Marina Janzi

Frei!

Es ist Mitte Juli. Von der Kirche aus wurde für etwa 250CHF eine Woche Ferien in Italien organisiert .Ich und meine beiden Freundinen schlendern am Strand entlang. Es ist Abend, in einer Stunde würde man die Sonne nicht mehr sehen. Ich bin das erste Mal am Meer, doch nur die unendliche Weite des Meeres fasziniert mich, ansonsten ist es nichts spezielles. Der Rest der Gruppe ist sich wohl wieder am besaufen und verpasst den Sonnenuntergang. Wir streiten uns mit einem Jungen, der etwas von uns will und angeblich nur italienisch kann. Sein Kollege kommt hinzu. Und obwohl ich nie Italienisch in der Schule oder sonst wo hatte, verstehe ich was er will. Wir stehen mit dem Rücken gegen das Meer, ich muss grinsen und sage auf Englisch 'I know what he want', ich bin mir sicher er versteht das. Dann sage ich meinen beiden Freundinen leise auf deutsch, was er vorhat. Die Sonne ist inzwischen fast nicht mehr zu sehen.Sie lachen, nicken mit dem Kopf und streiten weiter - auf unterhaltsame Weise. Mir wird es zu dumm, und gehe zwei, drei Schritte von ihnen weg, drehe mich gegen das Meer und wate langsam aber sicher ins Wasser. Ich habe eine Fahne von Kanada halbiert und sie mier um die Hüfte gebunden.
Ich stehe knöcheltief im Wasser, merke wie die Flut kommt, sich die Wellen wieder langsam zurückziehen bis ich nur noch auf dem Nassen Sand stehe. Ich gehe noch zwei kleine Schritte weiter. Das warme Salzwasser umspült meine Beine. Der Sand scheint unter meinen Füssen zu zergehen. Hier und dort sehe ich ein paar kleine, schimmernde Quallen. Ich verschränke die Arme ganz locker. Schaue auf den weissen Schimmer des Mondes auf dem kühlen Nass. Hundert Meter vor dem Strand sind die Wellenbrecher, wo wir noch heute Nachmittag waren. Ich schaue weiter hinaus, auf den Horizont, den es nicht gibt. Das Lachen und andere laute verschwinden in den Hintergrund bis ich sie nicht mehr wahrnehme. Ich höre nur noch das Rauschen des Meeres, schaue nur auf den Horizont, woran man leicht erkennen kann, dass die Erde rund ist. Ein Schaudern geht durch meinen Körper. Diese unendliche Weite! Langsam treten mir Tränen in die Augen und ich denke 'er wird das nie mehr so sehen können wie wir, nur noch von oben'. Nie mehr, nie mehr, nie mehr... diese Worte gehen mir durch Mark und Bein, ich höre sie noch lange in den Ohren, bis sie ganz verklingen und ich wieder nur das Rauschen des Salzwassers wahrnehme. Vor nicht ganz einem Jahr ist er bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sein Teamkollege, sein bester Freund ist gefahren. Ich mache niemandem Vorwürfe, denn es war ein Unfall. Ich kannte beide nicht. Einer werd ich mit Bestimmtheit nie kennen lernen. Ich schaue auf den Horizont, wie die Dunkelheit hereinbricht, die letzten Sonnenstrahlen aufs Meer fallen und bin frei! Ich stehe einfach da mit verschränkten Armen, mit Tränen die mir über die Wangen laufen, den verschleierten Blick aber starr auf den Horizont gerichtet. Manchmal mit einem langen Blick in den Himmel. In meinem innern zerreisst es mich fast. Frei! Ein Gefühl, das man nur versteht, wenn man es selbst erlebt hat. Ein Kribbeln im Bauch, als wäre man verliebt. Man vergisst alles ringsum, man sieht nur die beeindruckende Ferne, das Meer, hört die Wellen rauschen und man konzentriert sich nur auf einen kleinen wichtigen Teil im Leben. Ich denke an den Fahrer. Er ist ein Star, einer der Besten in seinem Fach und er wird den Rest seines Leben mit dem Gedanken leben müssen, dass er seinen besten Freund umgebracht hat. Doch es war ein Unfall. Mein Herz springt auf und ab, wenn ich an die beiden denke. Ich sehe ihre Gesichter vor meinen Augen. Ich kenne die beiden nicht, doch ich liebe sie. Ich liebe den Fahrer nicht so wie ich den Toten liebe, ich liebe ihn nicht weniger, vielleicht sogar mehr. Nur nicht auf dieselbe weise. Ich weiss, dass er seinem Freund vergeben hat und ich hoffe, dass er ihn beschützt wo er nur kann. Noch einmal schaue ich in den mit leichten Wolken überzogenen Himmel. Ich schaue durch eine Lücke zwischen den Wolken und kurz leuchtet etwas Helles dahinter auf. Es ist ein Zeichen von ihm, ich spüre, dass er da ist, ich spüre, dass ich einen Menschen lieben, den ich nie kannte und trotzdem schickt er mir ein Zeichen. Tränen steigen mir wieder in die Augen, aber ich lächle, ich weiss nun, dass er seinen Freund beschüzt und über mir wacht. Langsam dringen wieder Worte an mich, die Intensivität des Rauschen des Meeres nimmt ab, das Wasser spült wieder Sand um meine Beine. Ich drehe mich um und gehe zu meinen Freundinen und den beiden Italiener zurück, die die Jungs in dem Moment endgültig abwimmeln konnten.. Wir drei gehen wieder weiter den Strand entlang, lachen, toben, spritzen das feuchte Nass umher, betrachten die toten, angespülten Quallen. Die Sonne ist vor einiger Zeit untergegangen, dafür scheint der Mond, der viel Licht über das Salzwasser und die Strände wirft. Wenn ich während dem toben aufs Meer schaue, lächle ich willkürlich und trotzdem traurig. Ich bin wieder zurück im Alltag, auf der Erde. Wie schon vor den Ferien, werde ich auch dannach jeden Tag an die beiden Jungs denken. Und werde in diesen Momenten Frei sein! Einfach Frei!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.08.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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