Christoph Pohl

Die Kammer

In der Dunkelheit sitzend, weinte er in seine Hände. Ihm schossen viele Bilder in den Kopf. Er hatte einen Jungen gesehen, der Menschen erschossen hatte. Auch Schüler seines Alters. Diese Bilder hatte er vorher schon öfter gesehen.
 
Immer tritt er in die gleiche Ausweglosigkeit. In einer Welt ohne Glaube findet ein Junge wie dieser keinen Platz mehr. Die Gesellschaft steckt ihn mit ihrer Perspektivlosigkeit sogar noch an. Sie schreibt Menschen wie ihn ab, denn kein Mensch und keinen Gott interessiert es, ob im Kinderheim ein Kind gerne Fußball spielt oder lieber Menschen erschießt. In der Schule wird er auch nur noch abgerichtet, vorbereitend auf die spätere Arbeitswelt, das einzig Wahre im Leben! Die Gesellschaft steckt ihm so viele Grenzen, Schranken und Moralvorstellungen, die ihn in seine virtuelle Welt sperren. Er lebt nur noch in einem Computerspiel. Hier kann er sich mit Gewalt und Waffengebrauch schützen. Hier lässt er keinen Menschen an sich heran. Hier gibt es nur seine Regeln. Um Arbeit kümmert er sich schon lange nicht mehr. Es ist der Staat, der ihm seine Drogen spendiert.
Der Junge mit seinem krummen Rücken, dem eingefallenen Gesicht und den schlechten Augen erinnert an einen Menschen: Mit jedem weiteren Schritt hin zur „modernen Zivilgesellschaft“ wird sein Rücken krümmer und er selbst blinder. Letztendlich schaufelt er mit seinem Egoismus und seinem Eigennutz, dem jahrelangen Materialismus, sein eigenes Grab. Doch dieser Junge wird diesen Weg nicht beschreiten, er wird nicht den lebenslangen Gleisen ohne Weichen oder Ausfahrten folgen. Und der Junge will nicht einfach verschwinden, nein, das hat er so nicht gelernt.
Mit einem Knall! Mit einem Knall musst du dich verabschieden.
In einer Welt ohne Glauben kriegt auch er eine Waffe auf der Straße. Der Junge fängt dann an, seine Mitschüler und Lehrer zu erschießen...
 
Eigentlich wachte er an dieser Stelle des Traums immer schweißgebadet auf. Doch diesmal nicht, denn die Geborgenheit der Dunkelheit gab ihm seine Sicherheit wieder. Er hatte sich nach den schrecklichen Szenen, bei denen viele seiner besten Freunde und sogar Lehrer getötet worden waren, in eine Kammer eingeschlossen. Hier würde ihn niemand finden. Hier lässt er keinen Menschen an sich heran. Hier gibt es nur seine Regeln. Er nahm noch ein letztes Mal die Waffe und befreite sich nun endlich selber.
Mit einem Knall!
 

Diese Geschichte hab' ich quasi im Affekt als die direkte Antwort auf meine schriftlichen Abiturergebnisse geschrieben.... :DChristoph Pohl, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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