Martin Gruszczyk

Alltag




„Du
hast mich betrogen!“ Die Stimme seines Gegenübers war tonlos und vollkommen
kalt. Raffaelo hob nicht einmal den Blick sondern begann die Karten ein
weiteres mal zu mischen. „Ich betrüge nie!“ Das, was Raffaelo beim Pokern getan
hatte war viel zu banal um es Betrügen zu nennen. Betrügen war etwas weit
größeres. „Noch eine Partie?“ fragte er gefühllos, als er den ungeheuren
Gewinn, den er sich soeben „erspielt“ hatte, in seine Manteltasche schob. Das
schien den Anderen doch etwas in Rage zubringen. Beunruhigt bemerkte Raffaelo,
daß die angespannten Muskeln seines Gegenübers die Ärmel des gestärkten, weißen
Hemdes, das er trug, fast sprengten und das Gesicht des Mannes hatte sich auch
verändert, es wirkte irgendwie tierisch. Der Typ ballte seine Hände zur Faust:
„Du hast es gewagt mich zu betrügen!“ Irgend etwas schien sich hinter dem
Rücken des Mannes zu bewegen. Unsinn, dort hinten konnte niemand sein. „ Ey,
bleib locker, Mann.“ Raffaelo fing an sich Sorgen zu machen. War er zu weit
gegangen? Der Andere richtete sich auf. Seltsam, irgendwie war er größer als
Raffaelo ihn in Erinnerung hatte. „Weißt du eigentlich,“ dessen Augen begannen
rot zu glühen, „daß Betrug eine Sünde ist?“ Raffaelo schluckte, so etwas hatte
er noch nie erlebt, ...und da bewegte sich doch etwas hinter dem Rücken des
Mannes (wenn man ihn überhaupt noch so bezeichnen konnte), es sah aus wie ...
ein Schwanz!

„Aber,...
oh Gott!“ Der Brustkorb des Wesens schwoll an und die Muskelmaße sprengte das
Hemd, daß er trug. „Deine Seele gehört mir!“ Die Stimme des Wesens hatte sich
erschreckend verändert, sie war tiefer und gutturaler geworden und schien
irgendwie mehr in Raffaelo‘s Kopf zu erklingen, als in der Realität. Das
Monster bleckte seine langen Fangzähne und lächelte höhnisch auf den, tief in
seinen Stuhl versunkenen Raffaelo hinab. Speichel floß aus den Mundwinkeln des
Wesens. Dann knurrte es und der lange, in einer Klinge endende Schwanz
schnellte vor. Raffaelo schoß hoch und sprang gleichzeitig zur Seite, der Stuhl
auf den er gesessen hatte verwandelte sich krachend in eine Menge Kleinholz.
Deshalb blickte der Wirt des Gasthauses, in dem sie sich befanden, auf.
Normalerweise mischte er sich nicht in die Geschäfte seiner Kunden ein, aber
wenn diese begannen sein Inventar zu demolieren war es mit seiner Zurückhaltung
zu Ende. „Oh...!“

Raffaelo
rollte sich ab und knallte mit dem Kopf gegen ein Tischbein. Der zugehörige
Tisch  verwandelte sich nach einem
weiteren Schwanzhieb ebenfalls in Sägespäne. Das Monster runzelte die Stirn,
der Mensch war irritierend schwer zutreffen. Na dann eben auf die harte Tour.
Es streckte die Arme aus und spreizte die Finger, die Fingernägel nahmen
plötzlich eine silbergraue Farbe an und wurden länger, begleitet von einem
Geräusch als würde man ein Schwert aus einer Scheide ziehen. (Sie hörten sich
nicht nur an wie Schwerter, sie schienen auch so effektiv zusein.) Dann
katapultierte sich das Wesen vorwärts, erreichte Raffaelo  und schlug mit einer der klingenbesetzten Klauen
zu. Dort wo Raffaelo gerade noch gestanden hatte gähnten jetzt eine lange und
vor allem tiefe Kratzspur in der Wand. Verdammt, der Mensch war so schwer
zutreffen wie eine Fliege (und in der Relation auch ungefähr so stark).
Raffaelo wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und fragte sich
wie diesem Wahnsinnigen wohl beizukommen war. Auf sein Messer vertraute er
irgendwie nicht. Aus den Augenwinkeln registrierte Raffaelo das der Wirt ein
Telefon unter der Theke hervor holte und eine Nummer eintippte, allerdings
hatte er nicht die Muße weiter darauf zu achten,

da
das Monster mit einem wütendem Schnauben die Klingen seiner rechten Hand aus
der Wand befreit hatte. Nun galt die ungeteilte Aufmerksamkeit des Wesen wieder
seinem Opfer.

 Es hob noch einmal ab, während es mit seinen
Klauen weit ausholte. Raffaelo schlug einen Rückwertssalto über einen Tisch
(bis dahin hatte er überhaupt nicht gewußt, daß er so was konnte) und trat eben
diesen mit seinem rechten Fuß, auf die Schmerzen achtete er lieber nicht, in
die Flugbahn des Monster. Es durchbrach die Holzplatte natürlich wie Papier
aber das Ablenkungsmanöver erfüllte doch seinen Zweck. Raffaelo war plötzlich
auf der anderen Seite des Raums, an der es ein Fenster gab. Draußen würde er
selbst diese Erscheinung abhängen können, ...wenn nur dieses idiotische Schloß
aufgehen würde. Plötzlich war das Wesen über ihm, seine Beine wurden ihm vom
Schwanz weg geschlagen und eine der Klauen fuhr auf ihn hernieder wie ein
Henkerschwert.

„Halt!“
Die bloße Autorität die in diesem Wort lag, ließ das Monster inne halten, es
wirbelte herum und erblickte zwei Männer die in der Eingangstür standen. Sie
trugen beide lange schwarze Mäntel und hatten sich silberne Kreuze um den Hals
gehängt. Sofort begann Raffaelo sich aus der Gefahrenzone zuschieben. Der eine
der beiden Männer, er war blond und trug eine schwarze Sonnenbrille, zog aus
einer im Mantel verborgenen Tasche einen Ausweis, auf dem ebenfalls ein Kreuz
prangte, und klappte diesen auf. „Ich bin Inquisitor Chevaz, und das,“ er
deutete mit dem Kopf in die Richtung des Anderen, der sich im Raum umschaute
„ist Inquisitor Pertokowski. Man hat uns aufgrund eines äh... Zwischenfalls
gerufen.“ Der Blick des Monster bohrte sich in das kalkweiße Gesicht des
Wirtes. Pertokowski hob die Uhr, die er am linken Handgelenk trug, an den Mund
und diese öffnete sich sofort. „Hier Einheit X739, wir müssen den Anruf von
vorhin leider bestätigen, das Objekt wird klassifiziert als Dämon der Stufe
zwei,“ er blickte ihn abschätzend an, „vielleicht auch drei.“ „Dämon?“ keuchte
Raffaelo. „ Er tritt anscheinend in Form eines Besessenen auf,“ wieder hob
Pertokowski den Kopf „auch wenn von seinem Wirtskörper nicht mehr viel übrig
ist.“ Dann nickte er Chevaz zu, „ein Rutineeinsatz.“ Das trieb den Dämonen zur
Weißglut. Er brüllte markerschütternd, sein Schwanz schoß vor, wickelte sich um
eine Lampe die von der Decke herabhing und er schleuderte sich damit vorwärts.
Im vorbei fliegen riß der Dämon die Klingen seiner rechten Hand durch den
Oberkörper des Wirtes, dieser wurde herum geschleudert und krachte gegen die
Wand, Raffaelo konnte das Genick knacken und nachgeben hören. Chevaz hob eine
Augenbraue, dann langte er über die Schulter zurück, zog ein geschwärztes
Maschinengewehr nach vorne und lud durch. Er legte es auf den immer näherkommenden
Dämon an und drückte ab. Fahl leuchtende Patronen zerschmetterten die
Wandtäfelung auf der anderen Seite des Raumes, hinterließen, dem Dämon folgend,
Löcher in der Zimmerdecke, doch der Dämon war schneller. Er hatte Chevaz fast
erreicht, holte weit aus und knurrte wütend, während das Gesicht des
Inquisitors, der sein Maschinengewehr immer noch einen Tick zu langsam hob,
vollkommen ausdruckslos blieb. Dann schnellten die Klauen vorwärts. Im letzten
Augenblick bekam der Dämon einen Schlag von der Seite und wurde aus der
Flugbahn geworfen. Er versenkte seine Klingen knapp neben Chevaz Brustkorb in
der Wand. Auf einer Schulter des Wesen öffnete sich eine tiefe Wunde und
dämonisches, schwarzes Blut begann zu Boden zu tropfen. Inquisitor Pertokowski
säuberte mit einem weißen Tuch ein langes, leicht gebogenes Schwert, von der
zischenden Flüssigkeit, dann blickte er auf und lächelte. Chevaz lud seine
Waffe wieder durch und richtete sie auf den Dämon, doch Pertokowski hob die
Hand. „Laß mich das erledigen, meine Schwerter haben Blut geschmeckt!“ Der
Dämon begann höhnisch zu lachen, als Chevaz das Gewehr senkte und riß seine
Klingen aus der Wand. „Tja, ihr habt eure Chance, mich zu schlagen, vertan.“
„Das werden wir ja noch sehen.“ meinte Pertokowski während er seinen Mantel
auseinander schlug und ein zweites dieser Schwerter aus einer Scheide zog.
Raffaelo starrte gebannt auf die Geschehnisse vor ihm, daß war ja besser als im
Kino. Der Dämon bewegte seinen verletzten Arm probeweise, die Wunde war so
schwer, daß ein Mensch seinen Arm wahrscheinlich verloren hätte, hier schien
nicht einmal die Geschwindigkeit beeinträchtigt zusein. Er maß Pertokowski mit
einem Blick, schnaubte verächtlich und katapultierte sich in Richtung des
wartenden Inquisitors. Der Dämon richtete seine Klingen nach vorne und legte
sein gesamtes Körpergewicht in den Schlag. Pertokowski kreuzte seine Schwerter
um der Attacke zu begegnen und Funken stoben, als Stahl auf Stahl(?) traf. Doch
trotz der ungeheuren Kräfte des Dämons hielt der Inquisitor stand, seine
Verteidigung wurde nicht durchbrochen, allerdings wurde er einige Zentimeter
zurück geschoben. Der Dämon fauchte wütend, löste sich von Pertokowski und
begann mit einem wahren Trommelfeuer von Schlägen auf den Menschen ein zu
dreschen. Doch Pertokowski wehrte alle Angriffe mit seinen Schwertern ab. Beide
wurden immer schneller, schließlich konnte das menschliche Auge den Klingen
nicht mehr  folgen. Beide Kämpfer
schienen nur noch von einer silbergrauen Aura umgeben zusein. Plötzlich wich
der Inquisitor einen Schritt zurück, sprang hoch, schlug einen Salto über dem
Kopf des Dämonen und kam hinter diesem wieder mit den Füßen auf. Dann wirbelte
er herum, um das Monster von hinten auf zu spießen. Doch der Dämon stand nicht
mehr dort. Erstaunen breitete sich über die Gesichtszüge Pertokowskis aus, dann
zuckte er zusammen. Drei Klingen durchbrachen seine Brust und der Inquisitor
ging in die Knie. „Netter Zug,“ kam es von hinten, „aber lange nicht gut genug
für einen Tiss’par meiner Stärke, da hättest du dir was besseres einfallen
lassen sollen.“ Der Dämon riß seine Klingen aus dem Rücken des Menschen und
dieser brach vollends zusammen. Dann wandte das Monster sich zu Chevaz um.
Chevaz verzog wütend die Mundwinkel und hob das Maschinengewehr, doch der Dämon
lächelte nur und ließ seinen Schwanz vorschnellen. Das Gewehr wurde dem
Inquisitor aus der Hand gerissen und brach durch eine Fensterscheibe.
Draußen  knallte es gegen eine Hauswand
und zerschellte. „Oh, Scheiße.“ meinte Chevaz. Der Dämon katapultierte sich
vorwärts, die Klingen weit ausgestreckt und Chevaz ließ sich nach hinten
fallen, rammte seine Füße in das Gesicht des Angreifers, so, daß dieser zurück
taumelte, und landete auf den Händen. Sofort schleuderte er sich weiter und kam
wieder auf die Beine, nur um vom Schwanz des Dämonen umgerissen zu werden. Der
Dämon schaute höhnisch auf den Inquisitor hinab. „Machen wir dem Spiel ein
Ende.“ Er sprang hoch, breitete seine Klingen aus und ließ sich auf den
Menschen zufallen. Doch Chevaz griff in eine Manteltasche, riß eine Pistole
heraus, richtete sie auf den Dämonen und drückte ab. Die Kugel traf das Monster
in die linke Schulter und obwohl sie keinen nennenswerten Schaden verursachte,
so versetzte sie dem Dämon doch einen Schlag, der ihn herum riß. Er schlug
neben Chevaz am Boden auf und Risse begannen sich über den Bodenbelag
auszubreiten. Sofort war der Inquisitor wieder auf den Beinen, wich einem
Schwanzschlag aus und richtete seine Pistole auf den Dämon. Dieser hatte sich
allerdings ebenfalls aufgerichtet und schlug mit seiner rechten Klaue zu. Bevor
der Mensch reagieren konnte, folgte seine Waffe, samt der sie umklammernden
Hand, dem Maschinengewehr durch das zerbrochene Fenster. Verwundert starrte
Chevaz auf seinen Armstumpf. „Tja,“ der Dämon grinste und entblößte dabei seine
Fangzähne „es ist vorbei.“ Er ging leicht in die Knie, um sich auf seinen
folgenden Sprung vor zu bereiten und streckte seine Klingen vor. „Du bist tot,
Mensch!“ Die Szene schien ein zu frieren, keiner der beiden Kontrahenten bewegte
sich. Dann griff der Dämon sich überrascht an die Brust, wo eine langgezogene
Wunde sichtbar wurde, er begann durchscheinend zu werden, die Ketten die ihn in der Realität hielten
rissen und er wurde wie Nebelschwaden weg geweht. Überreste menschlicher Haut
fielen zu Boden, mehr war vom Wirtskörper nicht übrig geblieben. Dahinter
tauchte Inquisitor Pertokowski auf, eines seiner Schwerter erhoben, es war
vollkommen mit schwarzem Blut besudelt. Mit dem freien Arm drückte er seine
Brustwunde zu. Chevaz riß ein Stück Stoff von seinem Mantel ab um damit die
Blutung seines Armstumpfes zu stillen. „Für einen kleinen Moment“ meinte er
dann zu Pertokowski „habe ich wirklich geglaubt er hätte dich erwischt.“
„Mich?“ fragte Pertokowski „So ein mickriger Dämon? Wie kommst du denn auf so
etwas?“ Dann lachte er, es klang irgendwie gequält. Chevaz hob eine Augenbraue,
dann trat er zu Raffaelo und holte eine, mit einer blauen Flüssigkeit gefüllte,
Spritze aus seinem Mantel. „Was meinst du?“ wandte er sich wieder an Pertokowski,
der seinen Mantel ausgezogen hatte, um damit seinen Brustkorb zu verbinden.
„Das hat doch nicht länger als eine Stunde gedauert, reicht die zwei
Milliliter  Dosis?“ „Nein,“ meinte
Pertokowski „es gab ziemlich viel Blut, gib ihm lieber drei Milliliter.“ Chevaz
nickte „Er wird sich an nichts erinnern.“ Er stellte etwas an der Spritze um
und bevor Raffaelo reagieren konnte trieb ihm Chevaz die Spritze in die
Halsschlagader, dann injizierte er die Flüssigkeit, Raffaelo wurde schwarz vor
Augen.         
 

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Der Beitrag wurde von Martin Gruszczyk auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.08.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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