wohin ich zu einem dreiwöchigen Gastlehrerinnenjob reiste. Einer nach dem anderen wanderte ab, manche gingen an „Boarding Schools“ in Nordrhein-Westfalen, einige zurück nach England, aber der „Renner“ war eine Schule in Hongkong. In dieser Aufbruchstimmung fragte ich: “Warum?“ „Manchmal kommt der Tag, da muss man gehen!“ war eine der Antworten.
Gegenseitige Besuche mit Schülern arrangiere ich gelegentlich. Das ist zweifellos immer schön. Trotzdem ist es nicht mehr dasselbe für mich. Die Kollegen aus Hongkong sind jetzt in England und meine engsten Freunde bereits in der Frühpension, während ich weiter an einer deutschen Schule unterrichte.
Manchmal kommt der Tag, da muss man gehen und ich bin inzwischen selbst umgezogen. Die Häuser der Siedlung stehen noch, ich sehe sie selten, weil ich jetzt auch in einem anderen Ort lebe. Vielleicht ist das gut so, denn durch neue Familien wurde die alte Atmosphäre verwandelt. In eine, mit der ich nichts mehr zu tun habe. Manchmal kommt aber auch der Tag, da schaue ich auf das Kollegiumsfoto von damals. Dann vermisse ich zu viele vertraute Gesichter und das schmerzt.
© Sonja Nic Rafferty ~ 27. Juli 2006