Kathrin Balko

Sand in my shoes

Eine glutrote Sonne stand am Horizont, bereit unterzugehen. Von rotgelben Wölkchen begleitet war sie kurz davor mit ihrem Verschwinden im Meer den Tag zu beenden. Am Strand sah eine faszinierte Beobachterin ihr dabei zu, wie sie ihren letzten Gang für diesen Tag antrat. Als das Spektakel beendet war, starrte sie für einige Minuten zum immer noch geröteten Horizont. Nur mühsam konnte sie sich von dem Anblick lösen. Seufzend machte sie sich wieder auf den Weg. Begleitet wurde sie von den immer wieder am Strand aufschlagenden Wellen. Nach einigen Schritten ganz in Gedanken versunken, entschloss sie sich den Wellen zu zusehen. Zeit hatte sie dafür genug. Darum setzt sie sich in den Sand und vergrub ihre nackten Füße in diesem. Ihre Schuhe hatte sie achtlos neben sich in den Sand geworfen. Nach einigen Minuten, die sie das Hoch und Runter Wellen betrachtete, versank sie in einer Traumwelt aus Erinnerungen.

Das Wasser hatte sie an eine Zeit vor vielen Jahren erinnert. Damals war sie mit ihren Freunden im städtischen Freibad gewesen. Sie waren geschwommen, hatten rumgealbert und Frisbee gespielt. Am meisten hatte sie mit ihrer besten Freundin gelacht. Am Ende des Klassenausfluges blieb nur eine kleine Gruppe zurück. Ohne Aufsicht der Lehrer fing der Spaß erst richtig an. So klauten sie einem Freund die Batterien aus seinem Discman und lachten anschließend, weil er wütend auf diesen Einschlug. Jede mit einer Batterie in der Hand rannte lachend in eine andere Richtung als er den Grund für seinen stummen Discman erkannte. "Gebt mir sofort diese verdammten Batterien zurück!" Doch sie hatten nur mit einem schadenfrohen Kichern geantwortet, immer bereit loszulaufen. Das Spiel endete damit, dass ihre Freundin lachend am Boden lag, weil sie vom Geschädigten gekitzelt wurde, der versucht hatte die Batterie wieder zubekommen. Sie selbst stand nur daneben und kam sich fehl am Platz vor. Ihr schenkte keiner mehr Beachtung, obwohl sie noch ihre Batterie in der Hand hielt. Beleidigt und auch ein bisschen wütend, umklammerte sie diese immer fester. Schon oft hatte sie sich gefragt, warum sie andauernd bei den Ideen ihrer Freundin mitmachte. Es hatte  doch eh jedes mal auf die selbe Art und Weise geendet. Keiner schenkte ihr Beachtung.

Geringfügige Beachtung. Dieser schmerzvolle Gedanke rief eine andere Erinnerung wach. Einige Jahre nach den Ereignissen im Schwimmbad waren alle ihre Freunde in festen Händen. Die Mädchen hatten einen Freund und die Jungs eine Freundin. Manchmal überschnitt es sich sogar im Freundeskreis. Sie war stattdessen die ganzen Jahre ungebunden geblieben. Vielleicht mal eine Schwärmerei oder der Glaube an Liebe, aber nie etwas ernsthaftes. Das hatte zur Folge, dass meistens nur in den Pausen, vor allem den kurzen, Zeit für den Klatsch und Tratsch unter Freundinnen war. Die Jungs sahen sie in der Zwischenzeit mit anderen Augen. Sie war halt ein Mädchen. Die früher üblichen tiefgreifenden und persönlichen Gespräche blieben aus. Für Unternehmungen war sowieso keine Zeit mehr. "Heute Nachmittag? Schwimmen? Nein, sorry keine Zeit." Begleitet wurden diese Absagen immer wieder von einem verzweifelten Blick und in sicherer Entfernung folgte ein Seufzer. Das gleiche galt jedoch auch für die Freundin mit der sie damals soviel Quatsch angestellt hatte. Gespräche über persönliche Dinge und Probleme fanden keine Platz mehr, denn ohne den Geliebten ging gar nichts. Also wurden zeitweise andere Wege gefunden solche Probleme zu wälzen. Brief. Mail. Notfalls auch das Telefon. Dank dem Freund wurden auch die Wege nach Hause von Belanglosem begleitet. Wenn sie genauer darüber nachdachte, musste sie Jahre später sogar zugeben, dass sie nur daneben lief ohne angesprochen oder gar beachtet zu werden. Wie eine Bekannte oder doch eher Fremde, die zufällig den gleichen Weg hatte.

Fremd kam sie sich in den daruffolgenden Jahren und Monaten immer öfter vor. Wo sie am Anfang noch zu jeder sich bietenden Gelegenheit umarmt und geknuddelt wurde, konnte sie sich dann über ein einfaches und unbestimmtes "Hallo" glücklich schätzen. Mit der Zeit hatte sie sogar diese eigentlich gehassten Umarmungen vermisst. In den Pausen kamen die Freunde nur noch um die dringend benötigten Hausaufgaben abzuschreiben und nicht für ein Pläuschchen. "Hast du die Aufgabe in Mathe verstanden? ... Super, kann ich haben? Seh sie nachher durch." Zu früheren Zeiten wurden diese noch gemeinsam bearbeitet. Während sie die Aufgaben für spätere Tage und manchmal auch Stunden durchging, waren die meisten Rauchen, Shoppen oder Essen. Wenn einer sich damit beschäftigte, reichte das völlig. In der Schule bekam der Jugendliche nun mal auch effizientes Arbeiten beigebracht. Aber nicht nur bei diesen Gelegenheiten war sie nur sich selbst überlassen, auch der, vor Urzeiten noch mit Lachen erfüllte, Heimweg war nun still und einsam. Völlig allein machte sie sich täglich auf in eine andere Welt, fern des Schulalltages.

So ist es jetzt schon eine ganze Weile, nur mit dem Unterschied, dass sie nun auch in anderen Städten lebten. Zu keinem bestand mehr Kontakt, als wenn es diese Zeit nie gegeben hätte. Auch ihre neue Welt sah nicht besser aus. Allein war sie in den wohlverdienten Urlaub gefahren mit der Gewissheit, dass es keinen gab, der auf sie wartet.
Aus ihren Gedanken erwacht, sah sie noch einmal dahin zurück, als die Welt für einem Moment in Ordnung war. Während des Sonnenuntergangs. Erstaunt stellte sie fest, dass ihre Spuren im Sand verschwunden waren. Bis ihr einfiel, dass der Wind und das Wasser alles verwischt hatten. Wie zur Bestätigung wehte ihr eine Böe durch das lange blonde Haar. Unbewusst stahl sich ein Lächeln in ihr Gesicht. Spontan kam ihr der Vergleich in den Sinn, dass ihre Freunde aus ihrem Leben verschwunden waren wie die Spuren im Sand. Langsam, aber sicher. Nichts blieb zurück als eine schwache Erinnerung. Für den Strand hieß das ein paar zusammen gedrückte Sandkörner. Für sie hieß es ein stechender Schmerz im Herzen, der sich immer mal wieder den Weg nach draussen bahnte.
Mit diesem traurigen Gedanken beladen, erhob sie sich und klopfte sich den Sand von ihrem langen blaugeblümten weißem Sommerkleid. Vorsichtig zog sie ihre hellblauen Flipflops aus dem Sand und pustete behutsam den Sand herunter. Nachdem sie ihre Schuhe angezogen hatte, ging die junge Studentin andächtig den Strand entlang und verschwand hinter einer Biegung. Nur für einige Minuten erinnerten noch ihre Spuren im Sand an ihren Besuch und die dabei durchlebten Erinnerungen. Bis auch sie wieder von Wind und Wasser verschluckt wurden ...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.08.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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