Luki K

Gestern war ich mal wieder in der Stadt

 
 
PROLOG
 
Es gibt zwei Sorten Menschen.
Die einen bleiben stehen und schwatzen mit dem andern. Andere lächeln kurz – oft nicht herzlich, sondern abschätzend – und stampfen weiter.
 
Der erste bleibt also stehen und nimmt mein Gespräch auf, bringt es vielleicht auf politische Bahnen, redet also über aktuelle Geschehnisse im Bundeshaus oder über Amerika, was ich eigentlich nicht gut finde.
Ich sage immer, Politik in dieser Welt kann man mit einem Zirkusclown in einem Leicheninstitut vergleichen – beides ist fehl am Platz.
Aber ich freue mich trotzdem, dass der nette Herr stehen bleibt, dass bei ihm das Wort Gespräch im Wortschatz noch vorhanden ist. Ich freue mich, und rede mit ihm.
Und dann, gerade mal fünfzehn Minuten später dieses kurze Lächeln, kalt wie Eis. Nicht einmal ein „Grüezi“ oder einen netten Blick, eine nette Geste.
Einfach rein gar nichts.
 
 
 
EINS
 
Gestern war ich mal wieder in der Stadt.
In einer richtig grossen, so mit allem was dazugehört: Einkaufshäuser, voll gestopfte Strassen mit Abgasspendenden Autos, gestresste Leute die sich mit grossen Plastiktaschen durch die Menge zwängen um schnellstmöglich zum nächsten Geschäft zu kommen, blinkende Schilder die Rabatte und Aktionen ankündigen.
 
Ich war gestern in die Stadt gegangen, weil meine Hose schon ziemlich alt ausschaut, ich weiss nicht mehr, wann ich sie gekauft habe, vor zehn Jahren vielleicht, aber sicher erst nach meiner Hochzeit. Auf alle Fälle musste ich mich in diesem Kleiderladen mal richtig ordnen, wieder erkennen, dass es Gestelle gibt, mit Kleidungsstücken und Preisschildern, eine Kasse, wenig Platz, der noch frei gewesen wäre.
 
Und dann waren da natürlich noch diese Umkleidekabinen.
Schnäppchenjagende, gierig dreinschauende Personen nehmen meistens mehr Kleidungsstücke in diese Holzwände, als es erlaubt wäre. Manchmal blockieren sie minutenlang ein Abteil, sie müssen sich die Hose ja zuerst ausziehen, damit sie eine andere anziehen können, um dann doch die erste nochmals überzustreifen. Welche passt wohl am besten zur blauen Bluse? Oder sollte ich nicht doch besser das rote Hemd nehmen, ein schönes straffes Shirt drunter und dann die Hose, die gleich beim Eingang lag?
 
Wenn sie dann die Kabinen verlassen und ich aufatme, damit ich endlich meine eine Hose anprobieren kann, schaue ich ungläubig in das kleine Räumchen. Die soeben probierten Kleidungsstücke liegen noch drin. Sie wird wohl gleich wieder kommen, mit einer neuen Hose, die dann vielleicht zum roten Oberteil passt. Mein Gott! Alles liegt noch in der Kabine, nicht ordentlich aufgehängt, zwei Sachen sogar am Boden. Nur ihre Handtasche hat sie mitgenommen.
 
Zugegeben, meine Hose passt mir nicht wirklich, aber ich halt' es einfach nicht mehr aus. Ich schreite mit zielstrebigen Schritten Richtung Kasse, um endlich dieses Gebäude verlassen zu können. Jetzt hab ich ja, was ich will.
Auf dem Weg zur Theke sind saubere Hemden gepflegt auf einem kleinen Möbel gestapelt, als ob sie mich mit der Ordentlichkeit überzeugen könnten, doch noch eines zu kaufen.
Dabei hab ich ja schon fünf zu Hause, und sogar noch ein schönes, das für Sonntag, und die Feste.
 
Draussen! – und dann gleich der nächste Ärger:
Auf der gegenüberliegenden Strassenseite wurde aus dem dritten Stock, dort wo die Wohnungen sind, eine Flagge rausgehängt. Wie könnte es anders sein, es ist diejenige von Italien.
Mein Gott! Ja, Italien ist Weltmeister. Ja, Italien ist eine tolle Fussballnationalmannschaft. Und ja, ja, ja sie sind die Besten.
Aber wir wissen es, die ganze Welt weiss es! Wie lange will dieser Typ die Flagge noch hängen lassen, vielleicht zwei Jahre? Wahrscheinlich lässt er sie darum draussen, weil er weiss, dass sein Land in zwei Jahren auch noch Europameister wird. Dann muss er die Flagge ja zwischenzeitlich nicht wieder mit rein nehmen…
 
Gleich daneben, an einer kahlen Hauswand prangt mit braungrauer Farbe quer über die Mauer gesprayt das Wort „Fuck“.
„Fuck“. Das ist ja eine supertolle Mitteilung, die uns dieser Sprayer da rüberbringt. Scheisse.
Toll. Wennschon, denn schon. Ich meine, vielleicht ein „Fuck Blocher“ oder ein „Fuck Deutschland“, damit man auch erkennt, was der Sprayer von der Welt hält. Dass er sie sowieso Scheisse findet, darauf wären wohl die wenigsten gekommen…
 
Von weit her sind Sirenen zu hören, die immer lauter werden. Einige Meter von mir entfernt rasen zwei Ambulanzwagen Richtung Westen. Alle bleiben stehen, wenden sich zur Strasse um ja alles sehen zu können, um zu gucken, wie diese beiden Fahrzeuge mit hohem Tempo vorbeischnellen.
Als ob sie noch nie in ihrem Leben einen Krankenwagen gesehen hätten!
 
Ich gehe kopfschüttelnd weiter, gehe nach Norden, dort, wo die Stadt aufhört, und die andere Stadt beginnt.
Die Altstadt liegt vor mir, mit einem wunderschönen, Blauspiegelndem See und einer mächtigen Statue, die irgendeine geschichtlich historische Person darstellt. Kaum spaziere ich durch das grosse Tor am Ende der Stadt ist’s ruhig, fast beängstigend still. Und kaum sind keine SALES- und 50%-RABATT-Schilder mehr an den Geschäften angebracht, bin ich fast die einzige Person auf den Strassen.
 
Die Leute hier grüssen freundlich, ein alter Mann blieb sogar stehen und hielt ein Schwätzchen mit mir. Er plauderte über das Wetter und über George W. Bush.
 
Ich fand es amüsant.
 
 
 
ZWEI
 
Gestern war ich in der Stadt. Ich wohne etwas ausserhalb, in einer Viertelstunde zu Fuss bin ich im Zentrum. Ich lasse mich vom Buschauffeur dorthin fahren, er ist zwar schon etwas älter, der Herr heute, aber gefallen täte er mir trotzdem noch… Beim Einsteigen guckt er mir auf den Hintern und ich lächle still in mich hinein. Männer.
 
Es ist der letzte Tag, an dem die Sommerkleider noch für den halben Preis, oft auch für sage und schreibe 70% zu haben sind! Einen Minirock mit Sandaletten habe ich sogar gratis bekommen, weil ich zwei weitere Röcke der gleichen Sorte auch noch gekauft habe! Ist das nicht toll?!
 
Mein Schwager hat mal ironischerweise gesagt, dass ich die Hälfte meiner Kleider sowieso nie trage.
Na und?!
Immerhin besser als er. Trägt oft das gleiche Hemd, wenn wir uns sehen. Jedes mal an Ostern oder Weihnachten, oder an Geburtstagen seiner Kinder, immer das gleiche Outfit.
Obwohl – Outfit, ist nicht gerade das richtige Wort… Ein oranges Hemd, alle Knöpfe zu, mit Streifen, die etwas heller sind. Orange!
 
Nachdem ich ein Kaffee im JPORKE getrunken hatte - einem türkischen Laden mit wahnsinnig charmanter Bedienung - ging ich schnurstracks zu meinem Lieblingsladen. Dort arbeiten zwar keine Typen, aber die Kleider sind ausgezeichnet! So modisch. So genial, einfach unglaublich halt.
 
Als ich wieder aus dem Laden trat, sah ich zwei Krankenwagen in Richtung Kino fahren. Was wohl passiert ist? Wahrscheinlich ist irgendein Idiot in eine Strassenlaterne gefahren und sitzt nun eingeklemmt zwischen Steuerrad und Tür, weil er einige Stundenkilometer zu schnell unterwegs war. Ach, was soll’s, ich werde es morgen lesen, es wird wohl in der Zeitung stehen.
 
Mit einigen Plastiktüten bedeckt wollte ich mich auf den Heimweg machen und bemerkte an der Bushaltestelle, dass mir der Bus direkt vor der Nase weggefahren ist! Lachsfressender Wichser, dieser notgeile Fischkopf!
 
Pessimistisch nehme ich den Weg nach Hause unter die Füsse – der nächste Bus kommt erst in einer knappen Stunde und solange kann ich nicht warten. Wo soll ich denn die Zeit zum Vorbereiten des Abends hernehmen?
 
Kurz vor meiner Haustür sass ein alter Mann auf einer Bank und lächelte mich fröhlich an: „Schönes Wetter, nicht wahr?“
Ich lächelte frostig zurück, ich hasse solche Typen. Ganz ehrlich jetzt, diese Penner haben doch den ganzen Tag Zeit, auf irgendeiner Bank zu sitzen und den Leuten zu erzählen, dass heute schönes Wetter sei… Ich sehe es auch selber!
 
 
 
EPILOG
 
Es gibt zwei Sorten Menschen.
Die einen, die in die Stadt gehen, um zu überleben. Andere, die leben, um in die Stadt gehen zu können.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.08.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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