Reinhard Schanzer

Keiner mag mich!

Ich bin sehr beliebt! Nein, nicht sehr beleibt, sondern BELIEBT!

Am Sonntagvormittag werde ich von meinen Mitbürgern und Nachbarn freundlich gegrüßt und man macht mir bereitwillig Platz auf dem Bürgersteig. Die alte Krämerin in dem kleinen Laden gibt sich immer ganz besonders viel Mühe, damit ich wirklich alles bekomme, was ich haben möchte. Oft hat sie dabei schon Kinder oder Jugendliche einfach „übersehen", wenn ich an die Kasse kam, obwohl diese bereits vor mir standen. Das war mir manchmal sogar richtig peinlich.
Oft werde ich zu diversen Pfarrfesten, Eröffnungsfeiern, Wohltätigkeitsveranstaltungen, Vernissagen von Banken und Künstlergruppen, Christbaumversteigerungen und zu Wahlveranstaltungen der abstrusesten Parteien ganz persönlich eingeladen.
Sowohl der Bürgermeister, als auch der Bankdirektor duzt mich, gerade so, als hätte ich mit ihnen bereits die Schulbank gedrückt oder gar Schweine gehütet.
Bei Haussammlungen jeglicher Art bin ich immer der Erste, der sich ganz oben in die Liste der ehrenwerten Spender eintragen darf. In diversen Vereinen habe ich viele, gute Freunde und man hat mir nicht zum Erstenmal eine höhere Funktion dort angeboten, ja, sogar schon das Amt des Feuerwehrpräsidenten.

Kein Wunder: Ich bin ein erfolgreicher Geschäftsmann, gutaussehend, witzig, geistreich, nett und charmant, ich verfüge über eine gute Schulbildung und habe mich aus kleinsten Anfängen nach oben gearbeitet. War nie ernsthaft krank oder verliebt, hatte auch gar nicht die Zeit dafür.
Bosheit oder gar Zynismus sind völlig unbekannte Fremdworte für mich.
Meine Angestellten, die Heilige Kirche und Vater Staat habe ich immer gut und pünktlich bezahlt und mir nie etwas Zuschulden kommen lassen. Auch ausschweifendes Nachtleben, Völlerei, unkeusche Gedanken und Lügengeschichten waren mir immer fremd, ich bin also ein angesehener Bürger.
 
Oft habe ich Gäste zu Besuch, die manchmal bis in die späte Nacht bleiben, obwohl ich frühmorgens wieder raus muß. Aber das macht nichts, ich bewirte sie gerne und habe schon so Manchem das Gästezimmer, sowie am nächsten Morgen ein Frühstück angeboten, wenn die Anzahl der geleerten Weinflaschen am Abend davor zu groß war.
 
Meine langjährige Lebenspartnerin liebt mich von ganzem Herzen. Als wir uns vor einigen Jahren bei einem klassischen Violinkonzert im Festsaal des alten Schlosses kennenlernten, war es Liebe auf den ersten Blick.
Bei einem Gläschen Wein in der Hoftaverne kamen wir uns etwas näher und auf der gemeinsamen Heimfahrt war sie sehr von der Klimaanlage und dem leisen Motor meines Mercedes beeindruckt, später dann von meinem großen Haus und dem schönen Garten.
Aber nicht nur das, auch mein Pferd hatte sie sofort in ihr gütiges Herz geschlossen. Ich bin ein Glückspilz, welch eine wundervolle Frau!
Ihren Beruf als Sozialpädagogin hatte sie natürlich sofort aufgegeben, um sich ganz mir widmen zu können, als wir nach kurzer Zeit beschlossen, zusammen durchs weitere Leben zu gehen.
Welcher Mann sonst könnte eine so selbstlose Hingabe von seiner Frau erwarten!
Wie schon gesagt, ich bin ein Glückspilz!
Seitdem komme ich nur noch selten dazu, selbst mal wieder auszureiten. Mein reinrassiger Araberhengst „Pegasus" ist bei ihr in den allerbesten Händen. Er mag sie gerne und kennt mich deshalb kaum noch, aber damit muß ich wohl leben.
Kinder haben wir nicht und im Haushalt gibt es ohnehin nicht viel zu tun für sie, das macht - nach wie vor - meine bisherige Haushälterin. Es ist also völlig unnötig, daß sie sich zuhause langweilt.
 
Ich bin wirklich zu beneiden und manchmal geht das schon soweit, daß ich mich sogar schon selbst beneide.
Für alle, die sich jetzt vielleicht etwas wundern werden: Sich selbst zu beneiden ist nämlich die Krone des Erfolges, das absolute „Highlight" sozusagen. Das ist viel geiler als guter Sex!
Liebe, Haß oder Mitleid kriegt man im Leben oft genug geschenkt und manchmal sogar noch nachgetragen, diese billigen Gefühlsregungen sind also nicht allzuviel wert.
Nur blanken Neid gibt es nicht geschenkt, den muß man sich wirklich hart verdienen. Sehr hart sogar!
Blanker Neid ist also viel mehr wert als alle Liebe dieser Welt.
Kann man überhaupt noch einen Menschen lieben, der so denkt wie ich?
 
Aber zurück zum Thema: Wenn man etwas genauer hinsieht, so könnte man fast meinen: Jeder möchte nur irgendwas von mir haben.
Das ist natürlich purer Unsinn, aber einige Gedanken müssen trotzdem erlaubt sein:
Würde sie mich auch noch lieben, wenn ich nach einem Konkurs krank und arbeitslos wäre, das schöne, große Haus versteigert und vielleicht der Gerichtsvollzieher ständiger Dauergast in unserer bescheidenen Dreizimmerwohnung wäre?
Kein „Pegasus", kein Mercedes, keine Klimaanlage.
Würde mich der Bürgermeister auch dann noch schon von Weitem freundlich begrüßen oder würde er, unauffällig und diskret, die Straßenseite wechseln?
Was wäre mit meinen Geschäftsfreunden, dem Banker, mit den diversen Wahlkandidaten?
Würden mich die Bettler und Haussammler dann überhaupt noch aufsuchen?
Hätte ich dann noch Freunde und Gäste, die zur Abwechslung MIR mal eine Flasche Wein mitbringen würden?
Und würde mich die Krämerin dann noch genauso nett und zuvorkommend bedienen wie bisher?

Gedanken über Gedanken.

Vielleicht wir man nur geliebt, solange es einem gut geht?
Wenn nichts mehr „zu holen" ist, ist man sehr schnell vergessen. Tot, aus!
Ja, die Welt ist schlecht, wollen wir hoffen, daß es nie soweit kommt.
Das einzig Verläßliche auf dieser Welt ist eigentlich nur Kathinka.

Für alle, die es noch nicht wissen: Kathinka ist meine Katze.
Zärtlich streicht sie um meine Beine, reibt ihren Kopf daran und schnurrt dabei behaglich. Aus treuen, grünen Augen sieht sie mich an und blinzelt mir gelegentlich ein wenig zu.
Ein leises Maunzen kommt aus ihrem Mund, gerade so, als möchte sie mir sagen, daß sie mich mag.

Aber sogar bei ihr habe ich manchmal das Gefühl, sie mag mich nur, weil ich ihr täglich frische Milch, zarte Leber und das feinste Whiskas spendiere.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.08.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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