Norbert Wittke

Der Güttgemann

 
Zu Beginn meiner Ausbildung als Finanzanwärter kam ich im
Dezember 1963 auch auf die Finanzkasse des Ausbildungs-
finanzamtes. Dort lernte ich ihn kennen. Er war Buchalter
und sollte mir die hohen Künste der finanzamtlichen Kassen-
buchhaltung vermitteln.
 
Ein Kerl von einem Baum, stämmig und dabei 2,04 m groß.
Davon waren mindestens 54 cm der Eingrenzung seines Gehirn-
kastens vorbehalten. Ich mit meinen 1,71 m wirkte daneben wie
ein Zwerg.
 
Von Berufung war er Dichter, und da damit keiner seinen
Lebensunterhalt bestreiten kann, hatte er notgedrungen diesen
Beruf gewählt. Von etwas muss der Mensch  ja schließlich
leben. Übrigens habe ich sehr viel später erfahren, dass er nach
Aufstieg in die gehobene Beamtenlaufbahn noch eine gute
Karriere gemacht hat und sogar noch Kassenleiter wurde.
 
Er schrieb Gedichte, Prosa und versorgte verschiedene Kabaretts
mit Texten. Seine Art der Dichtung musste dem Surrealismus
zugerechnet werden, einer manchmal irrealen und absurden
Ausdruckskraft.
 
Den Unterschied möchte ich so erklären:
Der Realismus ist, wenn ein Buchhalter Dichter ist., der Surrea-
lismus dagegen, wenn ein Dichter Buchhalter ist. Surrealismus
ist der Fliuchtweg, der einem Realisten offensteht, wenn er an
der Wirklichkeit zweifelt.
 
Er war nun mein Einweiser. Mit Energie und Mut, die einem
Dichter in der heutigen Zeit eigen sein müssen, stellte er mich
dem Finanzkassenwesen gegenüber und kämpfte mit mir durch
einen schier unübersehbaren Wust von Papier und Drum und Dran.
Die Hilfsmittel wie Buchungsautomaten waren damals noch hoff-
nungslos überaltert und stammten aus den Dreißiger Jahren.
 
Unter seiner Anleitung setzte ich mich mit Todesverachtung
eines sich selbst verleugnenden Finanzanwärters mit dem Riesen-
gehalt von DM 323 brutto (1963) mit dem nach meinem Ein-
druck unübersehbaren Wirrwarr auseinander. Damit ich nicht
im Papierkram ersoff, hielt er mich sinnbildlich am lang ausge-
streckten Arm fest, damit die Papiere nicht über mir zusammen-
schlugen.Mutig suchten wir gemeinsam verschwundene Soll-
karten, die sich verschworen hatten und im Untergrund des
Aufruhrs untertauchten. Wehe wenn wir eine wiedergefunden
hätten. Wir hätten wahrlich ein Exempel statuiert und sie zur
Warnung für alle anderen vernichtet.
 
Dieser Güttgemann war als Dichter ein Fixstern am im Wohl-
stand erloschenen Dichterhimmel der deutschen Gegenwart.
Ich war gerne bei ihm. Gemeinsam probierten wir Themen zu
Gedichten und ihre unterschiedliche Interpretation aus. Es war
eine fruchtbare Zusammenarbeit. Es hätte noch mehr werden
können, wenn uns die blöden Sollkarten nicht  daran gehindert
hätten.
 
Auch nach dem wir uns aus den Augen verloren haben, habe ich
immer wieder gerne an diese Zeit zurückgedacht.
 
 
 
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Norbert Wittke).
Der Beitrag wurde von Norbert Wittke auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.08.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

Bild von Norbert Wittke

  Norbert Wittke als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Arbeitslos ins Paradies von Ralf D. Lederer



Arbeitslos ins Paradies? Eigentlich ein Widerspruch in sich. Dennoch ist es möglich. Dieses Buch erzählt die wahre Geschichte eines schwer an Neurodermitis erkrankten und dazu stark sehbehinderten jungen Mannes, der sein Leben selbst in die Hand nimmt und sein Ziel erreicht. Er trennt sich von den ihm auferlegten Zwängen, besiegt seine Krankheit und folgt seinem Traum trotz starker Sehbehinderung bis zum Ziel. Anfangs arbeitslos und schwer krank zu einem Leben im sozialen Abseits verurteilt, lebt er nun die meiste Zeit des Jahres im tropischen Thailand.

In diesem Buch berichtet er von den Anfängen als kranker Arbeitsloser in Deutschland, aufregenden Abenteuern und gefährlichen Ereignissen, wie z.B. dem Tsunami in seinem Traumland. Dieses Buch zeigt auf, dass man durch Träumen und den Glauben an sich selbst fast alles erreichen kann.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (4)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Autobiografisches" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Norbert Wittke

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Streifzüge (Die Home Made) von Norbert Wittke (Satire)
Endstation Fruitvale von Karl-Heinz Fricke (Autobiografisches)
Rettung unserer Katze von Paul Rudolf Uhl (Tiergeschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen