Ich habe ja so eine ganz prima Waage. Da kann man
einstellen, wie sich die Muskeln so entwickeln. Meine machen das momentan
freundlicher Weise ganz gut und damit das so bleibt, habe ich beschlossen, dem
ortsansässigen Fitnesstempel einen Besuch abzustatten. Natürlich nicht, um an
Geräten langweilige Bewegungen zu machen, wenn da keiner guckt, ja- da schummle
ich doch immer! Also lieber zum Hüpfdohlenkurs bei Annette.
Die ist heute nicht da, erfahre ich, aber Alex, die
Vertretung ruft schon munter:“ bitte eine Matte cholen!“ aha, eine Russin
bestimmt. So wie sie aussieht - sicher Tänzerin. Das lockige schwarze Haar hat
sie flott mit einem gigantischen Band hochgebunden, sie trägt obenrum
eigentlich so gut wie nichts und unten ein sehr knappes Höschen.Figur zum Neidischwerden.
Ohrenbetäubende Musik setzt ein und wir beginnen mit einfachen Schritten.
Nun ist das so, dass ich eigentlich Schwitzen hasse. Gut,
das gehört nun mal zum Sport, aber ich hasse es trotzdem. Also mache ich
natürlich kleinere Schritte als Alex, die nach kürzester Zeit komplett
durchgeschwitzt ist, klar, sie gibt alles. Leider kann sie trotzdem ihre Augen
überall haben und so muss ich mir: „bitte mit mehr Spannung und größere
Schritte machen!!“ anhören. Sehr peinlich, alle gucken. Nach unendlichen
Minuten arbeiten wir auf dem Boden weiter. Für die Bauchmuskeln. „Stellt euch
vor, ihr möchtet mit euren gestreckten Beinen eine kostbare Kristallschale
gegen die Decke drücken!“ Aha. Wer bitte wäre so gestört, mit seinen FÜßEN eine
kostbare Kristallschale….o.k, ist ja nur fürs Mentale, weiß doch jeder, hat
alles mit dem Kopf zu tun, damit man die Bauchmuskeln auch so richtig spürt.
Klappt. Nach vielen quälenden Übungen ist die Stunde vorbei, man applaudiert
komischer Weise am Schluss und schleicht- mit zitternden Beinen, aber sehr
stolz auf sich- von dannen. Ich bin froh, dass ich überhaupt noch aufrecht
gehen kann, Alex gibt noch zwei Stunden. Ich glaube nicht, dass das
normalerweise mit menschlichen Leben vereinbar ist. Wenn man sieht, was sie bei
den Dehnungsübungen gemacht hat – da könnte sich jedes Stück Gummi aber noch
eine Scheibe abschneiden!
Morgen und auch am Wochenende muss ich arbeiten. Also
empfiehlt es sich, gleich noch schnell einkaufen zu gehen. Manchmal stelle ich
mir dabei vor, ich bin eine Neandertalerin auf der Jagd. Bewaffnet mit meiner
Keule schleiche ich mich durch die Steppe (Lidl) um Beute zu machen. Lautlos
pirsche ich mich an mein Opfer heran und – HA ! schlage blitzschnell zu!
Schnappe den letzten Radieschenbund einer ganz verdutzten anderen Jägerin vor
der Nase weg. Sofort suche ich das Weite, schmeiße hier und da noch was ins
Körbchen und schlittere elegant zur Kasse. Welche nehm ich? 1,2, 4?
Blitzschnell überlegen, im Geiste den Warenkorb der anderen durchscannen und
dann natürlich an die Kasse einschwenken, wo es garantiert am längsten dauert,
kennt man ja.
Selbiger Friseur entwickelte allerdings bei diesem Besuch
ein gewisses Eigenleben, ja man kann sagen, er wollte sich wohl selbst
verwirklichen. Nicht, dass ich dafür kein Verständnis hätte, ich will mich bei
meiner Arbeit ja auch selbst verwirklichen – nur, muss das denn auf MEINEM Kopf
sein? Ich sage nur soviel: ich musste 2mal hingucken um zu wissen, dass ich es
war. Welch merkwürdiges Gefühl, wenn man so mit einem quasi anderen Kopf durch
die Gegend läuft!
Ich war dann am Abend verabredet. Trifft sich eigentlich
gut, wenn man direkt vom Friseur kommt, nicht wahr?
Da man dort, wo Paul wohnt, ganz schlecht parken kann, will
ich mit der Straßenbahn fahren. Das geht ganz leicht, man muss nur vorher ein
Hochschulstudium absolvieren, um sich einen Fahrschein aus dem Automaten zu
ziehen. Also gar kein Problem. Kaum fährt die Bahn los, stürzt sich eine Frau
auf uns Fahrgäste, um uns nachdrücklich auf ihre finanzielle Not aufmerksam zu
machen. Kann man da nein sagen? Nach 20 Minuten aussteigen, um umzusteigen. Auf
der etwa 100 Meter langen Strecke werde ich dann noch mal etwa 3 Euro los, ist
doch logisch, dass ich die Obdachlosenzeitung unterstütze, der Frau Geld für die
Ernährung ihres Hundes und dem Jugendlichen einen Zuschuss für sein Koks gebe!
Ich bin doch kein Unmensch.
Die Haltestelle, wo ich aussteigen soll, weiß ich, aber war
das jetzt in Fahrtrichtung und dann rechts oder entgegen der Fahrtrichtung und
dann rechts? Das macht einen gewissen Unterschied, nicht wahr? Schnell ein paar
Passanten nach der Straße gefragt, aber da kennt sich natürlich keiner aus. Und
ich laufe bei meiner fiffty-fiffty Chance glatt eine Weile in die falsche
Richtung.
War auch nicht so geschickt
von mir, Schuhe mit hohen Absätzen anzuziehen. Und wenn ich ehrlich bin, war es
noch ungeschickter, mir so ein leichtes Fähnchen anzuziehen, bei den
Temperaturen. Schon kitzelt die Nase, das gibt bestimmt einen hübschen
Schnupfen. Oh nein- ich habe kein Mitleid verdient, wer einen auf „heut bin ich
aber mal echt sexy“ machen will - tja, der muss auch einstecken können!
Doch, letztendlich habe ich es zu Paul geschafft, der eine
ganz entzückende Altbauwohnung bewohnt und mir bei Musik, die genau nach meinem
Geschmack ist, ein Bier serviert. Wir haben gegen später beschlossen, noch eine
kleine Bar zu besuchen. Spannend, so bei Nacht in der großen Stadt, wo ich doch
vom Land komme. Die Bar ist so, wie ich Bars aus dem Kinofilm kenne: schummrig,
verraucht, überall verstreut sitzen Leute, die melancholisch in das Glas vor
ihnen starren. Eine sehr mütterlich wirkende Dame steht hinterm Tresen, sie hat
sicher schon viele Geschichten gehört und liest wohl von den Lippen ab, was wir
gern zu trinken hätten, denn verstehen kann sie es bei der lauten Musik
unmöglich. Man isst in der Stadt zu seinem Bier eine Frikadelle. Das wusste ich
auch bisher nicht, ist aber ein schöner Brauch, vor allem, wenn die Frikadelle
auch gut schmeckt
Ein wirklich schöner Abend, wir hatten viel zu Lachen, was
ich sehr gern habe. Nun, irgendwann musste ich auch wieder den Heimweg
antreten, also gemütlich zur nächsten Haltestelle geschlendert, dabei noch eine
private Stadtführung genossen, wieder ein Ticket gezogen, beim 2.Mal weiß man,
wie es geht, verabschiedet und in die Bahn gehüpft. So spät sind noch dermaßen
viele Leute unterwegs, unglaublich! Nach 2 oder 3 Haltestellen kommt plötzlich
eine Durchsage des Fahrers. Wir müssen alle an der nächsten Haltestelle
aussteigen, weil er nämlich jetzt wo anders hinfährt. Und nicht dahin, wo wir
dachten, dass er hinfährt. Nicht dorthin, wo diese Linie IMMER hinfährt. Wo ich
hin will. Hilfe! Da steh ich also mitten in der Stadt, verloren, keiner kümmert
sich um mich! Zum Glück ist da dieses Mädchen, die mir wohl meine
Unschlüssigkeit ansieht. Ich müsse nur immer der Straße lang gehen, da käme ich
zu meiner Straßenbahn. Und wie weit ist das? Ach, nur eine viertel Stunde.
Super! Da stöckle ich also mitten in der Nacht eine lange Straße hinunter. Erstaunlich
ist, dass einem da viele feine Flüche einfallen, von denen man vorher nicht
wusste, dass sie irgendwo im Kopf leben. Wenn man schon dabei ist auf alles zu schimpfen, denkt man auch an alle
Menschen, denen man ohnehin schon mal die Meinung sagen wollte. Was soll ich
sagen, es war eine Art Katharsis, ja, ich würde fast meinen, man sollte es
Leuten empfehlen, die nicht so richtig aus sich raus gehen können. Einfach
unbequeme Schuhe anziehen und durch die Nacht zur Straßenbahn laufen, die man
natürlich verpassen muss und dann eine halbe Stunde unter grölenden, dem
Alkohol gut zugesprochenen Menschen, auf die nächste warten. Ja, das macht
innerlich wirklich frei! Lockert. Spart den Psychologen.
Bin gut angekommen daheim – und fühle mich jetzt wie geschleudert.
Komisch.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Heidi Berger).
Der Beitrag wurde von Heidi Berger auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.09.2006.
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